Sprachenpolitik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Lust auf Sprachen
Wer lernt warum Deutsch? Und was können Regierungen, Institutionen und Lehrkräfte dafür tun, dass Sprachen gleichwertig behandelt werden? Darüber sprachen wir mit dem Germanistikprofessor Hans-Jürgen Krumm, Autor des kürzlich erschienenen Studienbuchs „Sprachenpolitik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“.
Von Janna Degener-Storr
Etwa 130 Millionen Menschen in der Welt sprechen, etwa 15,4 Millionen Menschen lernen die deutsche Sprache. Ist das das Ergebnis von Sprachenpolitik?
Auch. Die deutsche Sprache hat sich auf sehr verschiedene Weise über die Welt verbreitet – etwa durch den Kolonialismus und die deutschen Auswanderungen. Und es gibt bis heute im Bereich der Wirtschaft und des Tourismus viele Gründe, Deutsch zu sprechen und zu lernen. Aber natürlich spielt auch die Sprachenpolitik eine wichtige Rolle. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg haben die damalige Bundesregierung und auf andere Weise die DDR massive Sprachenpolitik betrieben. Da ging es darum, im Wettstreit der Systeme zu zeigen, dass es nach dem Nationalsozialismus ein besseres Deutschland gibt. Diese Sprachenpolitik, bei der Institutionen wie das Goethe-Institut eine wichtige Rolle gespielt haben und weiterhin spielen, hat natürlich mit dazu beigetragen, dass heute trotz des Vordringens von Englisch relativ viele Menschen Deutsch lernen.
Sie sagen, während des Kalten Krieges habe man die Sprachenpolitik gezielt eingesetzt, um das Deutschlandbild in der Welt zu prägen. Ist die Motivation zur Deutschförderung in anderen Ländern heute noch die gleiche?
Heute spielen einerseits wirtschaftliche Aspekte und andererseits die Europapolitik eine größere Rolle. Auch gibt es einen Bedarf an Fachkräften aus dem Ausland. Es geht in der globalisierten Welt auch um einen Wettstreit um kluge Köpfe. Man hofft deshalb, die Aufmerksamkeit der Menschen auf den deutschen Sprachraum, auf Bildungsangebote genauso wie auf deutsche Firmen zu lenken, indem man sie für die deutsche Sprache begeistert. Und Deutschland will sich mit seiner Sprache als Teil der Europäischen Union zeigen.
Wie bewerten Sie die Sprachenpolitik der deutschen Regierung?
Insgesamt setzt die deutsche Regierung richtige Akzente. Es geht nicht im direkten Sinn um „politischen Einfluss“ auf Menschen. Für die deutsche Sprachenpolitik ist im Wesentlichen das Auswärtige Amt zuständig. Das heißt, es geht um Imagebildung und Sympathiewerbung, um Verständigung, nach wie vor auch gegenüber dem durch den Nationalsozialismus angerichteten Schaden. Es ist meines Erachtens richtig, dass man die deutsche Sprache als eine schöne und wichtige Sprache im Rahmen der internationalen Mehrsprachigkeit vertritt, aber dabei nicht gegen andere Sprachen argumentiert. Die deutschsprachige Schweiz, Österreich und die Bundesrepublik liegen mitten im heutigen Europa. Und Deutsch ist für viele Menschen in der Welt eine interessante Sprache, auf der einen Seite wegen seiner kulturellen Traditionen und auf der anderen Seite als europäische Sprache. Es ist gut, dass die deutsche Sprachenpolitik die gesamte Breite der Interessen und Beziehungen in den verschiedenen Kontinenten aufgreift.
Man kann in Deutschland kostenlos studieren und der Deutsche Akademische Austauschdienst bietet interessante Stipendienprogramme. Werden die Menschen auch durch solche politischen Entscheidungen motiviert, Deutsch zu lernen?
Natürlich spielt das eine Rolle. Dabei geht es nicht nur um die Kostenfreiheit. Das deutsche Bildungssystem hat weltweit einen sehr guten Ruf, das gilt für viele Fachbereiche von der Architektur bis zu technischen Fachbereichen und der Philosophie und Musikwissenschaft. Aber das würde allein nicht für die starke Nachfrage ausreichen, wenn es kein anderes Interesse an Deutschland und der deutschen Sprache gäbe.
Wie betreiben DaF-Lehrkräfte Sprachenpolitik?
Lehrkräfte spielen eine ganz entscheidende Rolle, wenn es darum geht, für die deutsche Sprache zu begeistern. Sie zeigen ihren Schülerinnen und Schülern, dass man mit einer Sprache nicht nur Grammatik erlernt, sondern auf eine ganz neue Weise Zugang zu einer anderen Welt bekommt. Sie wählen die Texte und die Musik für ihren Unterricht aus. Sie organisieren aber auch Austauschprogramme, die direkte Kontakte ermöglichen. Ich nenne das „Sprachpolitik von unten“.
Sprachenpolitik findet auch innerhalb von Deutschland statt, zum Beispiel wenn Zugewanderte zu Integrationskursen verpflichtet werden …
Ja, und ich habe ein sehr gespaltenes Verhältnis dazu. Klar ist: Wer in Deutschland leben und arbeiten will, braucht dazu die deutsche Sprache. Gleichzeitig gibt es große Ungerechtigkeiten, was die sprachlichen Voraussetzungen für den Zuzug angeht. Manche Menschen müssen Sprachprüfungen bestehen, um etwa im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland zu kommen. Andere dürfen sich, weil sie zum Beispiel in Polen oder Portugal geboren wurden, hier niederlassen, ohne dass jemand nach ihren Deutschkenntnissen fragt. Als Sprachwissenschaftler denke ich, dass Sprache eine Brücke ist und keine Barriere sein sollte. Manche der Sprachprüfungen für Zugewanderte wirken aber eher als Barrieren. Außerdem ist klar, dass man Sprachen besser mit Belohnungen und Anreizen erlernt als mit Sanktionen. Da hat Sprachpolitik nach meiner Auffassung nicht immer die richtige Balance gefunden.
Schulleitungen betreiben auch Sprachenpolitik, wenn sie ihren Schüler*innen verbieten, auf den Pausenhöfen eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen. Dabei spielt es auch eine entscheidende Rolle, ob die Kinder Arabisch oder Englisch „im Gepäck“ haben…
Sprachenverbote in der Schule, auch in der Schulpause sind schlimm: Sie verstoßen gegen Menschen- und Kinderrechte. Und sie behindern die Entwicklung der Mehrsprachigkeit bei Kindern. Sie alle wachsen in einer mehrsprachigen Welt auf und sollten schon in der Schule lernen, sich in dieser Mehrsprachigkeit zurechtzufinden.
In der Sprachwissenschaft werden Sprachenverbote als „Linguizismus“ bezeichnet, ein Begriff“, der dem Begriff „Rassismus“ nachgebildet ist. Während Englisch überall erlaubt ist, werden andere Sprachen diskriminiert. Ich finde, unsere Sprachenpolitik tut noch nicht genug, um die Wertschätzung aller Sprachen durchzusetzen und Mehrsprachigkeit als Reichtum zu verstehen.
Was können Lehrkräfte dafür tun, dass Sprachen gleichwertig behandelt werden?
Lehrkräfte sollen im Unterricht über Sprachenpolitik reden, damit jeder Mensch begreift, dass eine Abwertung von Sprachen auch eine Abwertung der Menschen ist, die sie sprechen. Das fängt damit an, dass die Lehrkraft fragen kann, welche Sprachen es im Klassenraum eigentlich gibt. Das ist pädagogisch wichtig, um zu wissen, worauf ich aufbauen kann. Aber das ist auch ein Akt der politischen Bewusstseinswerdung für die Lehrkräfte und die Kinder. Denn sie merken: Nicht nur das, was ich in meiner Sprache sagen kann, ist Normalität. Es ist auch Normalität, dass andere Menschen andere Sprachen sprechen. Man kann mit Lernenden diskutieren, weshalb einige Sprachen bei uns als wertvoll gelten, andere aber nicht. Wichtig finde ich auch, dass man Deutsch als europäische Sprache unterrichtet und betrachtet. Man kann Schülerinnen und Schüler auf anderen Kontinenten fragen, weshalb bei den EU-Beamten mehr Englisch gesprochen wird als Deutsch, obwohl die Deutschsprachigen die größte Gruppe in der EU bilden. Dann ist man schnell bei der deutschen Geschichte, der Vertreibung von jüdischen und anderen Wissenschaftlern. Die Entwicklung von Sprachenbewusstheit und die Frage nach der Sprachengerechtigkeit sind wichtige Dimensionen des Deutschunterrichts.
Was können die Institutionen, was kann die Regierung dafür tun, dass Sprachen gleichwertig behandelt werden?
Ich finde, unsere Regierung sollte Mehrsprachigkeit zum Menschenrecht machen. Die Europäische Union wünscht, dass jeder Mensch außer der Muttersprache in der Schule mindestens zwei weitere Sprachen lernt. Wenn eine davon Deutsch wäre, eine andere zum Beispiel Türkisch oder Rumänisch und eine dritte zum Beispiel Englisch oder je nach Interesse vielleicht auch Japanisch, dann kämen wir weg von diesem Gegeneinander der Sprachen.
Sie beschäftigen sich schon seit Jahrzehnten mit dem Thema Sprachenpolitik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Gab es dennoch Informationen, die Sie bei der Recherche für diese Veröffentlichung überrascht haben?
Oh ja, ziemlich viel. Unter anderem ist mir deutlich geworden, wie exklusiv die Sprachenrechte der bei uns anerkannten Minderheiten gegenüber denen von Zuwanderern und Geflüchteten sind. Ich habe mich für das Buch sehr gründlich mit diesen sprachlichen Schutzrechten beschäftigt und dabei gesehen, wie viele Menschen bei uns keinerlei Sprachenrechte für ihre Sprachen haben. Das hat mich so nachdrücklich beeindruckt, dass ich mich jetzt sehr intensiv mit dem Thema Sprachenrechte befasse. Gemeinsam mit ehemaligen Studierenden und Mitarbeiterinnen haben wir in Österreich ein Netzwerk Sprachenrechte gegründet, das sich kritisch mit der offiziellen Sprachenpolitik auseinandersetzt. Im Februar 2022 gibt es eine Konferenz zu dem – in diesem Zusammenhang sehr kritischen – Thema Prüfungen. Ich versuche, mich hier an der Meinungsbildung zu beteiligen.