Cornelia Sollfranks "commons lab" im Studio XX
Teilen und lebendig bleiben
Die deutsche Künstlerin Cornelia Sollfrank setzt in diesem Frühjahr zum ersten Mal den Fuß auf kanadischen Boden. Die Kunstforscherin, Aktivistin und Hackerin machte sich in den späten 1990er bis in die frühen 2000er Jahre einen Namen in der Netzkunstszene und promovierte 2011 an der schottischen University of Dundee mit einer Arbeit über Copyright und Kunst. Das Künstlerzentrum Studio XX zeigt bis zum 22. April 2017 die von Erandy Vergara kuratierte Ausstellung commons lab. Gleichzeitig finden an der Concordia University und an der McGill University begleitende öffentliche Veranstaltungen sowie eine zweiteilige Workshop-Serie statt.
“HOW ARE WE TOGETHER TODAY IN ART?”
MAGDA TYŹLIK-CARVER
Ich habe mich am 2. April dieses Jahres mit Cornelia Sollfrank unterhalten: über Themen im Zusammenhang mit ihrer Forschung, aber natürlich auch über die Ausstellung ihres Werks. Heute wird Sollfrank zu Interventionen und Performances im Internet oder in realen Räumen eingeladen. Dabei hat sie es sich niemals vorgestellt, dass ihre Arbeiten in einer Galerie ausgestellt werden würden, in einem white cube, einem sakralen Ort, der die Künstler verehrt. commons lab spiegelt die Philosophie der Künstlerin in allen Lebensbereichen wider, propagiert den Wert des miteinander Teilens und die Bereitstellung von Gütern für die Gemeinschaft. Sollfranks Ansatz beruht auf den drei Elementen der Gemeingüter, wie sie von Massimo de Angelis postuliert wurden. Danach sind Gemeingüter nicht allein die Ressourcen, die sich die Gemeinschaft teilt. Das Konzept umfasst neben den gebündelten Ressourcen die Gemeinschaften selbst und die Bereitstellung durch die Gemeinschaft. In diesem Sinne propagiert Sollfrank das Teilen von Wissen, ermutigt zur Nutzung von Freier Software, von frei verfügbaren Lizenzen und, noch einen Schritt weitergehend, Do-it-Yourself-Technologien und kostenlose Online-Bibliotheken mit Wikipedia als Erfolgsbeispiel. Sollfrank bezieht sich auch auf die US-Wirtschaftswissenschaftlerin Elinor Ostrom, die für ihre Identifikation von acht Grundprinzipien der erfolgreichen Organisation von Gemeingütern in festen Gemeinschaften als erste Frau 2009 den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten hat (die von Ostrom erarbeiteten Designprinzipien, siehe Link #2.)
Die Haltung, mit der Sollfrank den Galerieraum im Studio XX definiert, erinnert an die Anfänge von Einzelausstellungen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Diese entsprangen dem Wunsch von Einzelnen, einen kritischen, oft von der gängigen Meinung abweichenden Standpunkt zu vertreten. Oftmals kam es zu diesen Ausstellungen nur deswegen, weil es dem Künstler verwehrt wurde, seine Werke in institutionalisierten Kunstausstellungen auszustellen, in jener Epoche die einzigen Institutionen, die einen Künstler offiziell als einen solchen validierten. Der amerikanische Autor und Kurator João Ribas betont in seinem Text über den Ursprung von Einzelausstellungen, dass diese Veranstaltungen einen Protest gegen das offizielle System in England und Frankreich darstellten. Er vertritt die Auffassung, dass diese Einzelausstellungen in der Kunstgeschichtsschreibung der Gegenwart nur wenig Aufmerksamkeit bekommen, und das u.a. aufgrund der Marktausrichtung des Kunstbetriebs. Diese trägt dazu bei, dass spekulative Werte in Umlauf gebracht werden und eine Legitimation herbeiführen, welche zur Auszeichnung der Künstler und Aufbauschung ihrer Bedeutung führt.
In unserer Zeit ist die Einzelausstellung eine eigene Wirtschaftsbranche mit Sammlern, Galerien und Galeristen, Kunstkritikern, Museen, gemeinnützigen Organisationen, Kunstforen und Biennalen. Die Einzelausstellung hat angesichts all dessen ihren ursprünglich rebellischen und Polemiken hervorrufenden Charakter verloren. Wahrgenommen werden Einzelausstellungen heute nur noch als eine kanonische Form ohne Kritikpotenzial. Ribas schließt seinen Artikel mit der Frage über die Tragweite von Einzelausstellungen: „Wie können wir die verlorene Geschichte des Widerstands heraufbeschwören und an den Experimentierwillen appellieren, an die Verneinung und das kritische Engagement, für die Einzelausstellungen einst standen, um über die gegenwärtige Rolle dieser Ausstellungen im Zeitalter der Globalisierung nachzudenken?“ (aus: João Ribas: Notes Towards a History of the Solo Exhibition. Übersetzung des Goethe-Instituts).
commons lab versucht diese Frage zu beantworten. Cornelia Sollfrank lädt uns ein in eine kritische Sphäre, die offen ist für neue Organisationsmodelle außerhalb der herrschenden Strömungen und die mehr Freiheit und Diversifizierung bietet. Studio XX ist der geeignete Ort für ein solches Unterfangen. Es vertritt eine alternative Mission, ein demokratisches, integratives Forum, das dem Feminismus gewidmet und sensibilisiert für Fragen zum Thema gender ist. Es ist ein Ort, der sich der Nicht-Unterdrückung verpflichtet hat, ein Zentrum mit dezentraler, horizontaler Organisationsstruktur.
In größerem Rahmen greift L’Internationale, ein Zusammenschluss von sechs Museen an verschiedenen Standorten in Europa, das Thema der Gemeinschaft auf. Auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens denken die Museen gemeinsam über neue Formen der intermusealen Zusammenarbeit nach, abseits von Bedenken über Wettbewerb, geistigem Eigentum und Besitz. Der spanische Kunsthistoriker Manuel Borja-Villel fasst die Mission dieser Allianz so zusammen: „Zwischen einer globalisierten Welt der Marktdominanzen und einer durchverwalteten Gesellschaft müssen wir einen Freiraum für Widerstand finden, einen Freiraum für Gemeinschaft.“
(Nathalie Zonnenberg. Ibid. S. 64. Übersetzung der Redaktion, siehe Link # 3).
In diesem Sinne wurde das commons lab im Studio XX jenseits von Kunstmarkt, Spekulation und Hierarchien in der Kunstwelt konzipiert. Es nimmt die Form eines dynamischen Raums an, unterlegt durch Materialien von einschlägigen AutorInnen, die Sollfrank beeinflusst haben, und von kurzen Essays der Künstlerin selbst. Ausdruck findet dies auf verschiedensten Materialien: Texte auf Stoffbannern, Schlüsselworte und Zitate auf bedruckten Tafeln, welche die Besucher nach Lust und Laune an andere Stellen bewegen können. Zusammen mit der deutschen Grafikdesignerin Janine Sack hat Sollfrank ein geeignetes Designkonzept entwickelt, zu dem auch die Nutzung einer frei lizensierten Schrift gehört. Die vorherrschende Farbe ist rot, aber sie wird aufgebrochen durch eine große Palette an Grautönen. Rot ist eine höchst politische Farbe, bei der sich Sollfrank u.a. von der russischen Avantgarde inspirieren ließ. Sie wollte sich jedoch, so sagt sie, nicht direkt auf jene Epoche beziehen, denn es war eine andere Zeit mit einem völlig anderen historischen Kontext. Umso wichtiger ist es der Künstlerin, dass sich der Raum warm und einladend anfühlt und sich die Besucher dort wohlfühlen.
Das miteinander Teilen, ein zentrales Anliegen der Ausstellung und der Leitbegriff von Cornelia Sollfrank, spiegelt sich auch in der Gestaltung der Räume wider. Ein Bereich ist mit Tischen, Stühlen und Sitzbänken ausgestattet und wird für gemeinsames Arbeiten und Meetings verwendet, ein anderer Bereich mit einem Teppich und Bodenkissen dient der Entspannung. Dort werden Videos von drei Begegnungen mit internationalen Kuratorinnen gezeigt. Magda Tyźlik-Carver (England), Ela Kagel (Deutschland) und Ruth Catlow (England) sprechen mit Sollfrank über ihre Erfahrungen bei der Leitung von Kulturinstitutionen. commons lab ist ein experimentelles Umfeld, eine funktionale Struktur – und steht damit ganz im Gegensatz zur Idee des Kunstraumes als funktionale Struktur. Der Raum ist als modulares, beliebig erweiterbares System konzipiert, offen für Improvisationen, was Diskussionen, Dialoge und Prozess erleichtert, alles Dinge, die gegenwärtig passieren. Es ist nicht mehr nur der/die Künstler/in oder Autor/in allein, der/die bestimmt; der Raum dient gemeinsamen Projekten. Entsprechend ist es ein hybrider Raum, eine Mischung aus Forschungslabor und Hackerspace, bestens geeignet für ein Charrette-Verfahren.
Beim commons lab im Studio XX hallt Handeln wider, der Wunsch, etwas in der Gruppe zu vollenden. Es ist wichtig, betont Sollfrank, sich der Rolle der Kunst bewusst zu sein. Sie räumt auch ein, dass es nicht einfach ist, eine Situation zu schaffen, wo Menschen tatsächlich etwas beitragen. Es ist ein Prozess, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Sie wollte im Studio XX weder eine vollendete künstlerische Installation zeigen noch mit einem leeren Raum beginnen, sondern mit einem Raum, der sich im Laufe der Zeit verändert. Die Art des Ausstellungsraumes ist gleichermaßen wichtig. Ein Künstlerzentrum bietet für diese Art von Projekt große Flexibilität. Dass die ausstellende Künstlerin z.B. die Schlüssel zu den Räumlichkeiten bekommt und jederzeit ein- und ausgehen kann, spricht für ein vertrauensvolles Verhältnis, wie es in einem musealen Kontext undenkbar wäre.
Die angebotenen Workshops regen ebenfalls zum eigenen Handeln an. Unter dem Titel „The surplus of sharing books: Building a feminist library online“ (Vorteile des Teilens von Büchern: Aufbau einer feministischen Online-Bibliothek) wird dazu eingeladen, eine Liste mit digitalisierten Titeln zusammenzutragen und im Internet verfügbar zu machen. Auf diese Weise verbreitet sich dieses Wissen und ermöglicht die Schaffung einer kollektiven Erinnerung, was sie für die Nachwelt bewahrt. Es gibt online einen umfangreichen Fundus von Ressourcen außerhalb der konventionellen Buchverlagswelt wie experimentelle Buchformate, Fanzines, im Selbstverlag veröffentlichte Autoren und Werke mit geringen Auflagen. So genannte Shadow Libraries widmen sich – unter Vernachlässigung von Urheberrechten – der Verbreitung von Medieninhalten jenseits des profitorientierten Verlagswesens. UbuWeb ist das größte Archiv seiner Art, gegründet vom Künstler und Autor Kenneth Goldsmith. Die Piratenbibliothek Memory of the World, die vom kroatischen Internetaktivisten und -forscher Marcell Mars und Mitarbeitern gepflegt wird, umfasst gegenwärtig mehr als 6,000 Texte. Mars hat für die Digitalisierung der Bücher sogar ein eigenes System entwickelt.
Die Philosophie und Organisation des commons lab, diesem Raum für Teilhabe, Zusammenarbeit und gemeinschaftliche Kreativität an einem Ort der Kunst, unterscheidet sich auf mehreren Ebenen von dem, was der französische Kunsttheoretiker Nicolas Bourriaud in seinen Schriften zu „Relational Aesthetics“ und in seiner Arbeit als Kurator verfolgt hat. Sollfrank steht dem Konzept der relationalen Ästhetik ambivalent gegenüber. Sie gibt den Mangel an Selbstreflexion zu bedenken, d.h. dass vermieden wird zu hinterfragen, wie Erfahrungen gemacht werden, indem man es wagt, schwierige Fragen zu stellen, welche über die Kritik an den Institutionen zum Nachdenken über unser Leben bewegen. Dazu gehören Fragen wie: Was ist passiert? Was sind die Folgen? Wer ist das Publikum? Was sind die Ziele?
Seit der Unterzeichnung des Cyberfeminist Manifesto hat Sollfrank gelernt, Grenzen für sich zu setzen. Das Vermächtnis daraus ist nicht unmittelbar feministisch, sondern bietet ein politisches Verständnis dessen an, wo liberales Denken beginnt und wo es endet. Das commons lab und das Konzept der gemeinschaftlichen Bereitstellung sind Plattformen des Teilens, die nicht jeden einschließen, aber sie sind offen für all diejenigen, die an demokratische Werte glauben und bereit sind, zu verhandeln und zu diskutieren. Es ist einfach zu erklären, so Sollfrank, dass man liberal ist und andere integriert. Schwieriger ist es hingegen, gewisse Werte zu verteidigen, eine Linie zu ziehen und ein System zu verteidigen, wenn es angegriffen wird. So können wir zum Bespiel einen Fluch unserer Zeit, das allgegenwärtige Wettbewerbsdenken, nicht ändern, aber commons lab beleuchtet es und gibt uns Ressourcen an die Hand, die uns helfen, das Konzept zu verstehen.
commons lab als Projekt steht damit für eine kritische Kunstpraxis, wie man sie selten in Kunstinstitutionen antrifft. So handelt es sich hierbei nicht nur um eine Ausstellung. Sollfranks Herangehensweise mahnt uns, das Bewusstsein für die uns umgebende Welt zu bewahren. Dabei stellt sich die Frage, wie der öffentliche reale Raum die Online-Welt beeinflusst und umgekehrt. Die Künstlerin fordert uns heraus, unser vertrautes Umfeld zu verlassen und es zu wagen, uns einen Weg zu bahnen, um Strategien für einen besseren Umgang mit den drängenden Problemen unserer Zeit zu entwickeln.
commons lab ist Teil von "Deutschland @ Kanada 2017 - Partner von Immigration zu Innovation"