Deutsche Serien in den USA
Unorthodox - Flucht ins Leben
Der Vierteiler „Unorthodox“ (Netflix) erzählt nicht nur die aufwühlende Fluchtgeschichte einer jungen Frau von New York nach Berlin. Die von Serienfans und Kritik gleichermaßen gefeierte Reihe der „Deutschland 83“-Macherinnen erlaubt zudem einen faszinierenden Einblick in die abgeschottete Parallelwelt einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde.
Von Angela Zierow
Gott hat zu viel von mir erwartet. Nun muss ich meinen eigenen Weg finden.
"Esty" in Unorthodox
Mit der Mini-Serie „Unorthodox“ wagt sich Netflix an ein ebenso komplexes wie brisantes Thema. Das Drama basiert auf dem autobiographischen Bestseller „Unorthodox: The Scandalous Rejection of My Hasidic Roots“ (Simon and Schuster, 2012, deutsch im Secession Verlag), in dem die gebürtige New Yorkerin Deborah Feldman ihren Bruch mit der chassidischen Satmar-Gemeinde in Brooklyn beschreibt. Feldman, Jahrgang 1986, hatte ihrer ultraorthodoxen jüdischen Familie kurz nach ihrem 23. Geburtstag den Rücken gekehrt, um ihrem kleinen Sohn ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Beide leben heute in Berlin.
In Rückblenden blättert „Unorthodox“ sowohl Estys Vorgeschichte als auch die Vergangenheit ihrer Familie auf - von der Großmutter, die die Flucht aus ihrer ungarischen Heimat vor Hitlers Nazi-Schergen und die Ermordung ihrer Angehörigen nie verwinden konnte, über den trunksüchtigen Vater bis hin zu Estys verstoßener leiblicher Mutter, die einst ihren Ausbruch aus der Glaubensgemeinschaft gewagt hatte, um ein unabhängiges Leben ausgerechnet in Deutschland zu führen. Lange verachtet Esty ihre vermeintliche „Rabenmutter“ für diese Entscheidung, verdrängt dabei, dass auch sie immer häufiger gegen die starren Konventionen aufbegehrt, die ihren Alltag, sogar ihre Intimsphäre bestimmten. Sich in ihr Schicksal als zum Gebären verpflichtete Ehefrau fügen, das kann und will die wissensdurstige junge Frau bald nicht mehr. Und so bleibt ihr nur die Flucht zu der ihr fremden Mutter.
Ihre Selbstsuche führt Esty an ein Berliner Musik-Konservatorium und zu einer internationalen Studentenclique. Die bunt zusammengewürfelte Truppe gibt dem Neuzugang nicht nur einen Crash-Kursus in Jugendkultur und Lebensfreude, sondern weist Esty Wege, Frieden mit den Gräueln der Nazi-Zeit zu machen. Die verhuschte junge Frau wandelt sich zu einer staunend Berlin erkundenden Entdeckerin, die sich an Electro-Beats berauscht und von einem Stipendium als Pianistin träumt. In der wohl ergreifendsten Schlüsselszene der Serie entblößt Esty den für ultraorthodoxe Ehefrauen typischen kahl geschorenen Schädel, überlässt ihre Sheitel (Perücke) dem Wannsee und schwimmt sich im wahrsten Sinne des Wortes frei. Ein poetischer Moment, dem kein Happy End folgt, denn Ehemann Yanky und sein durchtriebener Cousin Moishe (Jeff Wilbusch) sind der Abtrünnigen auf den Fersen, um ihr ungeborenes Kind zu „retten“. Und so mixt der Vierteiler in seine Emanzipations- und die „Fish out of Water“-Story obendrein ein bisschen Krimi-Feeling.
Unterwegs gibt es eine andere Tora
"Moishe" in Unorthodox
Hinter der international hoch gelobten Reihe stecken die Erfolgsproduzentin und -autorin Anna Winger (u a. „Deutschland 83“, „Deutschland 86“, „Deutschland 89“) und ihre Co-Autorin Alexa Karolinski. Regie führte die Schauspielerin und Filmemacherin Maria Schrader („Stefan Zweig: Abschied von Europa“), die bereits in Wingers „Deutschland“-Trilogie mitspielte. Nicht zuletzt weil die Serie über weite Strecken auf Jiddisch gedreht wurde, steht in „Unorthodox“ eine überwiegend jüdische Darstellerriege vor der Kamera. „Wir wollten Leute, die die Sprache entweder sprechen oder mit ihr vertraut sind“, sagte Produzentin Winger dem US-Branchenfachblatt Variety. Zudem gäbe es zahlreiche Film- und Fernsehprojekte über jüdische Geschichte, bei denen weder vor noch hinter der Kamera ein Jude beteiligt war. „Wir hielten es für wichtig, dies zu ändern“, so Winger.
Mit feinfühliger Bildsprache machen Regisseurin Maria Schrader und ihr Kameramann Wolfgang Thaler, Estys Lebenswelten greifbar. Obwohl sie ihr ultraorthodoxes Gemeindeleben als zunehmend erdrückenden Albtraum in Beige-Braun zeigen, gelingt ihnen das Kunststück, die Gemeinschaft nicht zu diskreditieren, sondern vielmehr Verbundenheit, Rituale und Feste in mitreißenden atmosphärischen Momenten einzufangen. Und so erzählt „Unorthodox“ zwar den Befreiungskampf einer jungen Frau aus ihrer religiösen Zwangsjacke, ist deshalb aber keinesfalls eine Abrechnung, sondern vielmehr eine anrührende Sinnsuche, in der sich alle Protagonisten ihren inneren Konflikten, manchmal auch ihren Dämonen stellen müssen. Wie und ob ihnen dies gelingt, bleibt allerdings trotz des versöhnlichen Ausklanges offen. Nicht weiter erstaunlich deshalb, dass Serienfans bereits kurz nach dem Start über eine Fortsetzung des Vierteilers spekulierten. Ob wir je erfahren werden, was Esty mit ihrer hart erkämpften Freiheit anstellt, ist derzeit völlig offen. Zum Trost: Wie Autorin Deborah Feldman ihre Vergangenheit aufarbeitete, der Geschichte ihrer Familie nachspürte und ihre Identität fand, beschreibt sie eindrücklich in ihrem zweiten autobiographischen Roman „Exodus“.
Netflix Original „Unorthodox“; 4 Episoden @ 53 – 55 Minuten.
Die vierteilige deutsche Original Miniserie, geschrieben von Anna Winger und Alexa Karolinski, ist inspiriert von Deborah Feldmans gleichnamigen Bestseller.
Die Regie wurde von Maria Schrader übernommen. Shira Haas, Jeff Wilbusch und Amit Rahav besetzen die Hauptrollen.
Unorthodox wurde in jiddischer und englischer Sprache gedreht und läuft seit März 2020 exklusiv und weltweit auf Netflix.