Wie verändert Künstliche Intelligenz das Übersetzen
Buchbranche unter Druck

Buchbranche unter Druck – Wie verändert Künstliche Intelligenz das Übersetzen
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ChatGPT, DeepL, Google Translate… Können Texte und Übersetzungen bald zu 100% maschinell erstellt werden? Was bedeutet das für die Buchbranche? Und wie verändert sich der Beruf des/der Übersetzer*in?
 

Von von Andreas G. Förster

„Wenn wir wollen, daß alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern.“[1] Der Ausspruch aus Tomasi di Lampedusas Leopard ist längst ein geflügeltes Wort: Nicht jede Neuerung bedeutet Veränderung. Ob und wie sich die Arbeit für literarische Übersetzer*innen durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) ändert, hängt von dessen Art und Umfang ab.

Glaubt man den Werbeversprechen der IT-Industrie und setzt KI-Software massiv ein, erleidet die zum Posteditieren degradierte Literaturübersetzung das historische Schicksal der Fabrikarbeit, wobei die Parzellierung in repetitive Handgriffe nur ein Aspekt ist: Gegenwärtig rechnen die KI im transatlantischen Kulturtransfer noch nicht einmal Konfektionsgrößen und Längenmaße korrekt um, von der Adaption typografischer Besonderheiten ganz zu schweigen. Insgesamt unterscheidet sich die Nachbearbeitung des Maschinenoutputs insofern vom Übersetzungslektorat, als dass der Algorithmus kein sicheres Textfundament liefert, die Sätze stehen im Zweifelsfall unverbunden nebeneinander. So erklärt André Hansen für das Projekt Kollektive Intelligenz: „Eine Übersetzungsmaschine kann in einem Satz eine richtige Entscheidung treffen, und im nächsten Satz steht sie vor demselben Problem und entscheidet falsch.“

Das Projekt Kollektive Intelligenz wurde 2022 von zwei Übersetzern sowie einer Übersetzerin gegründet und wird vom Deutschen Übersetzerfonds aus Mitteln des BKM-Programms Neustart Kultur gefördert. Ziel ist es, hiesige Literaturübersetzer*innen zum fundierten Austausch über Vor- und Nachteile des KI-Einsatzes anzuregen. Die empirische Grundlage erarbeiteten 14 Kolleg*innen mit der generischen, d. h. nicht fachspezifisch trainierten Software des Kölner Startups DeepL anhand von Auszügen aus einem Sachbuch und einem Unterhaltungsroman.

Im Ergebnis attestiert das KI-Projekt dem maschinell erstellten Text drei Haupteffekte: den Ermüdungs-, Vorprägungs- und Hinderniseffekt. Ein brüchiges Textfundament ist die wichtigste Ursache für Ermüdungserscheinungen. (Während beim klassischen Übersetzen nur mit einem Ausgangstext gearbeitet wird, gibt es beim Übersetzen mit KI zwei Texte, die Aufmerksamkeit erfordern: das fremdsprachige Original und der maschinell erstellte Output. Beide zu erfassen, erfordert zusätzliche Zeit und Kraft.) Vorgeprägt ist die Übersetzung, weil die Nachbearbeitung stets (gerade in Satzbau und Vokabular erkennbar) auf dem Maschinenoutput fußt. Dieser stellt mitunter ein Hindernis dar, wenn er sich vor das literarische Original schiebt. Diese übersetzerische Perspektive lässt sich online in dem bereits zitierten Resümee von André Hansen sowie in 14 Arbeitsberichten nachlesen.[2]

Die Internationale Organisation für Normung hat sich mit Blick auf maschinell erstellte Übersetzungen sogar auf eine eigene Regelung verständigt. Die DIN-ISO-Norm 18587:2018-02 zum Posteditieren nennt zwei Beweggründe für den Einsatz von KI: die Einsparung von Zeit und Geld. Sie stellt aber auch klar, dass sich fürs maschinelle Übersetzen nicht (!) jeder Text eignet – und dass Texte, die nicht nachbearbeitet werden, nicht publikationsreif sind. Stand der Technik heute. Das Einsparpotenzial ist stets vom konkreten Einzelfall abhängig (es kursieren Zahlen von 10 bis 30 Prozent), kann aber auch im negativen Bereich liegen, so dass Mehraufwand entsteht. Da kommt es ganz auf den Text und den/die Übersetzer*in bzw. Posteditor*in an.

Können Maschinen Kunst erschaffen?

In Deutschland ist die Frage, ob Maschinen für das Generieren von Texten oder Bildern einen urheberrechtlichen Schutz erhalten können, relativ klar: Urheber kann nur ein Mensch, eine natürliche Person sein. Ein Werk ist immer menschlichen Ursprungs, alles andere ist ein Erzeugnis; das Urheberrecht verbleibt immer bei dem/der Künstler*in, allein Nutzungsrechte sind übertragbar. Die Rede von „emergenten Werken“ sucht nun den Weg für eine Bedeutungsverschiebung und Verwässerung des Urheberrechts zu ebnen: Wenn maschinengenerierte und menschengeschaffene Kunstprodukte nicht mehr unterscheidbar seien, so heißt es, könnten Menschen keinen besonderen Schutz mehr beanspruchen. Ob ein ordentliches Gericht dieser Argumentation folgen würde, ist derweil noch offen.

Für die ästhetische Dimension übersetzter Texte ist der Software-Einsatz verheerend. Ausdruck und Sinn verlieren im Maschinenoutput tendenziell an Prägnanz. Wie schlimm das Ganze ist, mag von Sprache zu Sprache variieren – fürs Deutsche jedenfalls ist Folgendes zu beobachten: geringe Variation bei den Verben, vielfach Passivkonstrukte, Parataxen ohne satzinterne Gewichtung, Nominalstil, doch kaum Komposita etc. Im Grunde handelt es sich oftmals um massive Interferenzen, die ins Deutsche übergreifen. Und am Ende des Tages scheinen sie oft akzeptiert zu werden.

Zurück zum Einsatz von KI: Glaubt man den Äußerungen literarischer Übersetzer*innen, ist mit Zeitersparnis kaum zu rechnen. Demnach dient die KI vor allem als zusätzliche Inspirationsquelle für einzelne Ausdrücke, Sätze oder Absätze und bildet ein weiteres, das neueste Hilfsmittel. Die Interpretation fremdsprachiger Textkunstwerke gewinnt so einen potenziellen Arbeitsschritt hinzu, lässt sich dadurch aber nicht beschleunigen – jedenfalls nicht ohne Abstriche an der Textqualität.

Wie groß der Sprung ist, den man den lernenden Übersetzungsmaschinen künftig noch zutraut, hängt von vielerlei Faktoren ab (nicht zuletzt von der Entwicklung spezifischer und adaptiver Software). Es gibt jedoch Stimmen, die von einer grundsätzlichen Begrenztheit dieser Sprachmodelle ausgehen, so dass der Mensch im Schreib- und Übersetzungsprozess niemals überflüssig wird. So weisen Computer-Linguist*innen darauf hin, dass die Maschine nur eine der zwei bzw. drei Dimensionen eines sprachlichen Zeichens erfasse, nämlich die Form[3] – doch weder Inhalt noch Bedeutung.

Wohl kaum dürfte „die KI“ die Übersetzer*innen einfach verdrängen. Das Spannungsfeld zwischen Übersetzer*in, Lektorat und Verlag könnte sich aber weiter aufladen, falls sich Letztere mit der KI-Technik in neue Abhängigkeiten begeben. Freilich betrifft das Thema KI in der Buchbranche zumindest mittelfristig nicht nur Übersetzungen, sondern auch die Bereiche Kinderbuch, Illustration, Manuskriptanalyse, Absatzprognose (Schrägstrich Programmplanung) und Hörbuchproduktion. Die vollautomatisierte Buchproduktion ist reine Spekulation, sorgt aber vielerorts schon für Herzklopfen.

Andreas G. Förster arbeitet als freier Literaturübersetzer und ist mit Heide Franck und André Hansen einer der drei Initiatoren des Projekts Kollektive Intelligenz.

(*Im Sinne unserer Sprachregelung für gendergerechte Kommunikation wurden die Gendersternchen von uns eingefügt.)

Anmerkungen:
[1] Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Der Leopard (1958), übers. v. B. Kroeber (2019), S. 36.
[2] André Hansen, „Kollektive Intelligenz: Kann KI Literatur?“, 2023, https://kollektive-intelligenz.de/originals/kollektive-intelligenz-kann-ki-literatur/
[3] Siehe Emily M. Bender und Alexander Koller, „Climbing towards NLU: On Meaning, Form, and Understanding in the Age of Data“, 2020, https://aclanthology.org/2020.acl-main.463.pdf

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