Ein berühmter Druckfehler
Grauer Hulk – Grüner Hulk!
„Mensch oder Monster, oder ist er beides?“ fragte das Cover des Marvel-Comics „The Incredible Hulk #1“ im Jahr 1962, und skizzierte damit perfekt die schizophrene Seele des zukünftigen Marvel-Hauptdarstellers. Für Superhelden-Comicfans ist „Der unglaubliche Hulk“ schon seit fast 60 Jahren eine Ikone, und selbst Uneingeweihte kennen spätestens seit dem phänomenalen Erfolg der „Marvel‘s The Avengers“-Filme den brachialen grünen Klotz. Grün? Ohne einen Druckfehler wäre der unglaubliche Hulk nur grau (und möglicherweise lange nicht so populär).
Von Stefan Kloo
Stan Lee, der Schöpfer des Incredible Hulk, hatte ursprünglich einen grauhäutigen Hulk entworfen. Die Figur, die im Wesen von der Boris-Karloff-Inkarnation des gepeinigten Frankenstein-Monsters, Robert Louis Stevensons‘ Dr. Jekyll und Mr. Hyde, und dem Golem aus jüdischer Mythologie inspiriert war, sollte den Erfolg des orangen Fan-Favoriten Das Ding ( The Thing) der Fantastischen Vier wiederholen. Seine Hautfarbe und groteske Statur musste, wie schon bei Das Ding, als Alleinstellungsmerkmal diese Figur definieren, da auch der Hulk ohne Spandex-Outfit und Cape auskommen durfte. Stan Lee wählte Grau für den Hulk, weil er sich nicht auf eine bestimmte ethnische Gruppe beziehen wollte und die Farbe „gruselig und unheimlich“ anmuten sollte.
In der ersten Hulk-Ausgabe aber erschien die von Lee gewünschte Farbe uneinheitlich in einer Vielzahl von Grau- und sogar leichten Grüntönen. Auf einigen Seiten strahlte der Hulk in einem hellen, fast metallischen Teint, auf anderen war er dafür deutlich dunkler anthrazitgrau. Die Vorlagen des Koloristen Stan Goldberg und der Lauf der Ausgabe korrespondierten einfach nicht. Der Druckfehler ist zu erklären: Wenn man in einem Vierfarbdruck Grau wollte und stattdessen Grün bekam, lag das daran, dass die Presse entweder leicht auf Magenta oder schwer auf einer Kombination aus Cyan und Gelb lag. Nachdem Lee die erste veröffentlichte Ausgabe mit der manchmal grünlich schimmernden Haut gesehen hatte, bat er den Koloristen Stan Goldberg, den Hulk für die zweite Ausgabe grün zu machen. Dabei blieb es, in den meisten Nachdrucken wurde der Hulk der Erstausgabe grün nachgefärbt und der „Jolly Green Giant“ sollte zu einem der populärsten und komplexesten Charaktere des Marvel-Universums werden. Da die grüne Haut des Charakters von so grundlegender Bedeutung geworden ist, war der verpatzte Druck in der Tat eine glückliche Fügung: Schätzungen zufolge hat der grüne Antiheld seit seinem grauen Debüt mehr als eine Milliarde Dollar durch Charakterlizenzen generiert.
Verborgen in der schizophrenen Ontologie des Hulk (und der Marvel-Comics als solche) finden aufmerksame Leser*innen also eine komplexe Auseinandersetzung mit sehr menschlichen Eigenschaften. Wo andere Marvel-Charaktere an Liebeskummer, Verlust, Alkoholismus, Trauma oder ihrer Identität straucheln, ist dieser unkontrollierbare Superheld zum Symbol innerer Rage, latenter Ängste, Stress und unverarbeiteter psychischer Belastung geworden. Und wenn der Hulk des MCU vor seiner spektakulärsten Verwandlung im Kampf um New York erklärt: „Das ist mein Geheimnis – ich bin immer wütend …“, wird deutlich, dass nur sein Intellekt und ein bisschen Liebe das Monster im Zaum halten. Das ist für alle Zuschauer*innen, die ihre eigene Wut und irrationale Emotionen irritieren, eine große Geste. Vielleicht sind wir ja alle „Mal grün, mal grau, mal blöd, mal schlau.“ Und in dieser selbstreflektiven Einsicht liegt unser Geheimnis.