Blockchain
Nach dem Hype
Die Kryptowährung Bitcoin machte viele über Nacht zu Millionären, und spätestens nach ihrem Allzeitbörsenhoch von 2017 war sie in aller Munde. Nach einem rapiden Kursabfall verschwanden jedoch sowohl der Bitcoin als auch die dahinterstehende Technologie, die Blockchain, aus der öffentlichen Wahrnehmung. Wie ist es heute um die Technologie bestellt?
Von Arne Cypionka
Das Jahr 2008 war für die weltweiten Finanzmärkte kein Gutes – milde ausgedrückt. Nachdem 2007 bereits die Immobilienblase Nordamerikas geplatzt war, markierte die Insolvenz der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers den vorläufigen Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise, deren Auswirkungen noch heute spürbar sind. Wie ein Dominoeffekt zwang die Insolvenz weitere Banken – und im weiteren Verlauf auch ganze Staaten – in die Knie. Weltweit standen die Menschen sprachlos vor den Trümmern eines Systems, dem sie Jahrzehntelang blind vertraut hatten. Vor diesem Hintergrund erschien 2008 ein anonymes „White Paper“, ein Strategiepapier, in dem das Konzept zu einer neuen virtuellen Währung vorgestellt wurde: Der Zahlungsverkehr des Bitcoin sollte völlig unabhängig von den Banken funktionieren können. Die neue Währung löste einen regelrechten Hype aus und erreichte 2017 einen Börsenwert von rund 17.000 Euro pro Bitcoin. Doch als Anfang 2018 ein massiver Kurseinbruch folgte, schwand auch das öffentliche Interesse.
Das Revolutionäre am Bitcoin war jedoch nicht nur die neue Währung an sich, sondern vor allem auch die Technologie dahinter – die Blockchain. Auch wenn der Bitcoin heute an Attraktivität deutlich verloren hat, hat die Blockchain noch einiges mehr zu bieten. Im Kern erlaubt das Protokoll eine vielfältige, transparente Buchführung, die dezentral funktioniert und praktisch kaum zu fälschen ist. Das mag sich zuerst abstrakt und wenig bedeutsam anhören, hat aber das Potenzial viele Bereiche unserer Gesellschaft deutlich zu verändern. Denn mit der Blockchain könnten viele Prozesse transparenter und manche Institutionen sogar überflüssig werden.
Strom-Sharing und bewusstes Shopping
Ein Beispiel dafür sind Strom-Sharing-Projekte wie das Microgrid im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Microgrids, zu Deutsch Inselnetze, sind regionale, in sich geschlossene Stromnetze. Wie andernorts auch verfügen in Brooklyn viele Haushalte über Solaranlagen auf ihren Dächern, die Stromüberschüsse automatisch in das öffentliche Netz einspeisen. Eine Blockchain behält hierbei nicht nur einen Überblick über alle Transaktionen, sondern stellt mittels sogenannter Smart Contracts – in der Blockchain festgehaltene Verträge – auch automatisch sicher, dass die Bewohner ihren Strom zu fairen Preisen verkaufen können. Der zusätzliche Energiebedarf wird dabei von der Sonne gedeckt, Zwischenhändler sind überflüssig.Auch das amerikanische Start-Up Provenance will Endverbraucher stärken und eine nachhaltigere Wirtschaft im Textilbereich fördern. Es nutzt die Fälschungssicherheit der Blockchain, um Lieferketten transparent zu machen. So kann jeder Schritt von der Ernte der Baumwolle bis zur fertigen Jeans protokolliert und für den Käufer im Geschäft sichtbar gemacht werden, der dafür nur einen Code auf dem Produkt zu scannen braucht. Das Einhalten von Standards soll so besser sichergestellt werden, als dies durch staatliche Kontrollen oder zertifizierte Labels geschieht, da sowohl die Produzenten als auch die verarbeitenden Unternehmen hier unabhängig voneinander ihre Arbeit dokumentieren. So zumindest in der Theorie. Denn inwieweit die physischen Schritte der Waren wahrheitsgemäß in der digitalen Blockchain ankommen, kann der Käufer kaum prüfen.
Ist die Blockchain wirklich sicher?
Große Veränderungen könnte die Blockchain aber vor allem für die schätzungsweise 2,5 Milliarden Menschen weltweit bringen, die keinen Zugang zum Bankensystem haben. Verschiedene Unternehmen arbeiten an Kryptowährungen, die besonders für Regionen mit großer Armut ausgelegt sind. Mit der Anmeldung, für die man nur ein einfaches Smartphone, eine Internetverbindung und eine Verifizierung über biometrische Daten benötigt, wird eine Infrastruktur geschaffen, in der beispielsweise Mikrokredite für kleine Gewerbe vergeben werden können. Ähnlich wie bei Bitcoin sind die dabei geschaffenen Währungen bei richtiger Umsetzung unbürokratisch, manipulationssicher und keiner zentralen Kontrollinstanz unterworfen.Besonders das letzte Beispiel zeigt allerdings auch ein großes Problem auf: die Datensicherheit. Während Bitcoin-Nutzer über eine pseudonyme Adresse und ein Passwort auf ihre Brieftasche zugreifen, setzen die Kryptowährungen für ärmere Weltregionen der Einfachheit halber auf Biometrie, also eine Identifizierung durch Iris- oder Gesichtsscan oder den Fingerabdruck. Da die dauerhafte Speicherung in der Natur der Blockchain liegt, könnten Sicherheitslecks die privaten Daten von Millionen Menschen unwiderruflich veröffentlichen. Neben den körperlichen Merkmalen der Betroffenen lägen auch sämtliche ihrer Transaktionen offen. Auch in Europa, wo man mit digitalen Identitäten für Geflüchtete experimentiert, könnte dies zum Problem werden.
2019, zwei Jahre nach dem großen Hype um die Blockchain, muss man feststellen, dass sich die Technologie durchaus in einigen Bereichen etablieren konnte. Auch die Kryptowährungen, die neben Bitcoin entstanden, sind keinesfalls mehr reine Spekulationsobjekte. Anders als von manchen prognostiziert, wurden Institutionen wie Banken und Stromanbieter zwar nicht abgelöst, sind aber in einigen Bereichen nicht mehr konkurrenzlos.