„Safe Spaces“ gegen Mobbing und soziale Gewalt
Von Aya Nabil
In den digitalen Klassenräumen haben sich die Teilnehmenden des Workshops in mehrere kleine Gruppen unterteilt, die jeweils eine improvisierte Szene zum Thema „Belästigung“, einer Form geschlechtsbasierter Gewalt, präsentieren. Ihre Diskussionen sind produktiv und jede/r leistet einen Beitrag mit ihren und seinen Ideen. Die Barrieren von Angst und Scham, die Menschen oft daran hindern, sich am Diskurs zu beteiligen, geschweige denn über ihre eigenen Erfahrungen mit Gewalt zu sprechen, bestehen hier nicht. Am Ende des Workshops sind die Trainierenden selbst zu Trainer*innen geworden: Jetzt müssen sie planen, wie sie dieses neu erworbene Wissen an die Kinder und Jugendlichen ihrer Region weitergeben werden.
In den Monaten September und Oktober beteiligten sich 42 junge Männer und Frauen an drei Workshops, die das Goethe-Institut im Rahmen seiner Frauen- und Genderprojekte, genauer dem Projekt „Gender-Bewusstsein“, das in Kooperation mit dem Ministerium für Jugend und Sport im Zeitraum 2020/2021 durchgeführt wird, organisiert hatte.
In diesem Projekt bildet das Goethe-Institut junge Trainer*innen aus, die in ministeriellen Einrichtungen wie auch in Nichtregierungsorganisationen in verschiedenen ägyptischen Gouvernements arbeiten. Das Gender-Training hilft den Teilnehmenden dabei, sich kritisch mit Geschlechterstereotypen und der Gewalt, die sie zu schüren vermögen, auseinanderzusetzen und selbst Aktivitäten und Trainings in ihren lokalen Kontexten durchzuführen.
Ausdrucksfreiheit ist ein bedingungsloses Recht
Gemeinsam mit Sondos Shabayek hält Shady Gender-Workshopsab. Diese basieren auf dem Arbeitsheft Tahaddy al-Ada („Die Gewohnheit herausfordern“), das Shady und Sondos 2017 für das Goethe-Institut und mit Unterstützung durch das Dialog & Wandel Programm entwickelt und verfasst haben. Das Heft liefert Trainer*innen ein Modell für die Verwendung von Techniken wie Storytelling und Drama in Aktivitäten für Kinder und Jugendliche, durch die diese lernen sollen kritisch zu denken, zu diskutieren und sich auszudrücken sowie Konflikte in einer angemessenen und sicheren Art und Weise zu lösen. Gleichzeitig unterstütztendie Ansätze den Lernprozess durch die Schaffung eines Umfelds, in dem geschlechtsbasierte Gewalt, Stereotypen und die Stigmatisierung von freiem Meinungsausdruck nicht toleriert werden.
Shady möchte Trainer*innen ausbilden, die in ihrer Rolle nicht etwa die Verteidigung einer Agenda und bestimmter Meinungen sehen, sondern in der Ermutigung von Kindern und Jugendlichen, über den wahrgenommenen gesellschaftlichen Druck und die sich daraus ergebenen psychologischen Folgen zu sprechen. „Wenn sich Kinder gegenseitig zuhören, entdecken sie, dass sie sich diesen Ängsten oder dem Druck nicht allein stellen müssen“, sagt er. „Dann können sie das, was der Trainer bietet, verstehen und aufnehmen. Sieöffnen sich für ein neues Verständnis für Stereotype, Mobbing und lernen, wie sie etwas gegen die daraus resultierende Gewalt tun können“.
Die Zusammenarbeit zwischen dem Goethe-Institut und dem Ministerium beschreibt Shady als „einen wichtigen Schritt“, der für Teilnehmende neue Möglichkeiten für Aktivitäten mit Kindern und Jugendlichen bei sich vor Ort eröffnet. Aus diesen Erfahrungen könnten sie wiederum für die Zukunft lernen. Ein Umdenken mache es andererseits auch leichter, die Probleme anzupacken und stereotype Vorstellungen abzubauen.
Mit der Entscheidung, ihren Workshop ins Internet zu verlegen, reagierten Shady und Sondosauf die Kontaktbeschränkungen, die zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschlossen worden waren. Dazu mussten die beiden Trainer alle Inhalte und Strukturen des Trainings an die Bedingungen des neuen Mediums anpassen.
Nichtsdestotrotz sei “das einzige Hindernis der fehlende Internetzugang in einigen Regionen“ gewesen, wie Sondos erklärt. Sie fügt hinzu: „Der Vorteil, die Workshops online statt wie geplant in Kairo abzuhalten, war, dass wir auch Teilnehmende dazugewannen, die sonst nicht hätten anreisen können, weil sie zum Beispiel zu weit weg wohnen oder weil ihre Familien sie nicht so weit reisen lassen wollen, wie es im Fall von Frauen in einigen Gouvernements in Oberägypten ist“.
„Wir freuen uns über Kooperation“
Mohammed Faisal, Leiter des Kunstbüros im Ministerium für Jugend und Sport, bestätigt, dass sich die Mühen des Ministeriums schon seit einer Weile auf den Kampf gegen Mobbing und geschlechtsbasierte Gewalt richteten. Die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut sei also für beide Partner eine Gelegenheit gewesen, die jeweiligen Ziele zu erreichen. „Es ist wichtig, dass wir in allen Gouvernements Trainer*innen haben, die für die Durchführung solcher Trainings qualifiziert sind“, betont er. Angesichts der Vielzahl stereotyper Vorstellungen, der wachsenden Gewalt und Bedeutung von Bewusstseinsbildung, sagt Faisal abschließend, plane sein Ministerium, von den Fähigkeiten der Workshopabsolventen regen Gebrauch zu machen.
Ein Wendepunkt
Yara selbst kämpft in ihrem Berufsfeld mit starren Geschlechterrollen: So bestehen viele Arbeitgeber darauf, ihre Stellen ausschließlich mit männlichen Absolventen zu füllen. „Gesellschaftliche Stereotype überragen traditionelle Muster“, sagt Yara. „Deshalb habe ich auch sehr davon profitiert, etwas über theaterbasierte Ansätze zu lernen. Dadurch kann ich Kindern helfen, für ihre eigenen Angelegenheiten einzutreten, unabhängig davon, ob ich von diesen Angelegenheiten selbst eine Ahnung habe“.
Neue Projektaktivitäten
„Gender-Bewusstsein” Projektkoordinatorin Inga Wilke berichtet, dass bereits neue Aktivitäten im Rahmen des Projekts geplant seien, wie Veranstaltungen für den Weltkindertag. Eine weitere Reihe Training-of-Trainers gemeinsam mit dem Ministerium für Jugend und Sport sei auch für den nächsten Frühling geplant sowie ein Orientierungsprogramm für 15 Teilnehmende im März ohne das Ministerium.