Gespräch
Solidarität und Kompromiss

Double Exposure: Solidarity and Compromise
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Die Thomas Mann Fellows Pola Lehmann und Johannes Gerschewski erforschen den Wert des Kompromisses in demokratischen Gesellschaften.

Goethe-Institut Chicago

Viele Demokratien stehen heute unter Druck, sowohl in Ländern mit lang etablierten Demokratien wie den Vereinigten Staaten als auch in neuen Demokratien wie Ungarn und Polen. Ein offensichtliches Symptom dieses Drucks zeigt sich in der Art und Weise, wie politische Debatten heute geführt werden. Sie werden zunehmend hitziger und unerbittlicher, wobei der anderen Seite das Recht abgesprochen wird, ein legitimer Gegner in der Debatte zu sein. Diskussionen werden angeheizt, indem die verschiedenen Seiten so dargestellt werden, als hätten sie entweder die richtige oder die falsche Antwort, anstatt unterschiedliche, aber legitime Ansichten zu einem bestimmten Thema zu präsentieren. Was kann Gesellschaften in solchen Zeiten zusammenhalten und den sozialen Zusammenhalt stärken? Solidarität kann eine Antwort auf diese Frage sein.
 


Solidarität mit einem Anliegen eines anderen zu zeigen, kann Verbindungen zwischen verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft aufbauen. Doch Solidarität ist auch sehr fordernd; sie erfordert nicht nur, das Anliegen als legitim zu betrachten, sondern auch als wertvoll. Eine weniger fordernde Lösung bietet der politische Kompromiss. Auch Kompromisse setzen voraus, dass das Anliegen eines anderen als legitimer Vertreter anerkannt wird, aber man muss sich nicht zwangsläufig mit ihm verbünden. Die verschiedenen Seiten können weiterhin unterschiedlicher Meinung darüber sein, was die beste Lösung für das jeweilige Problem ist, aber sie respektieren die Ansichten der anderen Seite und handeln in der festen Überzeugung, dass ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Ansichten, selbst wenn dies Verluste auf beiden Seiten bedeutet, besser ist als kein Kompromiss. Doch wie können Gesellschaften in solch aufgeheizten Umfeldern, wie wir sie heute vorfinden, eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und der Legitimität der Anliegen der anderen Seite schaffen?

Pola Lehmann ist Senior Researcher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Co-Direktorin des Manifesto Projects. Sie hat Verwaltungswissenschaften an den Universitäten Potsdam und Kopenhagen studiert. Sie untersucht Demokratie und demokratische Prozesse mit einem besonderen Fokus auf politische Parteien, Wahlen und politische Repräsentation. In ihrer Dissertation, die 2021 mit dem Leibniz-Dissertationspreis ausgezeichnet wurde, untersuchte sie politische Repräsentation und Kompromisse im Deutschen Bundestag.

Johannes Gerschewski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am WZB Berlin und koordiniert die Arbeit des Theory Network im Exzellenzcluster „Contestations of the Liberal Script (SCRIPTS).“ Er hat in Fachzeitschriften wie der American Political Science Review, Perspectives on Politics und Comparative Political Studies veröffentlicht. Sein Buch The Two Logics of Autocratic Rule erschien im April 2023 bei Cambridge University Press.

Während ihres Fellowships im Thomas Mann House werden Pola Lehmann und Johannes Gerschewski den Wert des Kompromisses in demokratischen Gesellschaften erforschen. Gibt es empirische Belege dafür, dass politische Debatten zunehmend hitziger und polarisiert werden? Was können wir tun, um dem entgegenzuwirken, und wo liegen die Grenzen des Kompromisses?

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