Leben

„Werbung ist kein Naturgesetz“

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Eine Berliner Initiative will die Stadt von Werbung befreien

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Sandra Franz (links) und Lydia Böttcher vom „Amt für Werbefreiheit und gutes Leben“, Foto: © Isabelle Daniel

„Außenwerbung trifft jeden“: Man kann die Werbeanzeige, die an etlichen Berliner Bus- und Straßenbahnhaltestellen prangt, auf zweierlei Art lesen. Einem Unternehmer mag sie die Chance verdeutlichen, durch Werbung die Aufmerksamkeit eines riesigen Publikums auf sich zu ziehen. Für das potentielle Publikum klingt die Anzeige allerdings eher wie eine Drohung. Denn was Werbung mit dem Betrachter tut, verhehlt der Fachverband Außenwerbung, der für die Kampagne verantwortlich ist, gar nicht erst. Werbung informiert nicht, sie unterhält auch nicht, sie „trifft“ – und zwar jeden, egal ob man will oder nicht.

Wenn es nach Sandra Franz und Lydia Böttcher geht, soll das – zumindest im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – bald ein Ende haben. Beide sind Mitglied des „Amtes für Werbefreiheit und gutes Leben“ – einer Initiative von rund 40 Aktivisten, die sich für eine nachhaltige Stadtentwicklung einsetzen. Dazu gehört nach Ansicht der „Amtsmitglieder“ die Befreiung der Stadt von Außenwerbung. Dahinter steht die Idee, dass Konsum dem Nachhaltigkeitsprinzip zuwiderläuft.

„Werbung verkauft uns ein schönes Image. Doch der Preis, den andere dafür zahlen, dass ich mich sexy fühlen darf, wenn ich Dasselbe trage wie die schöne Frau auf dem Plakat, taucht nirgends auf. Die Bedingungen, unter denen ein Produkt hergestellt wird und die Arbeiter werden völlig vergessen“, kritisiert Sandra. Den Mangel an Transparenz beklagt auch Lydia: „Mich stört an Werbung, dass sie mir das Bild vermittelt, wer ich zu sein und was ich zu kaufen habe. Mir fehlt dabei völlig die Transparenz dafür, was ich da eigentlich kaufe und wer daran verdient.“

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In Berlin gibt rund 18.000 solcher großflächiger Werbetafeln. Oft bedient die Reklame - wie hier - sexistische Klischees. Foto: © Isabelle Daniel

Sexistische und rassistische Klischees

Wer man zu sein hat: Das geht nach Sandras und Lydias Ansicht oft genug einher mit sexistischen oder rassistischen Motiven, mit denen viele Werbekampagnen arbeiten. Wer in Deutschland etwas gegen diskriminierende Inhalte auf Werbeplakaten unternehmen will, hat allerdings schlechte Karten. Zwar kann man sich mit Beschwerden an den Deutschen Werberat wenden. Der ist allerdings nicht etwa eine unabhängige Institution, sondern eine Einrichtung der deutschen Werbeindustrie und agiert unter dem Euphemismus „selbstdisziplinärer Leitlinien“. In der Realität heißt das: Welche Inhalte es als diskriminierend erachtet, entscheidet das Gremium nach eigenem Ermessen.

Hier kommt das „Amt für Werbefreiheit und gutes Leben“ ins Spiel. Anders als der Name suggeriert, ist die Organisation genauso wenig offizielles Organ wie der Werberat. Das ändert jedoch nichts an der Motivation der Mitglieder, auf politischer Ebene etwas ändern zu wollen. „Wir möchten ein Verbot großflächiger Werbetafeln in Friedrichshain-Kreuzberg, die zu materiellem Konsum auffordern“, formuliert Sandra die Minimalforderung des Amtes. „Das Verbot soll sich nicht auf den Bäcker von nebenan beziehen, der ein Schild vor die Tür stellt.“

São Paulo als Vorbild

Um das Konzept auf die politische Agenda zu bringen, will das „Amt“ zunächst einen Einwohnerantrag stellen, für den 1000 Unterschriften von Bürgern aus Friedrichshain-Kreuzberg notwendig sind. Politische Beihilfe dafür gibt es bereits: Die Grünen, die in dem Bezirk auch den Bürgermeister stellen, unterstützen die Idee.

„Wir glauben, dass Friedrichshain-Kreuzberg der Stadtteil mit den besten politischen Voraussetzungen ist, um unser Konzept durchzusetzen – und denken, dass er auch das Potential hat, eine Ausstrahlungskraft zu entwickeln“, sagt Sandra über die – letztlich pragmatische – Entscheidung, einen Versuch auf Werbefreiheit zunächst in einem bestimmten Teil Berlins zu unternehmen.

Die langfristige Hoffnung des „Amtes“ auf eine ganze Stadt ohne Außenwerbung bleibt aber bestehen. Als großes Vorbild dient den Aktivistinnen São Paulo, das bereits seit 2007 werbefrei ist. Die Sorge, dass sich in einer Stadt ohne Werbung auch Tristesse breitmachen könnte, teilt Lydia ganz und gar nicht: „Ich finde es eher erschreckend, dass eine Stadt erst durch Werbung zu Farbe und Verschönerung zu kommen scheint. Es gibt so viele Künstlerinitiativen, die auf andere Weise Farbe in die Stadt bringen können. Es gibt doch kein Naturgesetz, dass da Werbung sein muss.“


Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Juni 2013
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