Eisschilde und Klimawandel
Wie ewig ist das „ewige Eis“?

Luftaufnahme des Inlandeises, Grönland, Nordamerika
Ob Eisschilde, wie hier in Grönland, komplett schmelzen oder nur zu einem erheblichen Teil, macht für den Menschen kaum einen Unterschied, meint Dr. Maria Hörhold. | Foto (Detail): Gabriel Gersch © picture alliance / imageBROKER

In Grönland fällt Regen statt Schnee, die alpinen Gletscher werden immer kleiner. Wie wahrscheinlich ist es, dass es an den Polen bald keine Eisschilde mehr gibt und was würde das für uns bedeuten? Ein Interview mit Dr. Maria Hörhold, Glaziologin am Alfred‑Wegener‑Institut.
 

Frau Dr. Hörhold, in Grönland fiel vor Kurzem auf 3.200 Metern Höhe Regen statt Schnee. Ist das ein Grund zur Sorge?

Erstmal muss man sagen, dass das extrem selten ist. Es gibt Beobachtungen von 2012, die erstmals auf dem gesamten grönländischen Eisschild ein Schmelzen feststellten. Das stand vermutlich auch im Zusammenhang mit Regen. Um das geschichtlich einzuordnen: In Eiskernen können wir Schmelzlagen als luftfreie Eislagen sehen, aber wir können nicht genau sagen, ob das gefrorener Regen ist, oder ob es von wieder gefrorenem Oberflächenschmelzen stammt. Wir können aber sagen, dass so ein großflächiges Ereignis auf so großer Höhe das letzte Mal vor mehr als 100 Jahren stattgefunden haben muss, und sehr selten auch noch davor. Daher löst es Sorge aus, dass wir jetzt so etwas mehrmals in kurzer Zeit beobachten. Wir sehen, dass sich die schmelzenden Flächen des Eisschildes vergrößern und der Beitrag, den das Schmelzen zur Massenbilanz hat, zunimmt.

Einige sagen, dass es bald keine Gletscher mehr geben wird. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Da müssen wir mal unterscheiden, was mit Gletschern gemeint ist. Bei den alpinen Gletschern in den Gebirgen sehen wir überall einen massiven Rückgang. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass wir da große Verluste haben werden. Dann gibt es noch die Eisschilde in Grönland und in der Antarktis, das sogenannte ewige Eis. Auch hier beobachten wir eine Abnahme der Masse, aber es nicht klar ist, ob es komplett verschwinden wird. Es spielt für uns als Menschen aber auch keine Rolle, ob das grönländische Eisschild komplett verschwindet, oder nicht, selbst Prozentanteile führen dazu, dass der Meeresspiegel ansteigt und Millionen von Menschen davon betroffen sein werden.

Was würde das für uns und den Planeten bedeuten?

Der grönländische Eisschild setzt sich zusammen aus dem Schneezutrag und Massenverlust. Und dieser Massenverlust setzt sich aus Schmelzen an der Oberfläche und durch Eis, das in Form von Eisbergen ins Meer fließt, zusammen. Die Summe aus Schneezutrag und Massenverlust bestimmt die Massenbilanz des Eisschildes, die ein bestimmtes Gleichgewicht einnimmt. Wir beobachten jedoch, dass dieses Gleichgewicht gestört ist und das Eisschild mehr Masse verliert als es gewinnt. Das liegt vor allem an der steigenden Temperatur. Wir messen, dass der Beitrag des grönländischen Eisschilds zum Anstieg des Meeresspiegels zunimmt. Ich bin keine Expertin dafür, was die Konsequenzen für Menschen sind. Aber es ist erwartbar, was ein steigender Meeresspiegel für die Millionen oder Milliarden Menschen, die in Küstenregionen leben und ganz direkt betroffen sind, bedeutet.  Und das trifft auch uns hier in Bremerhaven, wo sich das Alfred-Wegener-Institut, für das ich arbeite, befindet. Es muss Vorsorge getroffen werden und das Wichtigste ist, dass der Temperaturanstieg begrenzt wird.

Welche Rolle spielt die Erwärmung der Arktis im Hinblick auf das Klima?

Die Polarregionen sind von Schnee und Eis bedeckt, die das einfallende Sonnenlicht reflektieren. Zwischen den Polarregionen und den niederen Breiten, also der Arktis und Europa, haben wir einen Kontrast in der Temperatur. Dieser Kontrast beeinflusst unsere atmosphärische Zirkulation – und somit auch auf das Wetter in Europa. Da sich die Arktis erwärmt, wir der Temperaturunterschied zu Europa kleiner. Was jetzt in den Medien als „Blocking Events“ aufgegriffen wird, ist das Phänomen, dass sich in Folge des kleineren Kontrastes, Wettersysteme sehr viel langsamer bewegen, sprich auch länger an einem Ort verweilen. Und das kann dann zu Ereignissen wie Dauerregen oder andauernde Dürre führen.

Inwiefern hängt das Schmelzen mit der Hitze zusammen, die der Erdkern ausstrahlt, wie geht das mit dem Klimawandel zusammen?

Das müssen wir ganz klar einordnen: Natürlich haben wir eine Erdwärme, das ist Wärmestrahlung, die aus der Erde kommt, die ändert sich aber auf geologischen Zeitskalen, das heißt in tausenden von Jahren. Die haben wir auch unter dem grönländischen Eisschild. In die Medien kam dies nun, weil man das zum ersten Mal direkt gemessen hat. Mit den direkten Messungen können Modelle besser angetrieben werden. Erdwärme ist ein wichtiger Faktor: Das Eis liegt auf der Erdoberfläche und durch die Auflast und die Erdwärme gibt es ein leichtes Schmelzen an der Unterseite des Eisschildes, das beeinflusst, wie das Eis fließt. Das Schmelzen an der Oberfläche, das wir allerdings derzeit beobachten, passiert viel schneller und das ist ausschließlich angetrieben von der Änderung der Temperatur. Die zeitliche Größenordnung ist eine andere als bei Erdwärme. Der Massenverlust des Eisschildes wird durch ozeanische und atmosphärische Rückkopplungen beschleunigt.

Sollten wir vor dem Hintergrund all dessen uns eher darauf konzentrieren, möglichen Konsequenzen zu begegnen oder kann dieses Schmelzen noch aufgehalten werden?

Es gibt zwei Seiten. Die eine ist: Ja, wir haben eine erhöhte CO2-Konzentration, doppelt so viel wie zu vor-industriellen Zeiten und die Konsequenzen dazu werden wir definitiv spüren, das heißt der Wandel fängt jetzt an. Da geht kein Weg dran vorbei. Wir müssen also den Konsequenzen des Meeresspiegelanstieges begegnen, ja. Parallel dazu müssen wir uns aber fragen, wie weit wir diesen Wandel zulassen wollen und wie wir ihn begrenzen wollen? Fast alle Staaten haben sich auf das 1,5 Grad Ziel geeinigt und gesagt, die Konsequenzen einer Erwärmung darüber hinaus sind so gravierend, die wollen wir nicht in Kauf nehmen. Wir müssen aber ganz aktiv handeln, damit dieses  Ziel auch erreicht wird. Und davon sind wir noch weit entfernt. Der Wandel findet statt, wir müssen uns drauf vorbereiten aber genauso müssen wir daran arbeiten, dass wir diesen Wandel begrenzen - das muss parallel laufen.

Wie können wir das noch begrenzen?

Der prognostizierte Temperaturanstieg ist an die Menge an CO2, die ausgestoßen wird gekoppelt. Wir müssen den Ausstoß an nicht nur reduzieren, sondern auf Null bringen beziehungsweise aktiv Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre nehmen. Alle Szenarien, die in den Klimaberichten genannt werden, zeigen Wege, wie man dahin kommt. Die zeigen: Wenn wir die 1,5 Grad halten wollen, reden wir von sieben bis acht Jahren, die wir noch CO2 in dem jetzigen Umfang ausstoßen dürfen. Das ist nicht viel Zeit, um eine ganze Wirtschaft oder einen Lebensstandard umzubauen. Wenn wir das schaffen wollen, dann müssen wir jetzt etwas ändern und zwar ganz radikal.

Aber was bringt es denn dem Eisschild in Grönland, wenn wir hier in Deutschland nun unser Verhalten ändern?

Also ich denke, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir in Deutschland zu den größten Emittenten von CO2 weltweit gehören. Wir stellen einen minimalen Anteil der Weltbevölkerung, haben aber pro Kopf einen extrem hohen Kohlenstoffdioxid-Ausstoß und den müssen wir reduzieren. Das hat auch mit Klimagerechtigkeit zu tun. Ich finde, in der heutigen Zeit kann man nicht sagen, dass man sich nur um Deutschland kümmert und einen der Rest der Welt nichts angeht.

Sind Sie als Forscherin eher optimistisch oder pessimistisch, dass sich das Ausmaß noch ändern lässt, dass sich die katastrophalen Folgen noch begrenzen lassen?

Das ist eine sehr vielschichtige Frage, ich bin keine Soziologin, ich bin keine Psychologin. Das Problem ist bekannt. Ich denke, was wir in allen Studien und auch in der Kommunikation nach außen vertreten sollten ist: Wir können was ändern. Wir haben es in der Hand. Es gibt die Ideen, es gibt die Ansätze, es gibt die Technologien. Das macht mich optimistisch. Mich macht auch optimistisch, dass meiner Meinung nach die Schwarmintelligenz funktionieren wird, wenn wir als Gesellschaft das Problem endlich ernst nehmen und annehmen. Ich glaube, wir haben viel Potenzial, aber so lange das Problem kleingeredet und bagatellisiert wird, kommen wir natürlich nicht voran. Pessimistisch stimmt mich allerdings, wie wenig politischen Willen es für einen wirklichen Wandel gibt. Ich rede oft mit Menschen auf der Straße, wir machen mit den Fridays for Future zusammen eine Klimamahnwache einmal im Monat. Ich versuche allen deutlich zu machen, wir haben viele Möglichkeiten – aber wir müssen anfangen.


Die Fragen stellte Natascha Holstein, Zeitgeister‑Redakteurin.