Immerwährende Relevanz über die Jahrzehnte
Ein Überblick über deutsche und internationale Filmproduktionen zu Karl Marx

Karl Marx und seine Erben
© WDR/ARTE / Neue Artfilm

Das Oeuvre von Filmen zu Karl Marx ist sehr überschaubar und gut in einem Filmprogramm zu bündeln. Neben mehreren eher biographischen Spielfilmen gibt es auch einige Dokumentarfilme, die direkt oder indirekt auf Marx Bezug nehmen.

Von Dr. Alexander Schwarz

Gemessen an der Größe der historischen Figur ist das Oeuvre von Filmen zu Karl Marx sehr überschaubar und gut in einem Filmprogramm zu bündeln. Es gibt nur eine Handvoll biographischer Filme, die sich interessanterweise fast alle auf den jungen Marx konzentrieren, sowie einige Dokumentarfilme, die direkt oder indirekt auf Marx Bezug nehmen. Besonders geeignet, um Marx auch als Person kennenzulernen, ist der aktuelle Spielfilm Der junge Karl Marx (The Young Karl Marx, FRA/D/GBR, 2017) von Raoul Peck. Sein Verdienst ist es auch, die historisch weitgehend verdrängte Rolle von Marx‘ Frau Jenny ins Blickfeld zu rücken und die Entstehung des Marx‘schen Werks im biografischen Kontext zu sehen.

Der junge Karl Marx © Frederic Batier / Agat Film / Velvet Film

Unter den historischen Filmen sticht besonders Mohr und die Raben von London (Moor and the Ravens of London, DDR, 1969) von Helmut Dziuba hervor. Im konkreten Kampf gegen Kinderarbeit und Elend in einer britischen Fabrik verlässt Marx hier einmal seinen Schreibtisch und erprobt zusammen mit Friedrich Engels gewissermaßen seine Theorie an seinen jungen, mutigen Helden, die er jedoch (im Sinne der Partei) erziehen muss.

In jüngster Zeit ist ein Unbehagen gewachsen

„Die Geschichte, könnte man meinen, hat Karl Marx widerlegt. Kaum jemand träumt noch von der Revolution, und doch ist in jüngster Zeit ein Unbehagen gewachsen: Wir wollen wissen, wie jene Kraft entsteht, die unsere Welt immer tiefer spaltet“, schreibt der Marx-Kenner Thomas Steinfeld. Das ist auch das zentrale Motiv mehrerer Dokumentar- und Essayfilme, die sich insbesondere seit der jüngsten Finanzkrise mit der neuen Aktualität von Marx kreativ auseinandersetzen.

So zeigt Jason Bakers mitten in der Krise gedrehter Film Marx Reloaded (D, 2010) die erstaunliche neue Relevanz von Marx selbst unter Londoner Bankern auf. Alexander Kluges monumentale Sammlung von Essayfilmen zum Dreigestirn Marx, Eisenstein und dem Kapital Nachrichten aus der ideologischen Antike (News From Ideological Antiquity, D, 2008) gräbt unter „historischen Schuttmassen“ die „keineswegs überholten analytischen Instrumente“ von Marx und der ultramodernen Methode „visueller Konstellationen“ von Eisenstein aus, so Alexander Kluge im Booklet zur DVD-Ausgabe.

Nachrichten aus der Ideologischen Antike – Marx/Eisenstein/Das Kapital

Lässt sich Marx‘ Analyse des Manchester-Kapitalismus auf die Problematik der digitalen Marktwirtschaft übertragen? Wer sich von Stephanie Flanders in Masters of Money: Marx (GBR, 2012) und durch Bob Godfreys witzigen Animationskurzfilm Marx For Beginners (GBR, 1979) Marx erklären lässt, hat danach einiges mehr über Geschichte und Gegenwart verstanden. Als persönliche Suche nach einer scheinbar verlorenen Welt der Linken, von Solidaritäts- und Kampfgeist, wie er den jungen internationalen Kommunisten aus aller Welt in einer DDR-Kaderschule gelehrt wurde, spürt 25 Jahre später die Finnin Kirsi Liimateinen nach. Sie sucht ihre früheren Freunde in Bolivien, Chile, dem Libanon und in Südafrika auf und fragt nach: Comrade, Where Are You Now? (D/FIN, 2016). Der provokant-frische Dokumentarfilm Free Lunch Society (AUT/D, 2017) des Österreichers Christian Tod sucht ganz konkret nach radikalen Lösungen für heutige globale und unbewältigte gesellschaftliche Krisen.

Free Lunch Society

Brandaktuell sind zwei Filme, die vom deutschen Fernsehen anlässlich des Jubiläums im Mai 2018 produziert wurden und auch einen neuen Zugang zu ihm suchen: Das Dokudrama Karl Marx: Der deutsche Prophet (D, 2018) begleitet Marx (gespielt von Mario Adorf!) auf seinen kaum bekannten Reisen in den letzten Lebensjahren und lässt ihn auf sein Leben zurückblicken, während einige Marx-Kenner seine Wirkung kritisch einordnen. Die sehr unterhaltsame und aufschlussreiche Dokumentation Karl Marx und sein Erbe (Karl Marx – The Spectre is Still Alive, D/FRA, 2018) von Christian Twente zeichnet einige seiner Lebensstationen nach, legt aber besonderes Augenmerk auf die große Bedeutung, die Marx etwa in China bis heute hat.

Von klassischer sowjetischer Biographie zu skurrilem Kult an Marx‘ Grab in London

Einige weitere Filme, die nicht in das Jubiläums-Filmprogramm Eingang finden können, sollen dennoch vorgestellt werden: Auf klassische sowjetische Weise pflegt Ein Leben wie ein ganzes Leben  (A Year as Long as Life; God kak schisn, SU, 1966) das Erbe Marx‘, konzentriert auf die turbulente Zeit des europäischen Revolutionsjahres 1848. Das siebenteilige sowjetische TV-Movie Karl Marx: Die jungen Jahre (Karl Marx – The Early Years; Karl Marks – Molodye gody, SU, 1979) breitet die Lebensgeschichte Marx‘ in der „revolutionären Phase“ als großen Kostümfilm aus.

Karl Marks – Molodye Gody (Karl Marx – Die jungen Jahre)

Einer der wenigen Filme, die schon früher das Augenmerk auf Marx‘ Frau richtete, ist Michel Wyns Jenny Marx, la femme du diable (Jenny Marx – Die Frau des Teufels, FRA, 1993). Die mitunter skurrilen Auswüchse des Marx-Kultes im Londoner Highgate Cemetary beobachtet Peter von Bagh in Ein Tag am Grab des Karl Marx (A Day at the Grave of Karl Marx; Päivä Karl Marxin haudalla,FIN, 1983). Und als in der DDR nicht opportunes, aber nach der Wiedervereinigung Deutschland dann fertiggestelltes Projekt mit zwei Free-Jazz-Musikern, die am Marx-Engels-Denkmal am Berliner Alexanderplatz spielen, darf der meditative Film des Dokumentaristen Jürgen Böttcher hier nicht fehlen: Konzert im Freien (A Place in Berlin, D, 2001).

Ist eine Welt ohne Ketten denkbar?

Die zentralen Begriffe in Marx‘ Universum – Kapital, Eigentum, Arbeit, Gleichheit, Krise, Revolution (zum Beispiel die digitale) – sind in der Tat topaktuell. Die Frage jedoch ist weniger die, ob Marx „Recht hatte“, wo doch „der Marxismus gescheitert sei“, sondern ob eine „Welt ohne Ketten“ denkbar und machbar ist. Man muss wissen, woran man ist, schreibt Thomas Steinfeld in Herr der Gespenster (Hanser Verlag, 2017), die Mechanismen des Marktes und das Verhalten „des Kapitals“ verstehen, statt als Rätsel zu begreifen. Nach den Analysen von Marx können wir nicht mehr behaupten, dafür keine Instrumente zu haben und die Zusammenhänge nicht zu begreifen. Auch die Filme über Marx und seine Folgen und Erben helfen, sich über die Gewalt, die Geld auf Menschen ausübt, über die Macht, die in Waren(-Wirtschaft) liegt, und über Krisen als Normalfall unserer Wirtschaftsform klarer zu werden.

Der bekannte deutsche Maler Daniel Richter hat vor einigen Jahren die Frage nach seinen Lieblingsschriftstellern auf unschlagbar pointierte Weise beantwortet, die Abenteuer, Unterhaltung, Kommerz und tiefes Weltverständnis bündelt: Karl May, Karl Marx und Carl Barks...lassen wir uns in diesem Jubiläumsjahr von Karl Marx, seinen Kritikern und Wiederentdeckern inspirieren.

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