Leben

Ohne Geld zur Erleuchtung

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Als Kind wollte er Millionär werden. Mittlerweile lebt Raphael Fellmer seit drei Jahren ohne Geld. Foto: © Martin Nejezchleba

Raphael Fellmer lebt mit seiner Familie seit drei Jahren ohne Geld. Und das ziemlich gut. Mit dem Geldstreik möchte Raphael auf Verschwendung, Umweltzerstörung und Ausbeutung aufmerksam machen. Schuld an der Misere sind die bunten Scheinchen, meint Raphael.

Berlin-Dahlem. Breite Alleen, großzügige Grünflächen, vornehme Villen. Dass Raphael Fellmer gerade hier, in einem der reichsten Viertel der Hauptstadt, eine Bleibe gefunden hat, passt in die Weltsicht des jungen Familienvaters: Geld ist das Letzte was du brauchst, um gut zu leben. Denn Geld, so Raphael, macht abhängig, es korrumpiert, es schränkt ein. Im Martin-Niemöller-Haus, einem Friedenszentrum der evangelischen Gemeinde, lebt er mit seiner Freundin Nieves und der kleinen Alma Lucia – ohne Miete. Raphael hilft in Büro und Garten.

Als Kind wollte er Millionär werden. Um Armut in der Welt zu bekämpfen. Später dachte er, die Lösung liegt in der Politik. Heute hat der 29-Jährige verstanden, dass er selbst die Lösung ist. Der einzige Ausweg für Raphael: Raus aus dem System.

Im geräumigen Wohnzimmer empfängt er die vielen Journalisten, die neugierig sind auf den jungen Mann, der dem Geld entsagt hat. Hier erklärt Raphael, was so schlecht ist an dem Tauschmittel. Auf das kantige Gesicht und die zerzausten blonden Haare fallen warme Sonnenstrahlen. Eine erleuchtete Gesellschaft, das wünscht sich Raphael.

Warum ist denn gerade Geld für all die Probleme unserer Welt verantwortlich? Ist doch ziemlich praktisch oder nicht?

„Zu Geld gehört Besitz, Materialismus, Profit, Gier. Und Umweltzerstörung. Wir wissen ja nicht, wo unser Geld schon überall gearbeitet hat, wie schmutzig es ist. Wenn ich ein Produkt kaufe, und sei es ein umweltfreundliches Ein-Liter-Auto, dann stecken da Arbeit von vielen Menschen und sehr viele Ressourcen drin. Das ist die sogenannte graue Energie. Bei Lebensmitteln und Textilien reden wir von virtuellem Wasser.“

Virtuelles Wasser?

„Direkt verbraucht ein Deutscher am Tag etwa 120 Liter, also beim Duschen, Abspülen und so weiter. An virtuellem Wasser verbrauchen wir im Schnitt 5.500 Liter. Tagtäglich! Und die meisten Leute wissen gar nichts davon. Mehr als die Hälfte davon kommt von außerhalb der EU – oft aus Ländern, die unter Wassermangel leiden. Die Tierindustrie weltweit ist einer der größten Wasserverbraucher. Ein Kilo Fleisch verbraucht 15.000 bis 16.000 Liter Wasser. Ein Kilo Textilien verbraucht über 12.000 Liter. In Deutschland schmeißen wir eine Million Tonnen an Textilien im Jahr weg. Das ist eine unglaubliche Verschwendung.“

Und woher stammt der Pulli, den du trägst?

„Von Freunden, die ihn ausrangiert haben. Wir kennen das ja alle, wir haben ewig viele Kleider im Schrank, die wir nicht benutzen. Besser als Wegwerfen ist da, sie an jemanden weiter zu geben.“

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Auch ohne Geld lässt es sich nicht schlecht leben. Raphael wohnt mit seiner Familie im Villenviertel Berlin-Dahlem. Foto: © Martin Nejezchleba

Raphaels gelber Pulli hat zwar ein kleines Loch unter der Achsel. Seine Kleidung, genauso wie die seiner Frau und Tochter, sieht aber ziemlich normal aus. So wie auch das Leben der jungen Familie ziemlich normal ist. Heute taucht Raphael auch nicht mehr kopfüber in Supermarkt-Container, um Essen zu beschaffen. Die Verschwendung der Lebensmittelindustrie nutzt er inzwischen systematisch. Er hat einen Deal mit Bäckereien und Bio-Läden geschlossen. Dort holt er mehrmals die Woche Kisten voller Essen ab, das normalerweise im Müll landen würde. Elf Millionen Tonnen Essen schmeißen die Deutschen jährlich weg. Das meiste davon ist vermeidbar.

Man könnte auch sagen, Raphael, dass deine Familie an dem Überfluss der anderen schmarotzt.

„Ja! Und genau das ist der Witz an dem Geldstreik! Wir als Familie können nur leben, weil die anderen so viel verschwenden. Aber sie können nur verschwenden, indem sie den Planeten und Menschen in armen Ländern ausbeuten. Die westliche Gesellschaft, das ist die richtig dicke Made im Speck. Meine Familie und ich leben von ihren Abfällen.“

Und wenn wir das Geld verbrennen, dann wird die Welt wieder harmonisch?

„Überall wo Geld existiert, gehen menschliche Beziehungen kaputt. Freundschaften, Ehen, Familien. Dein Arbeitskollege verdient mehr, kriegt einen größeren Bonus, dein Bruder kriegt mehr vom Erbe als du. Geld lähmt die Leute, weil sie den Wert ihrer Arbeit nur noch in Geld messen. Deshalb sind sie an ihren Beruf gefesselt und vergessen ihre Berufung. Und es schneidet sie von der Erkenntnis ab, wie viel Umwelt zerstört und wie viele Menschen für das ausgebeutet wurden, was wir mit einem Geldschein kaufen. Und auch wenn wir nur Fair-Trade kaufen: Wissen wir, in welche Firmen unsere Bank das Geld auf unserem Konto investiert?

Dass ein Leben ohne Geld möglich ist, davon überzeugte sich Raphael auf einer Reise. Im Januar 2010 machte er sich mit zwei Freunden nach Mexiko auf. In der Tasche hatten sie 100 Euro. Für Visa. Der Rest war gratis: Per Anhalter nach Nordafrika und über den Atlantik, Schlafen bei Gastgebern oder in abgestellten Lastwägen, Essen von dem, was den anderen übrig blieb, was sie mit den Reisenden teilen wollten. Er hat noch nie so viel Liebe und Menschlichkeit erfahren, erinnert sich Raphael.

Was also ist das Ziel deines Geldstreiks? Sollen alle so leben wie du? Das würde nicht funktionieren.

„Nein. In erster Linie möchte ich die Menschen zum Nachdenken bringen. Darüber, wie jeder persönlich mit dem Leid auf der Welt in Verbindung steht. Nicht immer mit dem Finger auf die anderen zeigen, auf die Regierungen, die Firmen oder den Nachbarn. Ich kann sehr viel ändern in meinem Leben, ich kann Verantwortung übernehmen. Das fängt damit an, dass ich mir den WLAN-Router oder die Bohrmaschine mit dem Nachbarn teile. Dass ich kein Essen wegschmeiße. Es gibt Carsharing, Couchsurfing, Foodsharing, Landsharing, Booksharing. Wir können noch vielmehr sparen und wir sollten es tun, denn der ökologische Fußabdruck von uns Europäern ist so groß, dass wir drei oder vier Erden bräuchten, wenn alle so viel konsumieren würden. Wir müssen uns ändern.“

Foto: © Martin Nejezchleba
Raphael mit seiner knapp zweijährigen Tochter Alma Lucia, Foto: © Martin Nejezchleba

So ganz ohne Geld kommt Raphaels Familie dann doch nicht aus. Das Kindergeld für die kleine Alma Lucia fließt über das Öko-Konto von Nieves in die Krankenversicherung der bald Zweijährigen. Die Spanierin kauft sich auch mal ein Flugticket. Zu ihrer Familie nach Mallorca stoppen, das ginge mit der Tochter nicht. Raphael versteht das. Nach Mallorca fuhr er trotzdem per Anhalter.

Ein Auto für die Familie kaufen? Auf keinen Fall! Bei der Produktion eines Autos, berichtet Raphael, werde so viel graue Energie verbraucht, man könnte davon einen durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt über zehn Jahre mit Strom versorgen.

In ein paar Jahren will Raphael mit seiner Familie auf eine Farm ziehen. Dort wird es nur veganes Essen geben, das Leben dort wird autark und ohne Geld funktionieren. Mit anderen Bewohnern wird er ausprobieren, wie so eine erleuchtete Gesellschaft funktioniert, wie es ist, wenn Menschen Dinge nicht wegen des Geldes, sondern aus einem inneren Bedürfnis heraus, aus Liebe produzieren. Irgendwann werden alle begreifen, dass das der richtige Weg ist. Davon ist Raphael überzeugt.

Martin Nejezchleba

Copyright: Goethe-Institut Prag
Juli 2013

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