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Berlinale | Interview mit Tricia Tuttle
„Es wird sehr aufregend und es wird Spaß machen”

Tricia Tuttle, Intendantin der Internationalen Filmfestspiele Berlin
Tricia Tuttle, Intendantin der Internationalen Filmfestspiele Berlin | Foto (Detail): © Richard Hübner / Berlinale 2024

Zum ersten Mal leitet Tricia Tuttle die Berlinale – und pendelt dabei zwischen Berlin und London. Im Interview spricht sie über das Leben zwischen zwei Städten, die internationale Bedeutung des Festivals und seine Highlights zum 75. Jubiläum.

Von Ula Brunner

Tricia Tuttle, Ihre erste Berlinale steht vor der Tür – worauf freuen Sie sich am meisten?

Am meisten freue ich mich darauf. die Filmemacher*innen zu begrüßen, deren Arbeiten ich in den letzten acht Monaten mit meinem Team gesehen habe, und deren Filme nun vor einem großen Publikum laufen. Ich bin sehr gespannt darauf, wie das Publikum reagieren wird. Das ist aufregend.

Im April 2024 haben Sie die Leitung der Berlinale übernommen. Hinter Ihnen liegt eine intensive Vorbereitungszeit für das diesjährige Festival. Hatten Sie abseits dessen schon die Möglichkeit, Berlin kennenzulernen?

Die Hälfte meiner Zeit verbringe ich in Berlin, die andere Hälfte in London. Meine Kinder beenden dort ihre Highschool. Wenn ich in Berlin bin, muss ich arbeiten oder bin beruflich unterwegs. Aber ich freue mich schon darauf, öfter hier zu sein, mehr Freizeit zu haben, in Museen, Galerien oder Konzerte zu gehen. Ich liebe große Städte, es ist aufregend, dort Menschen aus verschiedenen Kulturen zu treffen, viele Sprachen zu hören und tolle Kunst zu sehen. Als erstes habe ich mir in Berlin ein Fahrrad gekauft und mich in der Stadt umgeschaut. Es ist etwas Besonderes, einen neuen Ort entdecken zu können, und ein Privileg, eine neue Sprache lernen zu dürfen – auch wenn Deutsch nicht einfach ist.

Sie haben langjährige Erfahrung als Festivalmacherin, zuletzt haben Sie das London Film Festival geleitet. Was ist der größte Unterschied zur Berlinale?

Es gibt viele Ähnlichkeiten, auch das Londoner Filmfestival ist ein großes Publikumsfest. Aber hier in Berlin zeigen wir überwiegend Premieren, vor allem Weltpremieren, die machen in London nur etwa 25 Prozent aus. Die Kuratierung ist also sehr anders. Ein weiterer Unterschied: Mit der Berlinale verknüpft ist einer der wichtigsten Filmmärkte weltweit. Das ist sehr relevant – auch für die Zukunft des Festivals.

Wo sehen Sie die Berlinale im Vergleich zu den beiden anderen A-Festivals in Cannes und Venedig?

Meiner Meinung nach sind das drei sehr unterschiedliche Festivals mit unterschiedlichen Funktionen, sowohl in Bezug auf das Publikum als auch für die Filmindustrie. Deshalb sollten wir keinen Vergleich anstellen. Als erster Filmmarkt im Jahr ist Berlin, wie gesagt, enorm wichtig. Außerdem könnten wir Berlin auf der internationalen Bühne noch mehr Bedeutung verleihen, daran arbeiten wir. Manchmal denke ich, dass die Menschen in Deutschland gar nicht genug wahrnehmen, dass die Berlinale ein sehr angesehenes, internationales Festival ist.

Es wird oft gesagt, der deutsche Film sei in der Krise. Zu viel Durchschnitt, zu wenig wirkliche Talente. Was ist Ihr Eindruck?

Ich möchte nichts Generelles zum deutschen Film sagen, dazu bin ich noch nicht lange genug damit befasst. Aber wir sind natürlich immer auf der Suche nach deutschen Filmen, die auch international eine Wirkung entfalten können. Und wir haben einige unglaublich gute deutsche Produktionen und deutsche Koproduktionen im Berlinale-Programm, zum Beispiel Yunan und Was Marielle weiß, die beide im Wettbewerb laufen. Wir eröffnen mit einem deutschen Film, der in Berlin situiert ist und zur Weltklasse gehört: Das Licht von Tom Tykwer. Wir hätten uns anders entschieden, wenn die Qualität dieser Filme das nicht hergeben würde.

19 Filme laufen im internationalen Wettbewerb, darunter auch der neue Linklater Blue Moon oder Hong Sangsoos What Does that Nature Say to You. Beide drehen sich eher um private Situationen und Befindlichkeiten. Wie politisch ist der diesjährige Wettbewerb?

Die Berlinale ist und bleibt ein politisches Festival. Aber ich stelle kein Programm für ein politisches Festival zusammen. Viele Filme sind teilweise inhärent politisch, denn im Privaten spiegelt sich die Auseinandersetzung mit der Welt, in der wir leben. Der Wettbewerb präsentiert eine Bandbreite von sehr intimen Geschichten, etwa Ari von Léonor Serraille, ein wunderschöner Film. Aber wir zeigen auch Kontinental ‘25 von Radu Jude, ein sehr politisches Werk, das sich mit der Wohnungskrise, dem aufkommenden Nationalismus und dem ethnischen Rassismus auseinandersetzt. Alle 19 Filme im Wettbewerb zusammen spiegeln die gesamte Vielfalt des Kinos.

Welche Filme liegen auf Ihrer persönlichen Wellenlänge?

Ich habe einen sehr breiten Filmgeschmack – und ich liebe alle 19 Wettbewerbsfilme.

Haben Sie einen Favoriten?

Ich will keinen Titel aus dem Wettbewerb herausheben, die Zuschauer sollen sich selbst ein Bild machen und herausfinden, was ihnen gefällt. Aber jeder einzelne Film ist sehr speziell, sehr einzigartig.

Nach einseitigen Statements von Filmschaffenden zum Israel-Gaza-Krieg bei der Preisverleihung im letzten Jahr kam es zum Eklat. Wie kann sich das diesjährige Festival dazu positionieren?

Meiner Erfahrung nach äußern sich Filmschaffende aus Überzeugung zu Themen, die auch in ihren Filmen auftauchen. Meinungsfreiheit ist uns sehr wichtig, aber wir müssen gleichzeitig daran erinnern, dass solche Themen sehr komplex sind. Im letzten Jahr habe ich zusammen mit meinem Stabschef Florian Weghorn die Meinung vieler Menschen eingeholt. Wir haben darüber nachgedacht, wie wir Gespräche und unsere Moderation so gestalten können, dass stets ein respektvoller Dialog gefördert wird und verschiedene Aspekte einer Situation zur Sprache kommen. Das Wichtigste, was wir aus den Vorkommnissen 2024 gelernt haben, ist, dass wir als Plattform dafür sorgen müssen, dass die Diskurse über das ganze Festival hinweg nicht einseitig sind, sondern viele Stimmen gehört werden.

Planen Sie etwas Besonderes zum 75. Jubiläum der Berlinale?

Wir beschenken unser Publikum mit einer temporären Festivallounge, dem Hub75, direkt neben dem Berlinale Palast. Dort werden wir vormittags kostenlose Vorträge und Veranstaltungen für das Publikum anbieten. Es soll auch ein Networking-Raum sein für Filmschaffende, Presse, Filmindustrie. Und: Wir werden anlässlich des Jubiläums die Eröffnungsgala und den Eröffnungsfilm simultan in sieben Städten in Deutschland übertragen. 

Gehört deshalb Tom Tykwers Das Licht nicht zum Wettbewerb?

Ich wusste sofort, dass ich Das Licht als Eröffnungsfilm programmieren wollte. Und ich wollte ihn in mehreren Städten zeigen. Deshalb wäre es unfair gewesen, ihn in den Wettbewerb aufzunehmen. Das habe ich auch mit Tom so besprochen.

Worauf können wir uns außerdem freuen?

Auch die anderen Sektionen bieten in diesem Jahr großartige Filme fürs Publikum, etwa Honey Bunch von Madeleine Sims-Fewer und Dusty Mancinelli oder Islands von Jan-Ole Gerster, beide laufen im Berlinale Special. Das erste Festival-Wochenende wird sehr intensiv: Samstagabend zeigen wir Mickey 17 von Bong Joon Ho, mit Robert Pattinson und Toni Colette, die auch nach Berlin kommen. Das wird sehr aufregend, und das wird Spaß machen.

Zur Person

Tricia Tuttle stammt aus North Carolina (USA), wo sie ihre Karriere als Gitarristin der Band June begann. Ihren Master in Film Studies hat sie am British Film Institute und an der Birkbeck University absolviert, ihren Bachelor of Arts in Literature and Radio, Television and Motion Pictures an der University of North Carolina in Chapel Hill. In den 1990er-Jahren zog sie nach London.

Tricia Tuttle verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in den Bereichen Filmfestivals und Bildung. Sie arbeitete beim British Film Institute (BFI), der British Academy of Film and Television (BAFTA) und der National Film and Television School (NFTS). Zuletzt wirkte sie als Direktorin des BFI London Film Festival (LFF) und als Leiterin des BFI Flare: Londoner LGBTQIA+ Filmfestival.

Seit April 2024 verantwortet Tricia Tuttle die künstlerische und organisatorische Leitung der Internationalen Filmfestspiele Berlin.

 

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