Moving MENA

 © Ameer Massoud

Das „Official Bureau of Disempowerment“ steckt in einem weißen Würfel. 2 Meter lang, breit und hoch, steht er in der Mitte eines schlichten Raumes im grellen Licht der Neonröhren. Was sich in seinem Inneren abspielt, können die etwa zwei Dutzend Beobachter nicht sehen. Zu ihnen dringt nur eine laute, blechern klingende Stimme, die Kommandos erteilt und keinen Widerspruch duldet. Mal muss sich das Publikum in Reihen aufstellen, dann nach Nationalität, Geschlecht oder Augenfarbe sortieren oder schließlich einzeln vortreten und die Handflächen auf den Kubus legen. Je länger es geht und je absurder es wird, desto unausweichlicher stellt sich die Frage: Wie kann ein einfacher Würfel das Leben eines Menschen so verkomplizieren?

Im Würfel, hinter einer dünnen weißen Leinwand, steht der jordanische Performancekünstler Ameer Masoud und spielt den größenwahnsinnigen Bürokraten, der seine Allmachtsfantasien an denen auslässt, die auf ihn angewiesen sind. „Ich wollte Chaos und Verwirrung stiften und zeigen, wie Bürokratie zu teuflischer Folter werden kann“, erklärt Masoud später, der sich über die lebhafte Diskussion unter den Teilnehmern freute, die sich nach seiner Darbietung entspann.

Die Performance auf der „Berlin Art Week“ im September 2017 war Masouds erster Auftritt in Deutschland. Noch heute erinnert er sich an viele interessante Begegnungen mit Künstlerinnen und Kuratoren rund um das Festival: „In die Kunstszene Berlins einzutauchen, war eine meiner einflussreichsten Erfahrungen.“

Gefördert wurde Masoud vom Mobilitätsprojekt „Moving MENA“ des Goethe-Instituts Kairo, das zwischen 2012 und 2017 insgesamt 645 Künstlerinnen und Kulturakteure unterstützte. Einerseits konnten sich kulturelle Einrichtungen in Deutschland um Fördergelder bewerben, um arabische Künstler zu sich einzuladen. Andererseits sprach das Projekt auch direkt vorwiegend jüngere Kulturschaffende aus Ägypten, Tunesien, Marokko und Jordanien an, und ermöglichte ihnen mithilfe von Reisestipendien, an Veranstaltungen in Deutschland oder in anderen arabischen Ländern teilzunehmen.

„Die Reise nach Berlin war eine tolle Chance“, erinnert sich Masoud, „und sie hat mir die große Bedeutung von Austausch in der Kunst vor Augen geführt.“ Aus der Zusammenarbeit mit dem deutschen Künstlerkollektiv Zona Dynamic bei der „Berlin Art Week“ hat sich eine lebhafte Kooperation entwickelt. „2018 haben wir ein gemeinsames Projekt in Amman präsentiert, 2019 dann den zweiten Teil des Projekts in Berlin vorgestellt“, blickt Masoud zurück. „Als in Jordanien lebende Künstler hatten wir die Möglichkeit, die Kunstszene in Deutschland kennenzulernen und dort Projekte umzusetzen, und umgekehrt hatten die in Deutschland lebenden Künstler die Chance, mit Künstlern in Amman an bedeutenden Projekte zusammenzuarbeiten.“

Masouds Erfahrungen spiegeln sich in einer Befragung unter ehemaligen Teilnehmern von „Moving MENA“ wider. 69% von ihnen halten transnationale Mobilität für wichtig, für 23% ist sie sehr wichtig für Ihre Arbeit. „Um Kunst zu machen, muss man Kunst sehen. Reisen ist sehr wichtig, um Menschen zu treffen und Erfahrungen zu teilen“, beschreibt ein Teilnehmer die Bedeutung von internationalem Austausch durch Reisen. Ein anderer sagt: „Damit die Kunst ihre Mission erfüllen kann, muss sie über ihre logischen Grenzen der Nachbarschaft, der Stadt, des Landes hinausgehen. Sie muss die Welt sehen, um sich mit ihr austauschen zu können. Sonst ist keine menschliche Entwicklung möglich.“ Insgesamt sind 82% der Befragten der Meinung, durch ihre Reise, die von „Moving MENA“ gefördert wurde, einen wertvollen künstlerischen Input erhalten zu haben.

Kunst ist auch politisch – und so ist es kein Zufall, dass „Moving MENA“ kurz nach den Revolutionen in Ägypten und Tunesien ins Leben gerufen wurde. Weil Kultur einen Beitrag zu Demokratisierungsprozessen leisten kann, zielte das Projekt auch darauf ab, den unabhängigen Kultursektor in den Herkunftsländern der Reisenden zu stärken – und damit zivilgesellschaftliche Strukturen, was letztlich die Demokratisierungsprozesse in Ägypten und Tunesien unterstützen sollte. Die ägyptische Fotografin Sara Soliman schrieb in ihrem Abschlussreport, dass die Erfahrungen, die sie in Deutschland machen konnte, ihren Wunsch nach persönlicher Freiheit und Unabhängigkeit bestärkten. Ähnlich erging es der Tunesierin Bahiya Chaieb, die feststellte, dass sie durch ihr Praktikum im Maxim-Gorki-Theater in Berlin und die Gespräche mit Experten und Künstlern gelernt habe, wie wichtig Freiheit sei. Umso bedauerlicher, dass Stipendiaten auch immer wieder davon berichteten, dass sich die Rahmenbedingungen für unabhängige Kulturschaffende in ihren Heimatländern zunehmend verschlechterten.

Die Bandbreite der in den sechs Jahren unterstützten Künstler ist groß: Von Berlinale-Teilnehmerinnen wie der ägyptischen Filmemacherin Mayye Zayed, über traditionelle Puppenspieler, Ikonenmaler oder experimentelle Performance-Künstler wie Ameer Masoud, bis hin zu Musikern und sogar Zirkusartisten. „Das schöne ist“, sagt Masoud, „dass ich seither immer wieder Künstler treffe, die mir erzählen, dass sie dank ‚Moving MENA‘ auch schon in Deutschland aufgetreten sind.“

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