Deutsche Serien in den USA
Tödliches Schattenspiel: Nordic Noir im Nachkriegs-Babylon-Berlin
Wandel beginnt in der Dunkelheit, sagt man. Dort, wo der New Yorker Cop Max McLaughlin ermittelt, ist es zappenduster. In der ZDF-Serie „Schatten der Mörder - Shadowplay“ blättert der schwedische Showrunner Måns Mårlind („Die Brücke - Transit in den Tod“) ein finsteres Kapitel deutscher Geschichte auf: Berlin im Jahre Null, im ersten Sommer nach dem Zweiten Weltkrieg, eine gesetzlose, barbarische Zeit. Mårlinds Verbrecherjagd durch die Ruinen der zerbombten Stadt ist dementsprechend brutal - aber auch leidlich spannend.
Von Angela Zierow
Willentlich ins Schattenreich: Der Brooklyner Polizist Max McLaughlin (Taylor Kitsch) meldet sich im Juli 1946 freiwillig zum Dienst in Berlin. Die Stadt liegt in Schutt und Asche, Menschen hausen zwischen Trümmern und Bombenkratern, erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Wer noch einen Funken Anstand im Leib hat, hadert mit der Schuld, die Nazi-Deutschland auf sich geladen hat, quält sich mit den sichtbaren und unsichtbaren Wunden des Weltkrieges. Wie zum Hohn stahlt über den Ruinen ein knallblauer Sommerhimmel. McLaughlin soll im amerikanischen Sektor den Aufbau einer Polizeiwache nach dem Vorbild des NYPD organisieren. Leichter gesagt als getan, denn das zusammengewürfelte, notdürftig in einem ehemaligen Bankgebäude zusammengepferchte Grüppchen, das er vorfindet, ist ebenso unerfahren wie schlecht ausgerüstet und wird von den Einheimischen abschätzig „Vogelscheuchen“ genannt. Wie sollen ein paar mit Holzprügeln bewaffnete Aushilfsbullen auch allen Ernstes eine Stadt sicherer machen, in der es seit Kriegsende 3000 Morde und 200.000 Vergewaltigungen gegeben hat?
Ein riesiger fauler Kuchen, vier Stücke
Nicht nur viele Berliner, auch die vier Siegermächte drehen zwischen Trümmerbergen und geheimen Tunneln krumme Dinger, vom Schwarzmarkthandel über Bestechung bis zum Auftragsmord. „One big rotten cake, four slices“, „Ein riesiger fauler Kuchen, vier Stücke“, stellt McLaughlins Vorgesetzter, US-Vize-Konsul Tom Franklin (Michael C. Hall), lakonisch fest, und der deutsche Polizei-Chef Karl Heinlein (Martin Wuttke) empfiehlt dem Neuankömmling: „One piece of advice: In a place with no laws you need a sharp sense of right or wrong - and quick reflexes.“ - „Ein kleiner Ratschlag: An einem Ort, an dem es keine Gesetze gibt, braucht man ein feines Gespür für Recht und Unrecht - und schnelle Reflexe.“Wie überlebensnotwendig dieser Rat ist, wird dem Berlin-Neuling kurz darauf am ersten Tatort bewusst: zwei totgeprügelte GIs, ein Doppelmord mit reichlich Sprengkraft. McLaughlins deutsche Kollegin Elsie Garten (Nina Hoss) ermittelt, dass der „Engelmacher“ Dr. Hermann Gladow (Sebastian Koch) bei der Bluttat seine Finger im Spiel hatte. Gladows perfide Strategie: Vor Kriegsende als Gynäkologe tätig, nutzt er die Notlage vergewaltigter Frauen aus. Abtreibungen und andere Hilfeleistungen lässt er sich mit Überfällen, Spionage, Prostitution, sogar Morden bezahlen. Ein einträgliches Geschäft, in der Stadt gibt es zahllose misshandelte Frauen. „Wenn er beschließt, dir zu helfen, gehörst du ihm“, sagt eine Zeugin des Mordes. Mehr sagt sie nicht. Tot ist sie am nächsten Tag trotzdem. Der „Boogeyman of Berlin“ geht kein Risiko ein - und scheint nebenbei jedes dreckige Geheimnis der Stadt zu kennen. Derer gibt es reichlich, auch in McLaughlins Umfeld: Während Gattin Claire (Tuppence Middleton) ihre Langeweile in Alkohol ertränkt, nutzt Vize-Konsul Franklin die Nachkriegswirren dazu, hochrangigen Nationalsozialisten beim Untertauchen zu helfen. Lohn seiner Gefälligkeiten: Raubkunst.
Max und Moritz erledigen die Nazis
Doch McLaughlin quält nicht nur die allgegenwärtige Frage, wem er in diesem Dickicht aus Lügen, Intrigen und Heimlichkeiten trauen kann. Sein verschollener Bruder Moritz (Logan Marshall-Green), während des Krieges US-Army-Infanterist, ist in Berlin aufgetaucht. Das Wiedersehen bringt den Ermittler in Gewissensnot. Der Ex-Soldat hinterlässt auf seinem Privat-Feldzug gegen untergetauchte NS-Handlanger übelst zugerichtete Leichen und fordert obendrein die Hilfe seines Bruders ein: „Max und Moritz erledigen die Nazis - eine warnende Lehre für Nazi-Jungs und Mädels. Das klingt doch gut.“ Wohl oder übel muss Max den Ausputzer für die unappetitlichen „Streiche“ seines psychisch schwer lädierten Bruders spielen. Als der frustrierte Cop seine Kollegin Elsie irgendwann bittet, ihm „etwas Positives über diesen verdammten Ort“ zu sagen, antwortet die lapidar: „Seit der Typhus-Welle im vergangenen Jahr gibt es hier keine Ratten mehr. Die haben nichts mehr zu fressen gefunden.“ Die Leiterin der provisorischen Polizeiwache kämpft indes mit ihren eigenen Dämonen. Um ihren Mann Leopold (Benjamin Sadler) aus der Kriegsgefangenschaft zu befreien, muss sie für einen russischen Kommandeur spionieren.Schuttberge und Bombenkrater, Vergewaltigungen und Morde
Thrillerspezialist Måns Mårlind wagt mit „Schatten der Mörder – Shadowplay“ einen kühnen Blick in den Abgrund, den sich deutsche Filmschaffende in dieser Form wohl kaum getraut hätten, aus Furcht, in diesem geschichtlichen Minenfeld daneben zu treten. Für den schwedischen Erfolgsshowrunner war die Stunde Null nach dem Zweiten Weltkrieg hingegen ein „filmisches Niemandsland“, dass er unbedingt erkunden wolle. Diese „wahnsinnig spannende, sehr extreme Zeit“ sei „ein idealer Nährboden für Geschichtenerzähler“, sagte er der deutschen Fachzeitschrift Blickpunkt:Film. In einer solchen Situation werde man mit der Frage konfrontiert, wer man wirklich sei. Doch Mårlinds Herz-Projekt stieß zunächst auf Widerstände. Schuttberge und Bombenkrater, Vergewaltigungen und Morde, Kriegstraumata, entwurzelte Menschen - das alles sei viel zu düster und deprimierend für einen unterhaltsamen Fernsehabend.Der Kanadier Taylor Kitsch („Friday Night Lights“) überzeugt als mit sich hadernder New Yorker Cop. Michael C. Hall wurde mit den TV-Hit „Six Feet Under“ und als Serienkiller „Dexter“ zum Star. Die von Kritik und Publikum gleichermaßen verehrte Grimme-Preis-Trägerin Nina Hoss hat spätestens seit dem ebenfalls im Nachkriegs-Berlin spielenden Drama „Eine Frau in Berlin“ eine weltweite Fangemeinde. Logan Marshall-Green wirkte in Kino-Großproduktionen wie Ridley Scotts „Prometheus“ mit. Als „Engelmacher“ herrlich fies: Sebastian Koch (Grimme-Preis für „Die Manns“). Daneben begeistern Mala Emde („Meine Tochter Anne Frank“),, Anne Ratte-Polle („Es gilt das gesprochene Wort“), die Britin Tuppence Middleton („Sense8“), Benjamin Sadler („Contergan“) und in einem Kurzauftritt Ex-„Tatort“-Ermittler Martin Wuttke.
Nachkriegs Heideröslein
Mit der Finesse seines Welterfolgs „Die Brücke - Transit in den Tod“ kann der jüngste Streich des Schweden dennoch nicht mithalten. Zu vorhersehbar die Plotwendungen, zu grobstrichig die Charakterzeichnung, zu pathosschwanger die Dialoge, zu tief der Griff in die Klischeekiste. Im deutschsprachigen Raum stieß „Shadowplay“ denn auch nicht nur wegen der expliziten Brutalität auf geteiltes Echo. Es sei schwer, „zu überblicken, was für einen Rummelplatz der unterhaltungsfilmischen Nachkriegszeit-Attraktion“ die Serie in knapp acht Stunden aufbaue, befand die FAZ. Der Achtteiler „jongliert mit historischen Schuldkomplexen so leichtfertig, als wäre das ein Kinderspiel, bei dem man mal trifft und mal daneben liegen darf“, kritisierte die deutsche GQ, und für die Berliner Zeitung war der Nachkriegsthriller ein „ schräges Schauermärchen“.Credits:
Schatten der Mörder – Shadowplay (internationaler Titel "Shadowplay, The Defeated"), Regie: Björn Stein, Måns Mårlind, Drehbuch: Måns Mårlind. Besetzung: Taylor Kitsch, Logan Marshall-Green, Nina Hoss, Michael C. Hall, Sebastian Koch, Mala Emde. Laufzeit Staffel 1: 8 Episoden @ jeweils ca. 60 Min.