Mit viel Spielfreude und Witz porträtiert „Köln 75“ die Musikpromoterin Vera Brandes, die 1975 Keith Jarretts berühmtes „Köln Concert“ organisierte.
Biopics sind kein Free Jazz, eher das Gegenteil. Wohlbekannte Figuren in standardisierten Bildfolgen, die immer gleich synkopierten Konflikte und Erzählmuster – kein Wunder, dass Keith Jarrett dem Film „Köln 75“ eine Absage erteilt hat. Es stimmt aber nicht ganz, dass er sein berühmtes „Köln Concert“, um das es im Film geht, nicht mag („man sollte alle die Aufnahmen einstampfen“). Der heute 79-jährige Künstler ist generell unglücklich über den Legendenstatus der „meistverkauften Solo-Jazzplatte der Geschichte“. Wie kein anderer im Jazz steht Keith Jarrett für die Kraft der Musik als einmaliges Erlebnis, nicht reproduzierbar und insofern unverkäuflich.
Leidenschaft und Beruf
Im vielleicht meisterwarteten Film der Berlinale – lies: außer Konkurrenz – geht es auch gar nicht um ihn, sondern um die 1975 erst 18-jährige Konzertpromoterin Vera Brandes, die das „Köln Concert“ damals ins Rollen brachte. Mala Emde (
Und morgen die ganze Welt, Deutschland 2020) spielt sie mit aller Überzeugung, die der Job erfordert. Ein erstes Konzert Jarretts in Berlin erschüttert ihre Welt. Das muss man einfach glauben angesichts einer bundesdeutschen Musiklandschaft der 1970er-Jahre, in der Jazz als „Museumsmusik“ gilt und zwischen Rock und Klassik zerrieben zu werden droht. Vera bestellt Jarrett nach Köln. Mit 16 Jahren hat sie angefangen im Geschäft, sie ist das It-Girl der Kölner Szene, für die Boulevardpresse der „Jazz-Hase“. Ein Albtraum für ihren Zahnarzt-Vater, verkörpert von Ulrich Tukur, der Jazz keineswegs als Beruf betrachtet.
Falscher Flügel und Rückenschmerzen
Die Schwierigkeiten des Konzerts sind längst selbst Legende. Statt des verlangten Bösendorfer Imperial-Konzertflügels bietet die Kölner Oper nur einen bescheidenen Stutz- beziehungsweise Probenflügel, bei dem Tasten und Pedale klemmen. Während sich zwei Klavierstimmer kopfschüttelnd an die Reparatur machen, sucht Vera nach Ersatz. Unterdessen reisen Jarrett und sein Produzent Manfred Eicher aus der Schweiz an, in einem klapperigen Renault 4. Sie haben die Flugtickets gegen Geld getauscht. Jarrett ist mies gelaunt und hat Rückenprobleme.
Verspielte Lektionen
Regisseur Ido Fluk weiß um die Fallstricke des Genres, will mehr als ein nostalgisches Biopic mit knallbuntem Siebzigerjahre-Flair. Fast schon dadaistisch erscheinen die zahllosen metafiktional-selbstreflexiven Erzähltricks wie Direktansprachen des Publikums, eine etwas umständliche Rahmenhandlung um Veras fünfzigsten Geburtstag oder auch verspielte Lektionen in Jazz-Geschichte, in denen ganze Diskografien über die Leinwand rollen. Jazz kommt also vor, den eigentlichen Soundtrack liefert allerdings der dann doch etwas coolere Krautrock der Zeit. Eine geniale Musical-Nummer zu Floh de Colognes
Fließbandbaby („Sei ruhig Fließbandbaby, heiraten!“) rockt mehr als alle entsprechenden Versuche in Tom Tykwers Eröffnungsfilm
Das Licht.
Jazzfilm mit Spaßfaktor
Authentisch wirken in dieser postmodernen Bricolage die starken Schauspielleistungen, darunter der verlässlich großartige John Magaro als die gequälte Künstlerseele Keith Jarrett. Aber vor allem verkörpert Mala Emde das kleine bisschen Wahnsinn, das die echte Vera Brandes – sie arbeitete später als Produzentin und gründete ein eigenes Label – wohl für ihre Aufgabe gebraucht hat. Vera muss bitten und betteln für ihr Ziel, und behält in der harten Männerdomäne Musikindustrie doch den Kopf stolz oben. Für solch einen Spagat muss eine Schauspielerin improvisieren, wie Vera in der Sache mit dem kaputten Flügel – und in diesem Sinne ist Fluks Film doch ein bisschen Jazz. Das große Jazz-Revival wird er vermutlich eher nicht bewerkstelligen, auch wenn er sich merklich an ein junges, internationales Publikum richtet. Aber der Versuch macht enormen Spaß.