Vorgeführt in der Cineteca Nacional:
Florian Gallenberger schloss den Kreis mit seinem Film „Colonia”
Der 12. Juli 2016 ist ein Tag, der uns noch lange in Erinnerung bleiben wird. Es war ein aufregender Tag, der in einem unvergesslichen Ereignis in der Cineteca Nacional gipfelte. Ein Ereignis um aufzuzeigen, was wir über Colonia Dignidad wissen, der daraus entstandenen Trauer eine Stimme zu geben und um den Opfern von Missbräuchen aller Art ihre Würde wiederzugeben.
In Chile ist es nicht sehr üblich, dass wir Filmvorführungen mit de*rm jeweiligen Regisseur*in veranstalten können. Noch unüblicher ist es, dass es sich um einen Film über Chile handelt. Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck brachte einen besonderen Gast zu seinem offiziellen Besuch in unserem Land mit: Florian Gallenberger, den Regisseur des Films Colonia. Schon Ende April bewirkte der Film die Entscheidung der deutschen Kanzlerin, die Öffnung der Geheimarchive zu Colonia Dignidad voranzutreiben. Jetzt wurde der Film offiziell in Chile gezeigt, in Anwesenheit des Regisseurs und der Opfer der Enklave. Die Veranstaltung wurde vom Goethe-Institut Chile organisiert und wartete mit der Anwesenheit von Frau Schadt und dem Kulturminister Ernesto Ottone auf.
Ich nutze diese Möglichkeit, um den vielen Einrichtungen und Personen aufrichtig zu danken, die uns dabei geholfen haben, diese Veranstaltung möglich zu machen: das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, die Asociación Colonia Dignidad, der Consejo de la Cultura y las Artes, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Cineteca Nacional de Chile.
Neben der Filmvorführung gab es eine Diskussionsrunde, um den Film zu kommentieren und zusätzliche Informationen beizusteuern. An ihr nahmen Florian Gallenberger, Luis Peebles (Psychiater und ehemaliger politischer Gefangener, festgehalten in der Colonia), Jörg Schnellenkamp (ehemaliger Siedler, der am Filmdreh teilnahm) und Magdalena Garcés (Anwältin für Menschenrechte und Klägerin im Fall Colonia Dignidad) teil und sie wurde moderiert von Hans Stange (Journalist und Filmkritiker, Co-Autor des Buches „Los amigos del Dr Schäfer“ aus dem Jahr 2006).
Die Herausforderung lag darin, eine Diskussion vorzubereiten, in der sich sowohl die chilenischen als auch die deutschen Opfer der Enklave äußern konnten, und zudem dank der Anwältin über konkrete Angaben zum juristischen Fall verfügen zu können. Als Goethe-Institut ist es uns ein Anliegen, einen Raum für Dialog zu schaffen bezüglich eines so tiefgehenden und komplexen Themas, wie es die Colonia Dignidad ist. Die Missbräuche sind so zahlreich und vielfältig dass, wie Gallenberg in einem Interview sagte, „das Thema eine Welt für sich ist“. Dies hat man ebenso während der Diskussion gemerkt, zu der die Teilnehmenden beitrugen aber auch und in besonderem Maß das anwesende Publikum. Diejenigen, die ihre Stimmen erhoben und –zu Recht– ihre Repräsentation am Tisch forderten, sind Familienangehörige von Verschwundenen aus Parral, aber ich möchte besonders denjenigen danken, die den Mut hatten, aufzustehen und sogar unter Tränen ihr Schicksal zu teilen. Es war ein sehr bewegender Moment, der deutlich machte, wie viel noch fehlt, um zur Wahrheit und vor allem zur Gerechtigkeit zu gelangen. Dies wurde durch Luis Peebles bestärkt, der in der Diskussion die chilenischen Opfer repräsentierte und seinen Wunsch ausdrückte, dass die Colonia Dignidad zur Gedenkstätte wird, zu einem Erinnerungsraum aber auch einer Schule, die vor allem für die neue Generation zur Kenntnis über die Menschenrechte beiträgt.
Ein weiterer besonderer Moment war die Intervention von Jörg Schnellenkamp über den Schmerz der deutschen Opfer der Enklave, sowohl aufgrund der Zwangsarbeit als auch wegen der sexuellen Missbräuche, und über die enorme Aufgabe, diesen zu überwinden, um das eigene Leben neu zu gestalten. Vielleich war die Größe der Diskussionsrunde nicht ausreichend, um alles zu umfassen, was es beinhaltet, aber ich bedanke mich bei Jörg dafür, dass er mit Florian Gallenberger (und auch mit mir) einen Teil seines Lebens geteilt hat. Es ist lange her, dass er dort wohnte und deswegen ist sein schon entfernterer Blick zu schätzen, um ein schmerzerfülltes, noch nicht abgeschlossenes Kapitel unserer jüngeren Geschichte anzusprechen.
Magdalena Garcés brachte eine rasche Überprüfung des Stand der Dinge im Fall Colonia Dignidad in der chilenischen Justiz vor. Derzeit ist sie Klägerin in der Rechtssache der Colonia als kriminelle Vereinigung und ihre Aussage zeigt, wie wenig sich bisher getan hat, um die Schuldigen für Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Enklave zu bestrafen. Es ist eine enorme Aufgabe, die noch zu erledigen ist, erschwert durch die Unterschiede zwischen den Justizsystemen in Chile und Deutschland.
Auch sehr relevant war der Beitrag des Anwalts Hernán Fernández, verantwortlich dafür, dass Paul Schäfer schließlich für zahlreiche Fälle von Pädophilie ins Gefängnis kam. Sein Beitrag war sehr wichtig, um das Bild eines sehr komplexen Konflikts zu ergänzen, der über die vielen Missbräuche Schäfers an Kindern hinausgeht. Winfried Hempel, eines der von Fernández „geretteten“ Kinder, ist heute Anwalt und repräsentiert die Interessen der Siedler, von denen viele in einer prekären Situation leben und eine Entschädigung des chilenischen Staates erwarten, wie er diese Woche verkündete.
Colonia Dignidad hat so viele Aspekte, die es zu einem Thema machen, das man lange Zeit ergründet und fordert, dass wir uns viele Fragen stellen, von denen keine einzige leicht zu beantworten ist. Der Film von Florian Gallenberger, auch wenn er nicht das Ziel hatte, all diese Verwicklungen zu zeigen, versucht zumindest, die Neugierde eines jungen Publikums zu wecken, was die Codes des Kinos von Hollywood entschlüsseln kann, und auf diese Weise das Düstere, was in den Geschehnissen der Colonia liegt, darzustellen, damit es weder zu Straffreiheit noch zu Vergessenheit kommt. Dies bestätigte Gallenberger in den zehn Interviews für die chilenische Presse, die er während seines kurzen Aufenthalts gab. Der rote Faden seiner Aussagen war der Wunsch, dass die neue Generation, die die Diktatur nicht kennengelernt hat, einen Zugang zu dieser Epoche gewinnt aber auch, dass sie die Wichtigkeit erkennt, keinem beliebigen selbsterannnten Führer ohne Hinterfragen zu folgen und den Mut, die Verantwortung für die eigenen Taten anzunehmen.
Gallenberger hielt auch nicht hinter dem Berg, als er die Gründe dafür nannte, dass der Film nicht kommerziell in Chile gezeigt wurde. Er sagte, die großen Kinobetreiber in Chile hätten sich aus politischen Gründen geweigert, den Film zu zeigen. Daraufhin habe Universal beschlossen, den Film nicht in das Land zu bringen, doch Gallenberger protestierte dagegen. Jetzt hat der Film Colonia einen lokalen Betreiber, Gitano Films, und wird ab dem 4. August im Cine Arte Alameda, Hoyts La Reina, Sala Radicales y Cine Normandie sowie anderen unabhängigen Kinosälen in den verschiedenen Regionen gezeigt. Colonia ist ein seltener Fall: aufgrund der Lücke hinsichtlich eines lokalen Betreibers nahmen sich viele Leute das Recht heraus, ihn illegal zu zeigen, jedoch mit dem Ziel, über das Thema zu sprechen. Aufgrund des weiterhin daran bestehenden Interesses, ist es möglich, den Film in Kinos zu sehen und so das Thema auf den Tisch zu bringen. Es ist lobenswert, dass es einen alternativen Betreiber gibt, dennoch ist es merkwürdig, dass mehr als 40 Jahre nach dem Putsch in Chile eine solche Art von Zensur zutage tritt.
Die Aufführung am Dienstag, den 12. Juli, in der Cineteca Nacional war wichtig für Florian Gallenberger weil es ihm – wie er dem deutschen Fernsehen sagte- erlaubte, den Kreis zu schließen. Wie mir der Cineast Cristóbal León (Macher von La Casa Lobo über die Colonia Dignidad) sagte: „die Vorführung war beeindruckend. Es war eindrucksvoll Jörg, Peebles, den Angehörigen der Opfer und allen anderen zuzuhören. Als Cineast, das ist etwas, was ich im Hinausgehen lange mit Niles (Atallah) besprochen habe, spürte ich hier die politische Macht des Kinos“. Es bleibt zu hoffen, dass Colonia am Bewusstsein in Chile und Deutschland rüttelt, sodass es wirklich ein „nie wieder“ gibt und vor allem, dass man Wahrheit, Gerechtigkeit und Würde für die Opfer erreicht.