Zivilgesellschaftliche Bildung
Aus Mustern ausbrechen

Die Trainingsprogramme in »Civic Education« sollen lineare Lehrmethoden überwinden und zu einer besseren Selbsteinschätzung im Rahmen einer Gruppendynamik beitragen.
Goethe-Institut Kairo / Abla Mohamed

Ein Kurs in Ägypten fordert die Teilnehmenden heraus, sich den eigenen Vorurteilen zu stellen. Denn Akzeptanz von Vielfalt ist entscheidend für das gesellschaftliche Miteinander.

Wenn Fachtrainerinnen und Fachtrainer aus Deutschland einen Workshop in der MENA-Region veranstalten, so rechnen viele Teilnehmende gängigen Klischees nach damit, dass sie einen Stapel von Berichten und klare Unterrichtsanweisungen mitbringen. Als Ausbilderinnen und Ausbilder des Goethe-Instituts für den Kurs "Demokratie und Toleranz" nach Ägypten kamen, um "durch Irritation zu unterrichten", sorgten sie dementsprechend für eine gehörige Überraschung. Anstatt lediglich Berichte zu verteilen, ermutigten sie die Teilnehmenden zur Diskussion, um über deren eigene Vorurteile nachzudenken.

"Die meisten mochten diesen Ansatz nicht", erinnert sich Mohamad Bayar, ein NGO-Leiter aus Alexandria. "Wir hatten mit einem Kurs gerechnet, der akademische Inhalte vermittelt. Stattdessen zwang uns das Format zunächst einmal, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen und dann über die strukturellen Veränderungen nachzudenken, die wir selbst in der Hand haben."

Der Ansatz der Ausbilderinnen und Ausbilder erschien auch deshalb ungewöhnlich, weil die meisten Ägypterinnen und Ägypter von staatlichen, starren Bildungssystemen geprägt sind. Das basiere auf der Vorstellung von Bildung als einem linearen, einseitigen Prozess, in dem eine Expertin oder ein Experte dem Laien Fakten und Antworten vermittelt, so Florian Wenzel vom "Centrum für angewandte Politikforschung" (CAP) an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Er ist einer der Trainer und Entwickler des Kurses. "Wir konfrontierten die Teilnehmenden mit ihren eigenen Gruppenprozessen, verwickelten sie in unvorhergesehene Szenarien und bedienten uns eines pragmatischen Ansatzes. Auf diese Art und Weise versuchten wir, unsere Workshop-Sitzungen als ein Modell für die Gesellschaft an sich nutzbar zu machen."

Umgang mit Minderheitenansichten

Der Kurs über "Civic Education" ermutigte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sich mit heiklen Fragen auseinanderzusetzen, wie ihrem Umgang mit entgegengesetzten Meinungen und ihren eigenen Vorurteilen gegenüber anderen Menschen. Sie sollten begreifen, dass Toleranz ein wesentlicher Aspekt jedes demokratischen Prozesses sei. Dabei spielt es keine Rolle, ob es um Entscheidungsprozesse auf politischer Ebene oder im Rahmen einer Organisation geht. In einem Land, das nur wenig Erfahrung mit Demokratie hat, sowohl in der Wahrnehmung von Freiheitsrechten als auch in dem Aushalten von Gegenstimmen, war dies umso notwendiger, so Wenzel. Selbst Aktivistinnen und Aktivisten, die sich hartnäckig dem autoritären Regime Mubaraks entgegengestellt hatten, waren zuvor kaum vertraut mit den internen Abläufen in ihrer NGO, etwa dem Umgang mit Minderheitenansichten. "Sie hatten eine sehr einseitige Vorstellung von Demokratie. Das spiegelt sich in der aktuellen Situation in Ägypten wider."

Aus Scheitern lernen

Der persönliche Ansatz forderte die Teilnehmenden dazu auf, über ihre Beweggründe und ihre Leidenschaften nachzudenken – wichtige Fragen in einem Land, in dem zivilgesellschaftliches Engagement nicht nur schwierig, sondern gefährlich ist. Basmah Metwally arbeitet in der wirtschaftlich marginalisierten Region Siwa im Westen Ägyptens. Durch den Kurs erkannte sie, warum eine zuvor von ihr ins Leben gerufene Initiative zur Stärkung von Frauen in ihrer Region katastrophal an Konflikten zwischen den von ihr ausgesuchten Mitarbeiterinnen scheiterte. Im Kurs forderte der Trainer die Teilnehmenden heraus, sich selbst die Frage zu stellen: Haben Sie etwas gestartet, von dem Sie überzeugt sind, oder standen andere Faktoren hinter Ihren Beweggründen? Dieser Reflexionsprozess traf Metwally wie ein Schlag. "Mir wurde klar, dass ich das Projekt um die Stärken meiner Teammitglieder aufgebaut hatte, aber nicht um meine eigenen – ich hatte nicht das Projekt geschaffen, das ich wirklich wollte." Zum Ende des Trainings hin hatte sie ihre Initiative neu formuliert. Sie bietet den Frauen in Siwa nun ein ähnliches Training an wie jenes am Goethe-Institut. Die Initiative zeigt ihnen, wie sie finanzielle Unterstützung einwerben und Interessengruppen einbinden können – ein wichtiges Angebot in einer Region, in der sich Frauen nur wenige wirtschaftliche Chancen bieten.

Viele ehemalige Absolventinnen und Absolventen des Kurses, der seit 2014 jährlich stattfindet, haben mittlerweile ähnliche Workshops ins Leben gerufen und diese den speziellen Bedürfnissen ihrer Heimatorte angepasst. Ein Teilnehmer aus dem oberägyptischen Minya meint, dass solche Trainings noch häufiger stattfinden müssten. Seiner Ansicht nach könnten sie dazu beitragen, die Gesellschaft zu Verändern. Ein großes Problem in Minya ist das Verhältnis zwischen Muslimen und koptischen Christen. "Die meisten Menschen hier glauben nicht an Vielfalt, daran, dass andere das gleiche Recht haben, ihre Religion zu praktizieren und öffentlich auszuleben. Ähnlich verhält es sich mit den Kämpfern zwischen politischen Gruppierungen. Die Kurse setzen genau an diesem Punkt an. Wir wollen ein besseres Verständnis füreinander als Mitglieder einer Gesellschaft erreichen." Die Workshops erzielen auch wegen der Auswahl der Teilnehmenden, die ihrerseits als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren dienen, solch eine Wirkung, sagt Dr. Elke Kaschl Mohni, Regionalleiterin Nordafrika/Nahost am Goethe-Institut. "Der Schlüssel liegt darin zu wissen, wen man miteinbezieht und wie man die Wirkkraft der Kurse so potenzieren kann."

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