Mirath:Music ist eine tourende Soundausstellung über das musikalische Erbe in Westasien und Nord- und Nordost-Afrika. Die Ausstellung verfolgt einen experimentellen kuratorischen Ansatz, indem sie die individuellen Ideen der beteiligten Künstler*innen aufgreift und das Erbe durch die Verbindung musikalischer Elemente von unterschiedlichen Orten und Zeiten lebendig werden lässt.
Über den Zeitraum von mehr als einem Jahr kollaborativen Arbeitens entwickelt, präsentiert die Ausstellung Produktionen von Amel Zen (Algerien), Ghassan Sahhab (Libanon), Hajar Zahawy (Irakisch Kurdistan), Mohamed Adam (Sudan), Rehab Hazgui (Tunesien), Yacoub Abu Ghosh (Jordanien) und Zaid Hilal (Palästina). Die teilnehmenden Künstler*innen waren vom Goethe-Institut dazu eingeladen worden, gemeinsam auf theoretischer wie musikalischer Ebene zu erproben, was musikalisches Kulturerbe ist und was es ihnen bedeutet. Einmal in Verbindung gesetzt, erarbeiteten die Teilnehmer das Ausstellungskonzept und den Inhalt ihrer künstlerischen Arbeiten selbst.
Aufgrund der unvorhersehbaren Umstände der globalen Covid-19-Pandemie mussten sich die Künstler virtuell treffen. Diese physische Abwesenheit und der mit ihr verbundene Mangel an direkter Interaktion haben den kollaborativen Prozess stark beeinflusst. Gleichzeitig entwickelten sich die Distanz und geografische Fragmentierung zu einem eigenen, integralen Teil der gemeinsamen Arbeitserfahrung. Zwischen Lockdowns und Reisebeschränkungen produzierten die Künstler jeweils zwei musikalische Arbeiten und ein fünfzehnminütiges kollaboratives Stück, das die Vielseitigkeit ihrer einzelnen Hintergründe widerspiegelt.
Mit dem Zugang zu drei wichtigen Tonarchiven ausgestattet, dem Ennejma Ezzahra Center for Arab and Mediterranean Music, der Foundation for Arab Music Archiving and Research (AMAR) und dem Berliner Phonogramm-Archiv, wählten die Künstler unterschiedliche Techniken und Ansätze für ihren musikalischen Produktionen. Trotz der Vielzahl an Herangehensweisen blieben die einzelnen Arbeiten durch gemeinsame Fragestellungen über das kulturelle Erbe und das Archiv verbunden: Welche Rolle spielen Archive und wer entscheidet darüber, was in die Archive eingeht? Was zählt zum Kulturerbe? Gibt es überhaupt eine gemeinsame Definition von Kulturerbe, die auf einen so großen geografischen Raum angewandt werden kann, dessen Grenzen durch koloniale Festlegungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezogen wurden? Ist kulturelles Erbe an die Vergangenheit gebunden, oder verweist die Gegenwart bereits in eine ferne Zukunft, die dann zur erinnerten Vergangenheit wird? Und schließlich: Sind die Werke von heute das Erbe von morgen?
Diese Fragen verfolgend, gingen die Künstler in ihren Arbeiten von ihren persönlichen Erfahrungen in der Gegenwart aus, mit dem Bewusstsein darüber, dass Zeit ein fester Bestandteil ist, der auch ihre eigene musikalische Konzeptualisierung beeinflusst.
Einige der Künstler griffen auf Aufnahmen aus den Archiven zurück und entdeckten durch ihre Arbeit die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die sich in der Musik über den Lauf der Zeit abgebildet haben. Andere nutzten Online-Plattformen, um spezifische Stücke aus ihrem musikalischen Erbe zu finden, denen sie durch ein eigenes Arrangement neues Leben einhauchten. Wieder andere arbeiteten mit eigenen Feldaufnahmen und nutzten Klänge, um gegenwärtige Ereignisse einzufangen und ein persönliches Archiv aufzubauen – ein Prozess, der die Beziehung von Musik und Klang und ihrer sozialen und geografischen Lokalität infrage stellt. Die Quelle, die jedoch alle Künstler am häufigsten nutzten, waren individuelle oder kollektive Erinnerungen.
In einer Region, die immer wieder Kriege, Plünderungen und Eroberungen von außen erlebt hat, haben viele Völker ihr Wissen mündlich überliefert und die Erinnerung als Aufbewahrungsort für wichtige Ereignisse genutzt. Ihre Zeugnisse werden über Lieder, Gedichte und musikalische Formen weitergegeben und bis heute von ihren Angehörigen, die so zum lebendigen, dynamischen Archiv geworden sind, am Leben gehalten.
Diese Tatsache wirft zahlreiche Fragen darüber auf, wie Kultur bewahrt werden kann und soll. Kann das Archiv tatsächlich eine bestimmte Epoche abbilden? Wenn das Archiv ein institutionell geformter Ort des Wissenserhalts ist: Inwieweit bildet es die Vielfalt und die sich stetig im Wandel befindende kultureller Praxis ab? Wie viel Information kann ein Archiv bewahren, ohne mit den indigenen Völkern und Gemeinschaften zusammen zu arbeiten, die die kulturelle Arbeit erbracht haben und ihre spezifischsten Details kennen?
Die Frage danach, wessen Stimme gehört wird und wessen Stimme aktiv verdrängt oder ausgeblendet wird, wird zum umkämpften Feld für jeden Einzelnen, der sich damit auseinandersetzt. Auch dieses Projekt zeigt, dass Künstler und Musiker eine Schlüsselrolle dabei spielen, diese Fragen voranzutreiben und herauszustellen, was ihnen als unabhängige Denker wichtig für die Erinnerung zukünftiger Generationen erscheint.
In dieser wunderbaren Ansammlung von Unterschieden finden wir entscheidende Charakteristiken und Gemeinsamkeiten. Der Besucher ist dazu eingeladen, tief in die klanglichen Erinnerungen von Musikern mit vielfältigen und vielfarbigen Hintergründen aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einzutauchen und ihnen zu lauschen. Jedes Werk erzählt eine andere Geschichte und kreiert eine andere Antwort - hervorgebracht durch die vereinende Kraft der Musik.