Dry Hot Summers
Ein magisches Bild Kairos

Szene aus dem Film Dry Hot Summers
Szene aus dem Film Dry Hot Summers | © Subtype Productions

„Hier ist der Piaster, das Streu und Heu und der Handel;
hier ist die Liebe und das Recht, die Barmherzigkeit und die Vergebung.“

In seinem Gedicht Huna al-Qahira (arabisch, wörtlich: ‚hier ist Kairo‘) beschreibt der Dichter Sayed Hijab im ägyptischen Dialekt seine Sicht auf das Wesen der alten und widerspruchsreichen Stadt Kairo. In der ägyptische Hauptstadt leben mehr als 20 Millionen Menschen unter zutiefst ungleichen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, in einer Kultur, die immerzu zwischen historischem Erbe und Moderne schwankt und in der deshalb der Alltag kaum vorhersehbare Formen annimmt. Doch obwohl die Menschen eng beieinander leben, stehen sie sich in beinahe allen Dingen gegensätzlich gegenüber. Widerspruch herrscht selbst in der einzelnen Person, die verschiedene Gesichter besitzt – Spiegel ihres Selbst und ihrer Stadt – und zwischen ihnen hin und her wechselt.

Die erwähnte Gedichtzeile lässt sich leicht mit dem Kurzfilm Har Gaf Sayfan (arabisch, wörtlich: ‚heiße trockene Sommer‘) in Verbindung bringen, dem Eröffnungsfilm der Goethe-Filmwoche von Sherif El-Bendary nach einem Drehbuch von Nura El-Sheikh. Diese deutsch-ägyptische Produktion erzählt von einem einzigen Tag in den Straßen Kairos und eine Geschichte, die nicht so hätte erzählt werden können, besäße die ägyptische Hauptstadt nicht eine Dynamik und Gegensätzlichkeit, wie man sie sonst kaum irgendwo auf der Welt findet.

Shawky ist ein alter Mann, der an Krebs erkrankt ist. Er ist allein auf dem Weg zu einem ausländischen Arzt, der nur für zwei Tage in Kairo ist. Dabei trifft er zwei Personen, mit denen er den Tag verbringt: Duaa, eine Braut, die die letzten Vorbereitungen für ihre Hochzeit am Abend trifft, und Said, der Taxifahrer, der sie gemeinsam befördert und beobachtet, wie zwischen dem Mann und der Frau aus zwei unterschiedlichen Welten eine unerwartete Freundschaft entsteht.

Schwierige Zeiten und kleine Momente der Herzenswärme

Shawkys Leben ist nicht leicht: Er lebt mit einer beängstigenden Krankheit, die sich, mit den Worten des Taxifahrers Said, „wie die Grippe in den Häusern verbreitet“. Trotzdem scheint es weniger ihm, sondern vielmehr Shawkys Sohn wichtig zu sein, dass er einen Arzt aufsucht. Obwohl der Sohn so sehr auf diese Untersuchung drängt, findet er einen Grund, den Vater allein auf den Weg zu schicken. Und dieser lässt es sich gefallen, auch wenn er weiß, dass sich sein Sohn falsch verhält. Shawky erzählt Duaa voller Stolz von seinem Sohn und erfindet einen schwerwiegenderen Grund, warum dieser nicht mitgekommen ist. Diese Details sind Ausdruck eines Lebens, das vollständig auf Widersprüchen basiert: Ein Vater ist krank, aber nicht sonderlich an seiner Heilung interessiert; ein Sohn interessiert sich für die Heilung des Vaters, drückt sich aber davor ihn zu begleiten; ein Vater akzeptiert den Standpunkt des Sohnes, obwohl er tief in sich weiß, dass das falsch ist.

Daran müssen alle charakterbezogenen Elemente des Films gemessen werden: Der Taxifahrer Said zeigt sich Shawky gegenüber respektvoll und mitfühlend, aber wenn es darum geht, während der Fahrt zusätzlichen Aufwand zu betreiben, entzieht er sich. Er kümmert sich mühevoll um seine Kunden und begleitet sie den ganzen Tag, beschwert sich aber, als die finanzielle Entschädigung ihm am Ende nicht angemessen erscheint. Und dann ist da Duaa, mit ihrer starken Präsenz und Persönlichkeit, die sie freiwillig hinter sich lässt um ihrem Mann gegenüber die Rolle der gebrochenen östlichen Frau einzunehmen, die sich ihm mal unterwirft, ihn mal liebevoll zum Narren hält. Und sogar die Friseurin, die Shawky Vorwürfe macht, als sie ihn in einem Bereich ausschließlich für Frauen antrifft, lässt sich später erweichen und hilft ihm mit liebevoller Zuwendung – ein Sentiment, dessen Entstehung man sich schwer vorstellen kann bei einem Mann, den die junge Frau gerade erst getroffen hat. 

Alle Ereignisse umgibt der Zauber der Stadt Kairo, deren Gesichter sich von einer Minute auf die andere wandeln können. Die Hauptstadt, in der man, wie der Dichter Hijab sagt, den „Piaster“ findet, also das Geld, dass die Beziehungen beherrscht, aber gleichzeitig auch die „Barmherzigkeit und Vergebung“; in der dir in jeder Straße das „Maklern“ begegnet, der Wunsch des anderen, aus dir den größtmöglichen Nutzen zu ziehen, aber immer auch „die Liebe und das Recht“, die in der sozialen Gleichung zwischen den Menschen nie ganz fehlen. Das ist Kairo: Eine Stadt, die einen an Krebs erkrankten alten Mann allein in der Hitze ihres Sommers und inmitten erstickender Menschenmassen seinem Leid überlässt, ihn dann jedoch mit einer unerwarteten Freundin und mit Menschen belohnt, die ihn und Duaa in Herzlichkeit hüllen und mit ihnen feiern, als sie denken, dass Shawky der Vater der jungen Frau im Brautkleid ist. Einer von ihnen schenkt Duaa Süßigkeiten, weil sie es geschafft hat, für einige Momente aus der Schwere des Alltags auszubrechen und ihr Recht auf Glück einzufordern.
 

Die Bedeutung des Films

Wenn Filme Geschichten von Menschen erzählen, und Menschen an Orten leben, die eng mit ihrem Leben verbunden sind und deren Einzelheiten ihre Seelen formen, so schafft es Sherif El-Bendary mit Har Gaf Sayfan der Besonderheit der Beziehungen zwischen Mensch und Ort sowie zwischen Mensch und Mensch in Kairo Ausdruck zu verleihen. Wären die Straßen Kairos nicht menschenüberfüllt, hätte Shawky Duaa nicht getroffen; ohne die Grausamkeit der Stadt, müssten die beiden der Welt nicht jeweils allein entgegentreten; und ohne die unerwartete Barmherzigkeit ihrer Einwohner wäre der Tag, wenn nicht das ganze Leben, für die beiden unvollständig geblieben.

Har Gaf Sayfan ist die Geschichte einer Begegnung zweier Menschen unter durchweg schwierigen Bedingungen – im Krankheitszustand, inmitten von Konflikt und Hektik, erdrückender Hitze und nervenzehrender Menschenmassen. Regisseur El-Bendary nimmt uns und seine Protagonisten mit auf eine Reise durch Downtown Kairo, vorbei an alten Gebäuden, Straßenkiosks und Hamams, durch Tunnel, Ateliers, das Friseurgeschäft und das Studio eines Fotografen – Orte, die unsere Augen und Erinnerungen streicheln, ohne dass der Regisseur stehenbleibt oder versucht, sich in den Vordergrund zu drängen. Dies verleiht der Präsenz des Ortes Gewicht und Bedeutung.

Sherif El-Bendary erzählt seinen Film mit großer Ruhe und einem ausgesprochenen Interesse für seine Charaktere, genauer die Seite in ihnen, die auf Konflikt aus ist, die die Probleme des Lebens kennt und sie jeden Tag bekämpft. Aber auch in ernsten Momenten schafft El-Bendary es, die Krise so darzustellen, als wäre sie nur eine Episode, die nichts weiter verdient als ein flüchtiges Lächeln und die Entscheidung, dass das Leben weitergeht.

Dies ist ein Film voller Ehrlichkeit und Reife: der Ehrlichkeit eines Künstlers, der etwas abseits der üblichen Themen und politischen Botschaften zu sagen hat; und der Reife des Filmschaffenden, der selbstbewusst genug ist, ohne Überflüssiges und Unnötiges auszukommen. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass Har Gar Sayfan der beste ägyptische Kurzfilm der letzten Jahre ist.

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