Mit Comics gegen Vorurteile
„Gegen Stigmatisierung der Menstruation“

Menstrupedia: Ein Comic klärt Mädchen über die Menstruation auf.
Menstrupedia: Ein Comic klärt Mädchen über die Menstruation auf. | © Mestrupedia.com (Ausschnitt)

Über die Monatsblutung wird in Indien selten diskutiert. Grund: Frauen gelten während ihrer Periode als unrein. Mit dem Ziel, Missverständnisse über die Menstruation zu beseitigen, hat Aditi Gupta zusammen mit ihrem Mann Tuhin Paul den Aufklärungscomic ‚Menstrupedia' ins Leben gerufen. Menstrupedia’ ist mittlerweile in 15 Sprachen verfügbar. Neben Englisch, Spanisch und Russisch gibt es die Comics in elf regionalen Sprachen Indiens: von Assamesisch bis Telugu. Ein Gespräch mit der Gründerin über Reinheit, Scham und Feminismus in Indien.

Von Natalie Mayroth

Frau Gupta, wie kam es, dass Sie einen Comic über die Menstruation gemacht haben?
Menstrupedia ist aus meiner Erfahrung entstanden, für seine Menstruation stigmatisiert zu werden. Meine Arbeit hat begonnen, als ich das erste Mal offen mit einem Mann darüber gesprochen habe. Das war während meines  Designstudiums, mit meinem Kollegen Tuhin. Wir waren damals 25 Jahre alt. 
 
Wie hat er darauf reagiert?
Er war etwas traurig, denn niemand hatte ihm davor erzählt, was seine Mutter jeden Monat erlebt. Er hätte ihr gerne geholfen oder ihr etwas Gutes getan, doch das konnte er nicht.
 
Glauben Sie, dass Frauen während ihrer Tage anders behandelt werden möchten?
Jeder würde Verständnis bevorzugen, aber wenn dafür ein Tabu gebrochen werden muss, ist das zu unangenehm. Viele Opfer sexualisierter Gewalt behalten beispielsweise ihre Erfahrungen für sich. Das ist der Grund, warum viele Fälle von Kindesmissbrauch und sexueller Belästigung im Verborgenen bleiben.
 
Ich habe in einem Reiseführer gelesen, dass Köchinnen in Indien nicht arbeiten dürfen, wenn sie ihre Periode haben. 
Viele Haushalte in Gujarat erlauben Frauen immer noch nicht, während der Menstruation zu kochen. Diese Praxis war ursprünglich dazu gedacht, Frauen eine Pause von den Hausarbeiten zu ermöglichen. Es hat sich jedoch der Weise manifestiert, Frauen als „unrein" darzustellen. Ich habe kein Problem damit, dass Familien ihren Müttern und Töchtern etwas Ruhe gönnen wollen, aber es hat eine heuchlerische Seite. Man kann einer Frau Menstruationsurlaub gönnen, ohne sie als unrein zu brandmarken.
 
Gibt es in Indien diesbezüglich weitere Einschränkungen für Frauen?
Vor vielen öffentlichen Orten gibt es Schilder, die besagen „Schuhe verboten“, „Kameras verboten“, „Menstruierende Frauen verboten“. Frauen wird während der Blutung nicht erlaubt, Tempel zu besuchen, weil ihre Körper selbst als Tempel betrachtet werden. Ein Tempel kann aber nicht in einen Tempel gehen. Und das zeigt wieder die Macht des Patriarchats.
 
Können Sie das Konzept von „Reinheit und Scham“ näher erklären?
Es ist eine systematische Art, Frauen zu kontrollieren. Es gibt ein ausgezeichnetes Buch, Reinheit und Gefährdung von Mary Douglas. Ich weiß nicht, wer die Ehre der Frau mit ihrer Vagina gleichgesetzt hat. Aber ich sehe, dass Sex so stigmatisiert ist. Es gibt viele Auseinandersetzungen über die „Ehre" der Frau. Schaut man sich die Geschichte von Krieg und Konflikten an, dann werden Frauen vergewaltigt und Kinder getötet.
 
Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Jugend in Indien gemacht?
Ich wurde in einer Zeit geboren, in der viele weibliche Föten abgetrieben worden sind. Dafür ging es mir noch gut. Das ist ein trauriger Witz, aber wahr. Ich hatte Glück, dass meine Eltern so aufgeschlossen sind. Damenbinden hatte ich als Mädchen trotzdem keine. Nicht, weil wir sie uns nicht leisten konnten, sondern weil es zu unangenehm war, welche zu kaufen. Das hat mein Selbstbewusstsein und meine Ausbildung beeinträchtig. Ich musste Stoffreste verwenden. Die sind zwar nachhaltiger, aber nicht angenehm und ich musste sie verstecken. Ich erinnere mich, wie schrecklich es während der Regenzeit war, während meiner Periode mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren.
 
Warum ist es für Sie wichtig, über dieses Thema zu sprechen?
In Indien verwendet etwa die Hälfte der Frauen während ihrer Periode keine Hygieneprodukte. In den kommenden fünf Jahren werden 55 Millionen Mädchen in Indien ihre erste Periode haben. Wegen der Stigmatisierung werden 88 Prozent von ihnen glauben, dass es kein natürlicher Prozess ist. Es gibt einen Grund dafür. Schauen Sie sich die Lehrbücher an, die sie in der Schule verwenden – das Kapitel über die Menstruation fehlt. Nur kleine Schulen befassen sich manchmal mit dem Thema. In unserer Gesellschaft gibt es ein ausgeprägtes Schamgefühl, und alle Lehrer sind damit aufgewachsen.
 

Aditi Gupta und ihr Ehemann Tuhin Paul
Aditi Gupta und ihr Ehemann Tuhin Paul | © Menstrupedia

Woher kommt die Scham?
Es hat damit zu tun, wie Frauen erzogen werden. Meine Mutter hat das Schamgefühl verinnerlicht. Ich lebe in einer Kultur, in der es einen allgegenwärtigen Sinn für Sünde gibt. Menschen glauben, dass das Berühren heiliger Objekte während der Menstruation sie unrein macht, weil religiöse Institutionen das weitergeben.
 
Ist das ein Phänomen in der hinduistischen Kultur?
Stigmata gibt es auch in anderen Religionen. In muslimischen Gemeinden ist es Frauen nicht erlaubt, während ihrer Tage Henna auf den Händen zu tragen. In Jain-Familien müssen Frauen zum Teil auf dünnen Matten auf dem Boden schlafen anstatt im Bett. Ich bin, wenn ich meine Tage hatte, immer in Gurdwaras (Sikh Tempel) zum Beten gegangen. Dort gab es keine Schilder, die Frauen einmal im Monat den Eintritt verboten hätten. In den ersten vier Jahren meines Ingenieurstudiums dachten deshalb viele, dass ich Punjabi bin und der Sikh-Religion angehöre.
 
Woher wissen Sie, wie Familien damit umgehen?
Für meine Arbeit wurde ich zum ‚schamlosen Mädchen’. Ich habe viele Familien in Gujarat besucht. Und dabei gelernt, dass dieses Tabu nichts mit dem finanziellen Hintergrund der Familien zu tun hat. Tatsächlich habe ich mehr Widerstand in der Mittelschicht, als in den Dörfern erfahren. Frauen sind dabei die größten Verfechter ihrer eigenen Unterdrückung.
 
Es ist sogar schwierig, Kondome stigmafrei zu kaufen. Deshalb bestellen jungen Frauen online.
Ich weiß. Es ist fast leichter, Drogen zu kaufen als Binden oder Kondome. Doch das ändert sich langsam. Es gab die erste Werbung für Damenbinden, die echtes Blut gezeigt hat. Das Unternehmen, mit dem wir zusammenarbeiten, hat die #touchthepickels-Kampagne ins Leben gerufen. Mit der die gängige Praxis hinterfragt wird, ob Frauen während ihrer Tage wirklich kein Eingelegtes, die beliebten indischen ‚Pickels’, anfassen dürfen.
 
Wie konnten Sie ihre Familie vom Gegenteil überzeugen?
Ich habe sie involviert. Bei unserem ersten Prototyp auf Hindi, den wir noch im College gestaltet haben, war meine Mutter die Lektorin. Als wir dann unsere Jobs gekündigt haben, um Vollzeit für Menstrupedia zu arbeiten, waren sie etwas unmutig. Doch das ist verflogen. Meine Mutter hat immer eine Ausgabe bei sich, um sie zu zeigen. Tuhins Mutter hat die bengalische Ausgabe bearbeitet.  
 
Was haben Sie aus der intensiven Auseinandersetzung gelernt?
Als wir anfingen, dachten wir, dass das Konzept von „Schande" ein indisches Problem ist. Wir hatten eine grobe Vorstellung, dass es ein südasiatisches Problem sein könnte. Aber nach meinem TED-Talk habe ich eine überwältigende Resonanz bekommen, sogar aus Italien und den USA.
 
Der Comic wird für Mädchen ab neun Jahren empfohlen. Ist das nicht etwas früh?
Über die Periode zu sprechen, ist wichtig, schon bevor sie losgeht. Deshalb erklären wir den Ablauf von Kapitel zu Kapitel. Der Grund, warum wir uns für einen Comic entschieden haben, ist, dass sich niemand angegriffen fühlt. Man muss die Kultur der Leute respektieren. Eltern wollen sicher nicht, dass ihre Töchter ein „schmutziges Buch" lesen. Als Ergebnis haben wir vieles vereinfacht. Ich persönlich bevorzuge eine Menstruationstasse, aber ich glaube nicht, dass es eine Neunjährige mögen würde. Deshalb sprechen wir über Einweg- und wiederverwendbare Binden. Ich bin mir nicht sicher, ob Indien dafür bereit ist, aber wir wollen dieses Buch auch für Jungen und Eltern machen. Bildung ist unser Aktivismus.

Top