Minihäuser für Obdachlose
Zu Hause ist es doch am schönsten

Die Bewohner des Opportunity Village zahlen 30 Dollar Miete im Monat.
© SquareOne Villages

Mikrohäuser in Eugene, Oregon, vermitteln ehemals Obdachlosen ein Gefühl von eigenem Besitz und Gemeinschaft.

Rhonda Harding arbeitete als häusliche Pflegehilfe, als sie obdachlos wurde. Ihr Auftraggeber verstarb, und Harding konnte keine andere Bleibe finden. „Da ich ja nicht in seinem Mietvertrag stand, wusste ich nicht, wohin“, erzählt sie.Ein Artikel in der Lokalzeitschrift von Eugene im US-Staat Oregon über ein geplantes „Mikrohaus-Pilotprojekt auf Zeit“ erregte Hardings Aufmerksamkeit, und sie und ihr langjähriger Lebensgefährte bewarben sich. Sie wurden zwei der ersten Mitglieder des Opportunity Village Eugene (OVE), übersetzt etwa „Dorf der Möglichkeiten Eugene“.

Eine Bleibe

Das Opportunity Village ist eine gemeinnützige, selbstverwaltete Gemeinschaft mit kostengünstigen Mikrohäusern für Menschen in Wohnungsnot. Seit 2013 hat es 90 Menschen eine Unterkunft geboten, und derzeit leben hier 30 bis 35 Personen. Das Dorf besteht aus 20 Bungalows von 5,5 bis 7,5 Quadratmetern Größe – was deutlich kleiner ist als die für ein Mikrohaus üblichen 35 bis 45 Quadratmeter – sowie neun Conestoga-Wagen, einem Bad, einem Pförtnerhaus und einer Jurte als Gemeinschafts- und Kochraum.Das Dorf vermittelt das Gefühl von eigenem Besitz gepaart mit einer eigenständigen Gemeinschaft. Die Bewohner zahlen 30 US-Dollar Miete im Monat, nehmen an wöchentlich stattfindenden, obligatorischen Versammlungen teil und leisten zehn Stunden Arbeit pro Woche, wie Führungen für Besucher, Dienst im Pförtnerhaus und Reinigung der Gemeinschaftsräume.

Das OVE entstand als Antwort auf die große Anzahl von Obdachlosen im Raum Eugene. Schätzungen zufolge sind derzeit nahezu 3000 Menschen in der 150.000-Einwohner-Stadt obdachlos. Die lokale Occupy-Bewegung förderte den Ernst der Lage zu Tage. Nach einer Reihe von Gemeindeversammlungen richtete Bürgermeisterin Kitty Piercy eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung von Lösungsvorschlägen ein. Der erste war, Obdachlosen schlicht einen Ort zu geben, an dem sie leben können.Der Stadtrat fand ein für das Opportunity Village geeignetes, brachliegendes Grundstück, und das Dorf wurde durch Kirchen- und Gemeindegruppen, Privatpersonen und lokale Unternehmen in gemeinschaftlichen und freiwilligen Arbeitseinsätzen mit gespendetem Material errichtet. Finanziert wurde es aus Spenden und Fördergeldern. Der Stadtrat willigte anfangs mit einer Stimmenanzahl von sechs zu zwei Stimmen ein, das Grundstück für einen Dollar pro Jahr und für zwölf Monate auf Probe zu verpachten. Als der Pachtvertrag nach Ablauf des Jahres erneut zur Abstimmung kam, wurde er einstimmig verlängert.

Eigenverwaltet und einander verbunden

Dan Bryant ist Pfarrer an der First Christian Church in Eugene, Geschäftsführer des Opportunity Village und einer der führenden Köpfe in der Obdachlosenhilfe der Gemeinde Eugene. Er hält das Projekt für einen unbestreitbaren Erfolg. „Bald ist wieder eine Verlängerung fällig“, sagt er. „Und ich gehe davon aus, dass sie genehmigt wird. Ich glaube, niemand würde bestreiten, dass das Projekt ein Erfolg ist.“Weil das OVE keine Mitarbeiter hat – ein Vorstand hilft bei Entscheidungen, wenn nötig –, müssen sich die Dorfbewohner etwa bei Sucht- und psychischen Problemen an bestehende Gemeindeeinrichtungen wenden. Sie stellen eigene Regeln für das Zusammenleben auf, setzen sie durch und regeln Konflikte untereinander.

An einem gewöhnlichen Tag gehen manche der Bewohner zur Arbeit, andere zur Schule, und wieder andere sind im Computerlabor auf der Suche nach Arbeit oder füllen Bewerbungsbögen aus. Rhonda Harding spürt ein Gefühl der Verbundenheit in der Gemeinschaft. Und als man sie fragt, wo sie wäre, wenn sie keine Bleibe im OVE gefunden hätte, antwortet sie leise: „Ganz ehrlich, das weiß ich nicht. Ich arbeite in der Tagespflege, aber das reicht gerade einmal für meine Handyrechnung.“

Von vorübergehenden zu permanenten Wohnlösungen

Etwa zwei Drittel der Bewohner des OVE finden danach eine dauerhafte Unterkunft. Doch in einer Stadt mit 3000 Obdachlosen, erklärt Pfarrer Bryant, brauche man eben nicht nur vorübergehende, sondern auch permanente Wohnräume, um die Menschen von der Straße zu bekommen.„Es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt der in Oregon gebürtige Pfarrerssohn. „Zwei Dritteln der Menschen, die das Dorf verlassen haben, ist es gelungen, eine andere Bleibe zu finden, aber das andere Drittel ist vermutlich immer noch obdachlos.“

Aufbauend auf dem Erfolg des OVE reformierte sich die gemeinnützige Initiative zu SquareOne Villages. Bryant und sein Team, zu dem auch der Mitbegründer Andrew Heben, Autor von Tent City Urbanism: From Self-Organized Camps to Tiny House Villages gehört, sind dabei, das Emerald Village (EV) zu errichten. EV ist ein Mikrohaus-Dorf mit permanenten Unterkünften und soll dem Mangel an dauerhaften Wohnmöglichkeiten für kleine Haushalte entgegenwirken. Fördergelder werden vorzugsweise für Familien ausgegeben, und daher verfügen die meisten bezahlbaren Wohnräume, die gebaut werden, über mehrere Schlafzimmer.

„Es gibt einfach nicht genügend Zweizimmerwohnungen“, klagt Bryant. „So liegt in unserer Gemeinde die Wartezeit für Wohnungen mit drei, vier oder fünf Zimmern zwischen zwei und drei Jahren. Auf eine Zweiraumwohnung wartet man mehr als fünf Jahre. Unsere Wohnungsbehörde hat aufgehört, die Leute auf die Warteliste zu setzen, weil es eh keinen Zweck hatte.“

Das EV aus Mikrohäusern mit Küche, Heizung und Bad soll schon im Herbst dieses Jahres fertigstellt werden. Das Dorf soll selbsterhaltend wirtschaften, und die Bewohner müssen eine monatliche Miete zwischen 250 und 350 Dollar zahlen. Ein Teil der Miete wird auf einem Sparkonto angelegt und soll den Dorfbewohnern einen Anteil am Besitz und Ersparnisse für die Zukunft bieten.

Ein erfolgreiches Modell gegen alle Widerstände voranbringen

Eine der größten Herausforderungen, der sich SquareOne bei der Errichtung des EV gegenübersah, war der Widerstand der Nachbarn, die kein Mikrohaus-Dorf in ihrer Gegend wollten. Um auf ihre Bedenken einzugehen, traf sich das SquareOne-Team, das aus Bryant, Heben, der Village-Koordinatorin Melissa Spider Smith, Praktikanten und einem Vorstand besteht, mit den Anwohnern zu gemeinsamen Gesprächen. Schließlich einigte man sich darauf, dass ein Vertreter der Nachbarschaft im Bewerbungsausschuss für das Village sitzen wird, der für eine geeignete Auswahl der Neuzugänge im Dorf sorgen soll.„Wir wollen sicherstellen, dass die Besten Leute an Bord sind, damit unser Projekt ein Erfolg werden kann“, führt Bryant aus. „Und die Nachbarn wollen ein gutes Gefühl bei den Menschen haben, die in ihre Gegend ziehen.“

Beflügelt durch den Erfolg des OVE und die schwungvolle Entwicklung des EV plant SquareOne, anderen Gemeinden bei der Übertragung des Mikrohaus-Dorfmodells zur Seite zu stehen. Die Gruppe ist beratend bei Projekten in ganz USA tätig und will ein Produkt entwickeln, das Gemeinden bei der Einrichtung von Mikrohaus-Dörfern für Obdachlose unterstützt. Um das Projekt auf den Weg zu bringen, bemüht sich SquareOne um Fördergelder in Höhe von 150.000 Dollar.

„Wir sind sehr zuversichtlich“, sagt Bryant, „dass es uns gelingt, ein Produkt zu entwickeln, das sich einfach an die Bedürfnisse der Gemeinden im ganzen Land anpassen lässt.“

Für Bryant hat es oberste Priorität, Menschen dabei zu helfen, in Würde zu leben. Er will ein Modell schaffen, bei dem es sich Einzelpersonen mit einem Einkommen von monatlich 800 Dollar leisten können, angemessen zu wohnen und mit Stolz Teil der Gemeinde zu sein.

„Für die Menschen in unseren Gemeinden ist ein Obdachloser eine Schande“, erklärt er. „Für mich ist es eine Schande, dass wir als Gesellschaft es den Ärmsten der Armen nicht ermöglicht haben, wenigstens mit ein bisschen Würde zu leben.“
 

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