Worlds of Homelessness
​Mehr als Theater - das andere LAPD

Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theatre
Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theatre | © Photo: Steven Gunther / REDCAT

Wer LAPD hört, denkt in Los Angeles an die Polizei. Doch LAPD, das steht auch für ‘Los Angeles Poverty Department’, eine Theatergruppe von Obdachlosen und ehemals Obdachlosen. Gegründet hat sie 1985 Regisseur, Schauspieler und Performance-Aktivist John Malpede. Das Goethe Institut in Los Angeles hat jetzt mit LAPD eine Partnerschaft für die “Worlds of Homelessness” Initiative gebildet und war bei der Premiere ihres neuesten Stücks: “I Fly! or How to Keep the Devil down in the Hole”

Von Kerstin Zilm

Nur noch knapp eine halbe Stunde bis zum Beginn der Show. Von einer Sitzecke aus beobachtet Ray Lewis Zuschauer in der Lobby von REDCAT, der von CalArts gegründeten Bühne für innovative Kunst in der Walt Disney Hall. Ray ist Trommler und Heilpraktiker. 19 Jahre lebte er auf Skid Row, dem größten Obdachlosenviertel in Los Angeles. Er war drogenabhängig und mehrmals im Gefängnis. Seit fünf Jahren ist er abstinent. “Ich möchte anderen zeigen, wie sie sich besser fühlen und positiv entwickeln können,” sagt Ray. Eine Übung, die er im Entzug gelernt hat, spielt im neusten LAPD-Stück eine wichtige Rolle.
Keith Johnson raucht noch schnell eine Zigarette vor dem Theater. Er ist vor sechs Monaten aus Chicago nach Skid Row gekommen. “Gott hat mir gesagt, ich muss hier seine Botschaft predigen,” erzählt er. Tanzen und Singen sind seine Leidenschaft. Bei LAPD hat er eine Gemeinschaft gefunden. “Keiner schaut dich schief an, egal wer du bist und her du kommst. Sie haben mich mit offenen Armen aufgenommen.” 
Stephanie Bell ist auf dem Weg zur Bühne. Die 57 jährige Schauspielerin und Sängerin geht am Stock. Sie hat einen Herzinfarkt und mehrere Schlaganfälle überlebt. Skid Row ist ihr zu Hause. “Hier habe ich meine Freunde,” sagt sie. “Wir passen auf einander auf.” Seit 24 Jahren gehört Stephanie zum LAPD-Ensemble. “Nirgendwo sonst siehst du die wahren Geschichten aus unserem Leben.”

  • Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theater © Foto: Steven Gunther / REDCAT

    Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theater

  • Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theater © Foto: Steven Gunther / REDCAT

    Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theatre

  • Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theater © Foto: Steven Gunther / REDCAT

    Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theatre

  • Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theater © Foto: Steven Gunther / REDCAT

    Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theatre

  • Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theater © Foto: Steven Gunther / REDCAT

    Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theatre

  • Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theater © Foto: Steven Gunther / REDCAT

    Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theatre

  • Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theater © Foto: Steven Gunther / REDCAT

    Los Angeles Poverty Department (LAPD) Vorstellung von "I fly! or How to Keep the Devil Down in the Hole" in dem REDCAT Theatre

Genau darum geht es LAPD-Gründer John Malpede. Medien und Politiker zeigen aus seiner Sicht meistens nur ein Bild von Skid Row: Zelte auf dem Bürgersteig. “Dabei ist das eine komplexe, dynamische Gemeinde voller Wissen und Weisheit,” sagt er. “Wir können von ihr Toleranz und Krisenmanagement lernen.”
Das neuste Werk von LAPD, das Malpede mit seiner Frau Henriette Brouwers inszenierte, geht zurück auf das Schicksal eines ehemaligen Bewohners von Skid Row: Charly "Africa" Keunang. Der wurde 2015 von einem Polizisten vor seinem Zelt erschossen. Ein Schock für die LAPD Mitglieder. Viele kannten den Mann aus Kamerun. Auf seinen Tod folgte die Frage: “Was nun?” Die Antwort: wir müssen jenseits von Trauer und Protest gegen Polizeibrutalität selbst dafür sorgen, dass sich alle in unserer Gemeinschaft sicher fühlen. In workshops entwickelten sie das Stück “I fly! …”. Darin werden die Schauspieler zur Stimme für “Africa”. Sie erzählen aus seiner Sicht was passierte, eine Sicht die anderswo wenig Beachtung fand.
Sie zeigen Versammlungen und Proteste auf der Bühne, Konfrontation und Unterdrückung, Kolonialisierung und Versklavung, Humor, Trauer und Beharrlichkeit.

Wenn sie in 100 Jahren auf Theater, das heute gemacht wird, zurückblicken, werden die einzig relevanten Arbeiten die sein, die John Malpede mit dem LAPD macht.

- Peter Sellars, gefeierter Theater Regisseur

Rahmenhandlung ist das “Festival for All Skid Row Artists.”, ein Fest im Park des Obdachlosenviertels, das es wirklich gibt. Dieses Jahr hat es sein zehntes Jubiläum. Jedes Mal funktioniert es ohne Gegenwart von Polizei und anderen Sicherheitskräften.  Der Trommel-Rhythmus der Skid Row Playaz und Musik der Funk-Soul Band “ LA Playmakers” akzentuieren die einzelnen Akte. Ray Lewis verlässt seinen Platz an den Trommeln und geht ans Mikrofon. Es ist Zeit, sein Wissen weiterzugeben. Die Zuschauer folgen Rays Aufforderung, aufzustehen und einander in die Augen zu schauen. “Ich liebe mich! Ich liebe dich!” rufen sie sich zu. “Ich bin genug! Du bist genug! Wir sind genug!” Spontane Umarmungen beenden die Übung und Ray geht mit leuchtenden Augen zur Trommel zurück.
 
Die Mischung aus Kunst, Aktivismus und ungewöhnlichen Perspektiven hat das Goethe Institut Los Angeles veranlasst, mit LAPD zusammen zu arbeiten. “Sie haben außerdem einen sehr guten Ruf auf Skid Row, weil sie schon seit Jahrzehnten mittendrin aktiv sind”, sagt Institutsdirektorin Lien Heidenreich.  LAPD ist für sie ein wichtiger Baustein innerhalb der zwei Jahre langen “Worlds of Homelessness”-Initiative. Diese soll eine Plattform für Künstler, Architekten und Intellektuelle aus aller Welt sein. “Dank unseres globalen Netzwerks können wir das Thema Obdachlosigkeit und Wohnungsmangel aus ganz neuen Blickwinkeln und mit innovativen Kooperationen beleuchten.”
 
Am Ende von “I fly …” tanzen Zuschauer, Schauspieler, Musiker und Regisseure miteinander auf der Bühne. Unter ihnen ist Lorraine Morland. Von ihrem Platz in der ersten Reihe aus hat sie genau zugehört, mitgesungen, gelacht und geweint. “Kunst ist Futter für die Seele”, sagt sie. Vier Jahre schlief Lorraine in einem Hauseingang. Seit 24 Jahren ist sie drogenfrei. Bis heute kommt sie zum Singen im Chor nach Skid Row, und um die zu unterstützen, die die Gemeinschaft dort und sich selbst verbessern wollen. Was sie von diesem Abend mit nach Hause nimmt?  “Öffentliche Sicherheit, das ist nicht mehr und mehr Polizei. Sie entsteht, wenn wir uns umeinander kümmern.”

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