Worüber sprechen wir, wenn wir über Brünn sprechen?
Der freie Journalist Michal Kašpárek, unter anderem Autor des vermutlich besten Reiseführers über Brünn (Brno) und Mitgründer der Satiregruppe Žít Brno (dt.: Brno leben), bringt uns das „Phänomen Brünn“ näher, das inzwischen schon bis in Medien wie den Guardian oder die New York Times durchgedrungen ist. Das Gespräch führten wir im Brünner Café Praha.
Brünn sei ein Ort, den man unbedingt besuchen müsse, war in den letzten Monaten in einigen weltweit bekannten Medien zu lesen. Freust du dich darüber?
Ich freue mich, wenn ich das in diesen Zeitungen sehe oder wenn es viel auf Facebook geteilt wird und alle begeistert sind. Aber auf der anderen Seite freue ich mich weniger, wenn ich auf den Markt in Alt-Brünn oder Na Cejlu einkaufen gehe, und dort ein Bistro finde, das leichte und frische Gerichte mit roten Linsen anbietet, also wenn die ursprünglichen Sachen verschwinden.
Womit zieht Brünn deiner Meinung nach die Journalisten aus dem Ausland in seinen Bann?
Zu dieser „Bekanntheit von Brünn“ hast du bestimmt auch beigetragen. Du bist der Verfasser des Reiseführers Poznej Brno (dt.: Lerne Brünn kennen), der einem eine Städtereise nach Brünn schmackhaft macht. Warum hast du diesen Reiseführer geschrieben?
Ein Freund hat mich dazu gebracht. Vor fünf Jahren habe ich mir gedacht, dass das eine angenehme Sache sein könnte, bei der ich Spaß habe und mich auch ein bisschen ausruhen kann. Nach drei Ausgaben wurde aus dem Reiseführer aber ein „Auftrag“, mit dem ich Geld verdiene, und jetzt muss ich mir etwas anderes ausdenken, mit dem ich Spaß haben kann. In meinem Reiseführer stelle ich die interessante Brünner Gastronomieszene, Kaffeehäuser, Galerien, aber auch Orte abseits der touristischen Pfade vor. Es ist kein Reiseführer über Brünner Denkmäler und Sehenswürdigkeiten, sondern über das Leben in Brünn.
Wer kauft sich die fremdsprachigen Ausgaben deines Reiseführers?
Die meisten Bestellungen kommen aus Europa. Das sind dann nicht nur Touristen, sondern zum Beispiel auch Eltern von Erasmus-Studenten. Die wollen ihren Kindern etwas mitgeben, damit sie sich nicht verirren, oder sie wollen selbst nachschauen, in welche Stadt ihre Sprösslinge gehen, ob es dort sicher ist und so weiter.
Kann man deiner Meinung nach beschreiben, worin sich Brünn von anderen tschechischen Städten unterscheidet?
Die größten Unterschiede sind die Brünner Albernheit, der eigenartige Sinn für Humor, die Atmosphäre in der Brünner Kulturszene, und dass sich die Brünner selbst nicht ganz ernst nehmen. Oft weiß man nicht, ob jemand etwas ernst meint oder nur Spaß macht. Das habe ich in Prag, Pilsen oder Ostrava nie erlebt, das ist eine Brünner Eigenart.
Die heutige Brünner Ironie und Selbstironie hat ihre Wurzeln vielleicht in der Brünner Bohème der siebziger Jahre, die sich aber mittlerweile in eine kommerzialisierte Legende verwandelt hat. Könnte das auch mit gegenwärtigen Phänomenen aus Brünn passieren, beispielsweise mit der satirischen Gruppierung Žít Brno (Brünn leben), bei deren Gründung du dabei warst? Werden sich unsere Nachkommen auch peinlich berührt an den Kopf greifen?
Die siebziger Jahre mit dem hantec, der Brünner Umgangssprache, sind heute schon eine Karikatur. Und aus mir wird in dieser Hinsicht dann eine Art Miroslav Donutil, denn wenn ich irgendwo einen öffentlichen Auftritt für Studenten habe und bemerke, dass sich das Publikum nicht amüsiert, dann rette ich die Situation, indem ich Geschichten von Žít Brno erzähle – und das ist dann schon fast so wie Silvester mit Donutil. Also, unsere Kinder werden sich dann sicher wundern, was das für ein peinlicher alter Humor ist und ob wir uns nicht vielleicht lieber umbringen wollen.
Gibt es deiner Meinung nach immer noch die ständig erwähnte Aversion der Brünner gegenüber Prag?
Fällt dir noch ein weiteres Phänomen ein, das stark mit Brünn verbunden ist?
Eine eigenartige Form des Plebejertums…? Den Bauch am Stausee in die Sonne halten, darauf ein Becher mit Bier… Das ist aber nicht die typisch tschechische Haltung, das ist etwas anderes. Damit ist auch der hantec verbunden, und ortsspezifische Witze…
Wenn du eine Einladung nach Brünn gestalten solltest, was wäre die zentrale Botschaft?
Touristen aus Österreich oder Deutschland zum Beispiel würde ich klar machen, dass es eine Stadt für Anwohner und nicht für Touristen ist. Dementsprechend sind auch das Angebot und die Preise der Dienstleistungen. Das Risiko, hier in eine touristische Falle zu treten, ist sehr gering. Erst gestern hat ein Freund ein Foto mit einem Eis auf Foursquare gestellt und geschrieben, die Sommerolympiade im pohodinda beginnt. Dieses Wort pohodinda, das man vermutlich nicht übersetzen kann, charakterisiert Brünn sehr gut. Es gibt hier gemütliche Parks, eine Menge Studenten, viele Leute, die sich nicht für eine Karriere aufreiben – würden sie das tun, wären sie längst in Prag. Deshalb sind die Treppen im Zentrum immer voller Leute, in den Parks sitzen die Leute auf Decken herum… Das ist diese pohodinda: keine Eile, Ruhe.
Brünn ist zwar (noch) kein Ort für Touristen, aber auch hier leben viele Ausländer. Könnte Brünn deiner Meinung nach wieder eine multikulturelle Stadt werden, so wie vor dem Zweiten Weltkrieg?
Ich denke, das passiert schon. Dank des Technologieparks und weiteren Einrichtungen ist die Bevölkerung Brünns recht bunt. Man hört Fremdsprachen auf der Straße, die von Leuten gesprochen werden, die hier leben und die Stadt kennen. Die Stadt hat aber selbstverständlich einen anderen Charakter als das tschechisch-deutsch-jüdische Brünn der Vorkriegszeit.
Wenn ich mit Brünnern über Ausländer spreche, habe ich bemerkt, dass Slowaken nicht als solche betrachtet werden. Slowaken gelten in Brünn als „hiesige“…
Ja, denn Bratislava liegt auch viel näher als Prag. Und die ostmährischen Dialekte sind den westslowakischen so ähnlich, dass man gar nicht erkennen kann, welche Sprache jemand eigentlich spricht. Mir würde auch nie einfallen, Slowaken als Ausländer zu betrachten.
Würdest du dich selbst als Mährer bezeichnen?
Ich glaube, das habe ich sogar bei der letzten Volkszählung bei der Frage nach der Nationalität angegeben. Aber ich stelle mich den Leuten nicht als Mährer vor. Manchmal sage ich aber zum Spaß im mährischen Dialekt, dass ich aus Mähren bin: su z Moravy. Aber ich habe keine Flagge über meinem Bett hängen, und ich pflege auch keine regionalen Traditionen – auch wenn mir das Kraut von meinen mährischen Verwandten besser schmeckt als das von meinen böhmischen. Wie auch schon im Švejk steht: Wir sind Mährer, aber das muss niemand wissen.
Was fehlt deiner Meinung nach der Stadt Brünn zur Vollkommenheit?
Wir sprechen die ganze Zeit über Brünn. Sprechen wir dabei über den Raum, oder über die Menschen? Worüber sprechen wir überhaupt, wenn wir über Brünn sprechen?
Wenn ich über die Albernheit spreche, dann geht es um die Menschen; alberne Orte gibt es ziemlich wenige. Aber als ich über das zukünftige Brünn in zwanzig Jahren gesprochen habe, ging es mir vor allem darum, wie die Straßen aussehen werden, was es dort geben und wie das alles funktionieren wird.
Möchtest du, dass dein Sohn später in Brünn lebt? Und wenn ja, in welchem Brünn?
Mein Sohn ist zwar schon eineinhalb Jahre alt, aber bis jetzt wäre mir nicht eingefallen, darüber nachzudenken, was er tun sollte oder wo er leben sollte. Es wäre wahrscheinlich gut, wenn er in Brünn leben würde, weil ich im Alter auch hier leben werde. Er könnte also kontrollieren, ob ich noch lebe. Aber diese Entscheidung muss er selbst treffen. Da ich hier wahrscheinlich den Großteil seines Lebens wohnen werde, würde ich wohl meine eigenen Vorstellung in die Antwort hineinprojizieren.
Gut, und wie stellst du dir Brünn an sich in zwanzig oder dreißig Jahren vor?
Ich hoffe, dass es noch nicht so gentrifiziert sein wird, dass man keine Miete mehr bezahlen kann. Dass man in zwanzig Jahren immer noch so eine lustige Debatte darüber führt, wo der Bahnhof sein soll. Eigentlich fehlt mir nicht viel für diese Vollkommenheit – ich stelle mir kein ganz anderes Brünn vor. Mir ist vollkommen egal, wie die größeren Investment-Projekte ausfallen, etwa das Janáčkovo kulturní centrum (Janáček-Kulturzentrum) oder das Kreativní centrum (Kreatives Zentrum) – ich würde mich nicht vor den Bagger legen, aber ich freue mich auch nicht sonderlich auf die Fertigstellung. Ich glaube nicht, dass Brünn dadurch merklich nach vorne gebracht wird. Ich denke, dass es hier schon jetzt sehr gut ist.
Übersetzung: Julia Miesenböck