Solidarität
Berlinale legt den Fokus auf die Ukraine und den Iran
Die 73. Berlinale präsentiert schonungslose Dokumentationen, investigative Enthüllungen und nostalgische Nacherzählungen geschichtlicher Ereignisse und bekundet ihre Solidarität mit der Ukraine und dem Iran.
Von Prathap Nair
Als die zur Berlinale geladenen iranischen Gäste gemeinschaftlich mit dem Organisationsteam des Festivals ihre Stimme gegen das Regime erhoben, wurde der rote Teppich des Festivals für einen kurzen Augenblick zu einem Ort des Protests. Nicht nur die Protestierenden hielten Schilder hoch und riefen laut das Motto Women, Life, Freedom („Frauen, Leben, Frieden”), auch die Geschäftsführerin der Berlinale Mariette Risenbeek sowie der künstlerische Leiter Carlo Chatrian, die Jurypräsidenten Kristen Stewart und Jurymitglied Golshifteh Farahani stimmten mit ein. Die Berlinale ist aber nicht nur Schallverstärker für die andauernden Proteste, sondern hat auch bewusst zahlreiche Filme und Dokumentationen aus der Ukraine und dem Iran in den Spielplan aufgenommen, um auf den Krieg und den Widerstand aufmerksam zu machen, der diese Länder derzeit erschüttert.
Hollywoodstar berichtet mitten aus dem ukrainischen Kriegsgebiet
Der vielleicht hervorstechendste Beitrag mit der größten promienten Zugkraft ist die Dokumentation Superpower von Sean Penn, die in der Sektion Gala der Berlinale läuft. Penns Doku entstand in Zusammenarbeit mit VICE und ist daher hochprofessionell und auf höchstem Niveau produziert, obwohl der eigentliche Mittelpunkt Penn selbst ist. Dieser interviewte einige Male den charismatischen Präsidenten Selenskyj kurz vor Kriegsausbruch und kehrte kurz danach in die Ukraine zurück, um die zerstörten Städte und Kriegsschauplätze zu zeigen.
Während Penns Dokumentation ein Erfahrungsbericht aus dem Krieg in der Ukraine ist, fängt der in Kiew gedrehte fünfminütige queere Dokumentarfilm It’s A Date („Es ist ein Date“) von Nadia Parfan in der Sektion Berlinale Shorts auf sehr ernüchternde Weise den Schrecken des Kriegs ein. Anderen wiederum ist eine Atempause inmitten des Kriegs gegönnt, etwa den fünf Teenagern aus dem Donbas, die sich in der Dokumentation We Will Not Fade Away („Wir werden nicht einfach verblassen“) von Regisseurin Alisa Kovalenko, die in der Sektion Generation zu sehen ist, auf eine Himalaya-Expedition begeben. Auch ein wenig Sowjet-Nostalgie bekommen wir zu sehen: In Tonia Noyabrovas Film Do You Love Me? („Liebst du mich?“) im Bereich Panorama geht es um einen ukrainischen Teenager, der den Zusammenbruch der Sowjetunion miterlebt.
Die Dokumentation Calls From Moscow („Anrufe aus Moskau“) von Luis Alejandro Yero im Bereich Forum führt das Publikum durch die Welt einiger Exilkubaner in Moskau und zeigt, wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die ohnehin bedrohliche Lage für diese Menschen dort noch weiter verschärft. Roman Liubyi beleuchtet mit seiner Dokumentation Iron Butterflies („Eiserne Schmetterlinge“) in der Sektion Panorama den Abschuss eines Flugzeugs der Malaysia Airlines über der Ostukraine im Jahr 2014.
Der Iran: Hier ausgeklammert, dort sichtbar
Iranische Filme laufen in diesem Jahr nicht im Wettbewerb, dennoch stehen einige erschütternde Dokumentationen und experimentelle Filme aus diesem Land auf dem Programm. In My Worst Enemy („Mein größter Feind“), der in der Sektion Encounters zu sehen ist, nimmt der Regisseur Mehran Tamadon selbst die Rolle eines Verhörten ein und lässt sich von Exil-Iraner*innern, ehemals selbst Opfer von Folter und Haft, ausfragen. Im Bereich Panorama wird Motståndaren („Gegner“) gezeigt, ein Film des schwedisch-iranischen Regisseurs Milad Alami, in dem es um einen iranischen Flüchtling geht, der sich in Schweden als Wrestler verdingt, um die Chancen seiner Familie auf die Genehmigung des Asylantrags zu verbessern. Sepideh Farsis Film The Siren („Die Sirene“) spielt im Iran der 1980er Jahre und zeigt die Folgen eines Raketenangriffs auf die Stadt Abadan. In der Doku-Sektion Panorama läuft Sreemoyee Singhs And, Towards Happy Valleys („Und in Richtung auf glückliche Täler“), in dem inhaftierte Künstler*innen und Regisseur*innen wie Jafar Panahi zu Wort kommen.
Ein marodes Strafrechtssystem bestraft Frauen dafür, dass ihnen Gewalt angetan wurde
Im Bereich Perspektive Deutsches Kino wirft Steffi Niederzoll in Seven Winters In Tehran („Sieben Winter in Teheran“) einen intensiven schmerzhaften Blick auf das frauenfeindliche Strafrecht im Iran, in dem vergewaltigte Frauen auch noch selbst für diese Tat bestraft werden. Die in der Sektion Forum laufende Dokumentation Where God Is Not („Wo Gott nicht ist“), das zweite auf diesem Festival gezeigte Werk des Regisseurs Mehran Tamadon, zeigt Gespräche mit ehemals im Exil lebenden iranischen politischen Gefangenen und vermittelt anhand bizarrer Effekte ein bleibendes Bild ihrer Inhaftierung. Between Revolutions („Zwischen Revolutionen“) von Vlad Petri erzählt die halbfiktionale Geschichte einer Brieffreundschaft zwischen zwei Frauen, von denen eine die Revolution gegen den iranischen Schah im Jahr 1979 und die andere das Regime Ceausescus in Rumänien miterlebt.
Trotz all der Solidaritätsbekundungen der Berlinale mit der Ukraine macht man laut Variety Magazine in Hollywood immer noch Geschäfte mit Russland. Laut verlässlichen Agenturangaben sind viele Hollywood-Filme in Russland gerade Kassenschlager und bringen den Studios gute Geschäfte ein: Im vergangenen Jahr liefen dort 140 Hollywoodfilme über die Leinwand, und die Zahlen dieses Jahres sprechen dafür, dass dieser Trend sich gerade fortsetzt.
Eins steht jedoch fest: Die Berlinale ist mit ihren Solidaritätsbekundungen und ihrer Auswahl von politisch bedeutsamen Filmen aus der Ukraine und dem Iran ihrem Ruf wieder einmal gerecht geworden.
Über den autor
Der freie Kulturjournalist Prathap Nair lebt in Düsseldorf und berichtet für namhafte indische Medien über die Berlinale.