Künstliche Intelligenz und Kunst
Der einfühlsame Algorithmus
Künstliche Intelligenz ist längst in unserem Alltag angekommen. Sie macht unsere Smartphones schlauer, trifft medizinische Diagnosen und schreibt Drehbücher. Könnte sie uns auch in Sachen Kreativität und Empathie bald überlegen sein – und verhilft sie uns eines Tages gar zur Unsterblichkeit?
Von Johannes Zeller
Künstliche Intelligenz (KI) bezeichnet lernfähige digitale Systeme, die ihre Fähigkeiten eigenständig verbessern. In immer mehr Bereichen greifen sie uns unter die Arme: bei der Bildanalyse, in der medizinischen Diagnostik, beim Vorhersagen von Aktienmärkten, sogar beim Komponieren von Musik. Auch das Drehbuch für den Kurzfilm Sunspring hat ein Computerprogramm geschrieben. Die Vorstellung, dass eine Maschine intelligenter und kreativer sein könnte als wir selbst, beschert vielen Menschen Gänsehaut. Tesla-Gründer Elon Musk warnte gar, KI sei potenziell gefährlicher als Nuklearwaffen und könne den dritten Weltkrieg auslösen.
Der Informatiker Jürgen Schmidhuber, der unter anderem aufgrund seiner Entwicklung neuronaler Netzwerke auch als „Vater der KI“ bekannt ist, sieht das Thema entspannter: „95 Prozent der KI-Forschung drehen sich darum, Menschenleben länger, leichter und gesünder zu gestalten“, erklärt er in einem Interview. Nur fünf Prozent der KI-Forschung widme sich dem militärischen Bereich, das solle niemanden beunruhigen. Eine KI, die ähnlich intelligent, empathisch und kreativ ist wie ein Mensch, ist für Schmidhuber längst keine Utopie mehr. Ebenso wenig wie die Vorstellung, dass unsere Gehirne eines Tages in intelligenten Maschinen weiterleben könnten.
KI kann viel mehr als nur Mathe
Seit seinem 15. Lebensjahr träumt Schmidhuber davon, eine KI zu entwickeln, die schlauer ist als er selbst. Heute scheint er seinem Ziel näher als je zuvor: Seit 1995 leitet er das Dalle-Molle-Forschungsinstitut in der Schweiz. Die dort entwickelten „Deep Learning Neural Networks“ sind nicht nur ein bahnbrechender Fortschritt im Bereich des maschinellen Lernens, sondern auch ein Verkaufsschlager. Sie werden von den fünf führenden Digital-Unternehmen der Welt eingesetzt – von Apple, Microsoft, Amazon, Facebook und dem Google-Mutterkonzern Alphabet – und sind auf über 3 Milliarden Smartphones zu finden. Parallel dazu hat die „Long Short-Term Memory“-Technologie (LSTM), die 1997 ebenfalls von Schmidhuber und seinem Kollegen Sepp Hochreiter vorgestellt wurde, große Fortschritte im Bereich der Spracherkennung und Übersetzung möglich gemacht. Die flotten Antworten von Alexa, dem sprachgesteuerten Assistenten von Amazon, basieren beispielsweise auf LSTM.
Die Technologie macht Computer schlagfertiger, verleiht ihnen verbale Fähigkeiten und zugleich Persönlichkeit. Darin liegt wohl auch der Grund, warum moderne KI ein unbehagliches Gefühl auszulösen vermag. Als der Schachcomputer Deep Blue 1996 den Schachmeister Garri Kasparow besiegte, und als 2016 das Programm AlphaGo gegen den besten menschlichen Go-Spieler gewann, waren das zweifelsfrei Meilensteine auf dem Gebiet der KI-Forschung. Wer schon einmal eine Konversation mit Alexa, Siri oder einem anderen sprachgesteuerten Assistenten geführt hat, der weiß, dass uns diese KIs mittlerweile auch auf emotionaler Ebene immer ähnlicher werden.
Eine KI, die in Sachen Empathie und Kreativität nicht mehr vom Menschen zu unterscheiden ist – darauf könnte die Forschung am Dalle-Molle-Institut hinauslaufen. Doch noch müssen Fachleute der Psychologie und Profis aus der Kreativbranche nicht um ihre Jobs zittern. Ein klares Indiz dafür ist Sunspring, der erste Film, dessen Drehbuch von einer Software geschrieben wurde. Auf der Grundlage von LSTM hatten Oscar Sharp und Ross Goodwin einen automatischen Drehbuchautor namens „Jetson“ entwickelt. Dieser wurde mit Skripten von Science-Fiction-Klassikern und Superhelden-Filmen gefüttert, lernte daraus und schrieb das Drehbuch für den Kurzfilm, der schließlich mit Silicon-Valley-Star Thomas Middleditch verfilmt wurde. Das eher bizarre Ergebnis wurde beim Sci-Fi-Filmfestival in London durchaus positiv aufgenommen. Doch die kaum zusammenhängenden Dialoge und die sprunghafte Handlung machen deutlich, dass die Ära der automatisch generierten Kassenschlager noch nicht angebrochen ist – was nicht heißen soll, dass wir den Tag nicht erleben werden.
Ein Schritt zu höherer Komplexität
In vielen medizinischen Bereichen, beispielsweise der Diagnostik, hilft KI dabei, unser Leben länger zu machen. Aber macht sie uns eines Tages vielleicht sogar unsterblich? Die Idee, unser Gehirn einzuscannen und auf einen Roboter hochzuladen oder in eine virtuelle Realität einzuspielen, kennen wir seit den 1960er-Jahren aus Science-Fiction-Filmen. Glaubt man Schmidhuber, ist das physikalisch nicht unmöglich und könnte für manche Menschen tatsächlich Realität werden. Doch in einer schnelllebigen KI-Ökonomie müssten sich solche „hochgeladenen Gehirne“ sehr schnell entwickeln, so dass sie letztendlich zu etwas ganz anderem werden würden. Schmidhuber ist daher der Ansicht, dass die Erde einer vollentwickelten KI schnell zu klein werden und sie sich über den Kosmos ausbreiten würde: „Wenn wir die Idee des Lebens weiterdenken, glaube ich nicht, dass Menschen eine große Rolle bei der Verbreitung von Intelligenz im Kosmos spielen werden. Aber das ist okay, wir dürfen uns eben nicht als Krone der Schöpfung sehen. Die menschliche Zivilisation ist Teil eines viel größeren Schemas – ein wichtiger Schritt, aber nicht der letzte – auf dem Weg des Universums zu höherer Komplexität.“
Wissenschaftsjahr 2019 zur Künstlichen Intelligenz
Angesichts der wachsenden Bedeutung von Künstlicher Intelligenz widmet sich das Wissenschaftsjahr 2019 dem Thema und ruft Hochschulen und Unternehmen zur gemeinsamen Forschung auf. Es wird von zahlreichen Veranstaltungen bundesweit begleitet. Öffentliche Diskussionsrunden und Mitmach-Aktionen beschäftigen sich mit dem Zusammenleben von Mensch und Maschine in Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt.
Über den Veranstaltungskalender kann man sich fortlaufend über die nächsten Events informieren.