Berlinale | Interview mit Claudia Schramke
Plakatkunst in Bewegung

Zum 75. Jubiläum der Berlinale lässt Grafikerin Claudia Schramke die alte Magie des Kinos neu aufleben. Mit einem bewegten Key Visual setzt sie auf die Verbindung von Tradition und Innovation – und erzählt Sofia Kleftaki, wie es ihr gelang, analoge Nostalgie mit moderner Animation zu vereinen.
Von Sofia Kleftaki
Stell dir vor, du sitzt im Kino, der Raum verdunkelt sich, und dann beginnen die vertrauten Ziffern auf der Leinwand, rückwärtszuzählen. Ein Countdown – er transportiert Vorfreude, Spannung, und die besondere Magie des Kinos. Genau dieses Gefühl hat die Grafikerin Claudia Schramke für das 75. Jubiläum der Berlinale eingefangen. Aber sie hat es auf ein neues Level gehoben – und das nicht nur in einer statischen Form, sondern in Bewegung.
Was hat dich inspiriert, das Thema „Zeit“ als zentrales Motiv für das 75. Berlinale-Jubiläum zu wählen?
Es war mir wichtig, für die Jubiläumsausgabe eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen. Dabei ließ ich mich von den klassischen Film-Countdowns inspirieren, die wir alle kennen und schätzen, besonders wegen ihrer einzigartigen grafischen Qualität und der Emotion, die sie hervorrufen. Dieser Moment, wenn wir spüren: Jetzt beginnt es! Als ich die Idee hatte, den zeitgenössischen „Remix“ eines klassischen Film-Countdowns zu kreieren, war mir sofort klar, dass dies visuelles Potenzial hat. Es ist auf eine gewisse Weise abstrakt und zugleich konzeptionell stimmig. Außerdem trägt das Design eine moderne, bunte Interpretation in sich. Es war mir wichtig, dass das diesjährige Design sowohl Bezug auf das alte Kino und vergangene Filme nimmt, aber auch frisch und zeitgemäß wirkt.
Welche visuellen und symbolischen Elemente hast du verwendet, um das nostalgische Kinogefühl mit der zeitgenössischen Ästhetik der Berlinale 2025 zu vereinen?
Ich habe Elemente historischer Film-Countdowns aufgegriffen, da sie ein ikonisches Symbol der analogen Filmzeit sind. Früher benötigten 35-mm-Filme solche Countdowns, um den Vorführern zu signalisieren, wann der Filmstart bevorstand, und um die Synchronisation mit dem Ton sicherzustellen. Diese Countdowns bestehen normalerweise aus Zahlen, die rückwärts von 8 bis 2 zählen, oft begleitet von Kreisen, Linien oder anderen grafischen Elementen. Der Berlinale-Countdown zählt von 3 bis 1, wobei ein „Strahl“ sich jede Sekunde konzentrisch dreht. Statt in Retro-Schwarz-Weiß habe ich diese Elemente jedoch in schillernde Farben auf einem Berlinale-roten Hintergrund getaucht. Nach dem Countdown „öffnet“ sich das Festival förmlich, beziehungsweise symbolisch der Film. Zunächst erscheint die Jubiläumszahl „75“ im Zentrum, wird jedoch später vom Festivalnamen „Berlinale“ abgelöst. Die „75“ erscheint daraufhin kleiner, schräg oberhalb von „Berlinale“, angestrahlt von den Strahlen, die sich aus den Sekundenzeigern gelöst haben.
Heutzutage laufen die Filme größtenteils digital, was durch das animierte Visual symbolisiert wird. Meine Idee insgesamt: Statt nur an Print und später Animation zu denken, sollte von Anfang an Bewegung und die vielseitigen Möglichkeiten digitaler Medien in den Mittelpunkt gestellt werden.
Wie hast du das 75. Jubiläum der Berlinale visuell zum Leben erweckt und dessen emotionale Bedeutung visuell übersetzt?
Zu Beginn stellte ich die „75“ immer ganz groß in den Mittelpunkt der Gestaltung. Auf Wunsch der Berlinale haben wir jedoch den Festivalnamen größer und die „75“ etwas dezenter platziert. Jetzt steht der Name „Berlinale“ groß im Zentrum. Grafisch war ich allerdings sehr angetan von der großen, zentrierten „75“ – ich habe eine gewisse Schwäche für Ziffern! Die verwendete Schriftart „Pangea“, geschaffen vom Berliner Schriftgestalter Christoph Koeberlin, zeichnet sich durch wunderschön geschnittene Ziffern aus. Diese Schriftart hat zudem einen Sinn: 25 % der Einnahmen aus „Pangea“ fließen in Projekte zum Erhalt des Regenwaldes und zur Aufforstung in Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinden. Das war für mich ein zusätzlicher Grund, diese besondere Schrift zu wählen.
Welche besonderen Herausforderungen gab es bei der Gestaltung des animierten Elements und der Übertragung auf das statische Plakat?
Ein animiertes Plakat bietet mehr Möglichkeiten, da über den Zeitverlauf hinweg Inhalte wechseln können. Es gibt die zusätzliche Dimension der Zeit! Theoretisch könnte etwas hinzugefügt oder entfernt werden. Die Herausforderung bleibt jedoch, dass das Design grafisch ansprechend und reizvoll ist, gleichzeitig aber auch gut lesbar bleibt oder gegebenenfalls irritiert. In meinem Fall habe ich zunächst das animierte Visual erstellt, und es war alles andere als einfach, daraus ein ebenso lebendiges und strahlendes statisches Plakat zu gestalten. Ich arbeitete mit den zufälligen Bildmomenten (Stills) aus der Animation, die eine besondere Spontaneität aufwiesen. Daraus entstand das statische, aber hoffentlich lebendige Plakat. In diesem Fall war es also eher eine Herausforderung, das stillstehende, gedruckte Plakat zu entwickeln. Aber natürlich war es auch eine neue Herausforderung, mit Animation zu arbeiten, insbesondere mit einem Motion-Graphic-Visual.
Welche Rolle spielen Motion Graphics in der heutigen Kultur- und Filmkommunikation, und wie hast du diese visuelle Sprache in dein Design eingeführt?
Motion Graphics sind bereits lange eng mit Kino und Film verbunden. Besonders animierte Titelsequenzen in Kinofilmen bieten enormes künstlerisches Potenzial und sind oft selbst Kunstwerke. Da fällt mir spontan die Titelgestaltung des Films Catch me if you can ein. Auch animierte Logos von Filmproduktionsfirmen und Filmverleihern haben eine lange Tradition und sind kein Phänomen der digitalen Welt. Man denke nur an den ikonisch brüllenden Löwen von Metro-Goldwyn-Mayer. Da war es für mich an der Zeit, dass auch die Berlinale ein animiertes Festivalplakat erhält.
Was bedeutet es für dich, als Designerin mit der Berlinale zu arbeiten und an der Gestaltung dieses ikonischen Festivals mitzuwirken?
(Lacht) Ich denke, ich habe den Höhepunkt meiner Karriere erreicht. Vom Studium an der Kunsthochschule direkt zur Berlinale – ich weiß nicht, was danach noch kommen sollte. Natürlich freue ich mich unglaublich, dass mir diese Ehre zuteilwurde. Die Jahre mit der Berlinale sind für mich ein herausragender Moment in meinem beruflichen Leben. Dass mir nun auch noch die Gestaltung der Jubiläumsedition anvertraut wurde, hat für mich eine besondere Bedeutung. Es ist ein grandioses Gefühl, meine Plakate in der Stadt zu sehen und zu wissen, dass sie so viele Menschen erreichen – nicht nur in Europa, sondern weltweit!

Claudia Schramke | Foto (Detail): © Claudia Schramke
Welche anderen Facetten der Berlinale gefallen dir?
Ich finde es großartig, wie die Berlinale jungen Filmschaffenden und politischen Anliegen eine enorme Bühne bietet. Besonders berührt haben mich politische Dokumentationen wie der weißrussische Film Courage von Aliaksei Paluyan, der von einer aktivistischen Theatergruppe im Widerstand erzählt. Aber auch auf persönlicher Ebene schätze ich die Berlinale als einen Treffpunkt, an dem ich gemeinsam mit meinen Freunden ins Kino gehe und besondere Erlebnisse teile. Und besonders wichtig ist es mir, jedes Jahr einen Film der „Generation“-Sektion mit meinen Kindern anzusehen – das ist mittlerweile zu einer Tradition geworden.