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Max Mueller Bhavan | Indien

Berlinale | Indisches Kino abseits von Bollywood
Harte Lebensrealität am Rande der Gesellschaft

Szene aus „Vaghachipani” (Tiger's Pond). Regie Natesh Hegde
Szene aus „Vaghachipani” (Tiger's Pond). Regie Natesh Hegde | Foto (Detail): © Flip Films – Kadalivana

Die Filme „Vaghachipani”, „Baksho Bondi” und „Village Rockstars 2” vermitteln einen realistischen Eindruck vom Leben wirtschaftlich benachteiligter Menschen in Indien.

Die Berlinale ist schon lange der perfekte Ort, um unabhängig produzierte indische Filme weitab von der Starpower des Bollywood-Kinos zu entdecken. Mit seinem Förderprogramm „Berlinale Talents” hat das Festival solchen Stimmen Unterstützung und eine Plattform für den Kontakt und die Zusammenarbeit mit Produzent*innen aus aller Welt geboten. Auch die Filmauswahl der 75. Festivalausgabe – in Bengalisch, Assamesisch und Kannada – bildet da keine Ausnahme. In den Sektionen Generation 14plus, Perspectives und Forum kann sich das Publikum auf die WerkeVaghachipani, Baksho Bondi und Village Rockstars 2 freuen.

  • Der Kannada-Film Vaghachipani (Tiger’s Pond) – Buch und Regie von Natesh Hegde – erzählt vom dörflichen Leben in den tiefen Wäldern des ländlichen Karnataka, das von Aberglauben und Kastendiskriminierung geprägt ist. Mit Anleihen beim magischen Realismus und beim tropischen Melodram inszeniert Hedge seinen Film als sozialrealistisches Drama. 
  • Baksho Bondi (Shadowbox) von Tanushree Das und Saumyananda Sahi, der auch das Drehbuch geschrieben hat, ist ein häusliches Drama in bengalischer Sprache. Der Film, der am Rande der Vororte von Kolkata spielt, ist ein spannender Thriller. Darin entdeckt die Hauptfigur, verkörpert von Tillotama Shome, dass ihr Ehemann vermutlich ein Verbrechen begangen hat.
  • Der dritte Film, Village Rockstars 2, spielt sich eher auf der persönlichen als auf der politischen Ebene ab. Die renommierte Regisseurin Rima Das taucht tief in das Leben wirtschaftlich benachteiligter Bevölkerungsgruppen im ländlichen Assam ein. Dabei macht Das mit ihrer Kamera vor nichts Halt: Sie zeigt Umweltzerstörung, Landraub durch mafiaähnliche Banden, Jugendliche mit deprimierenden Zukunftsaussichten sowie den Mangel an Gesundheitsversorgung für die Ärmsten.
Alle drei Filme widmen sich sozialrealistischen Themen mit den Mitteln der Fiktion, Spannung und Unterhaltung. Die Regisseur*innen behandeln zwar dasselbe Grundthema, folgen jedoch jeweils einer anderer Vision. Zudem liefern die Filme dem Publikum einen Querschnitt von Indien und seiner Gesellschaft, weil sie in unterschiedlichen Regionen des Landes spielen.

Vaghachipani (Tiger’s Pond)

Zu Beginn entführt Vaghachipani sein Publikum mit beeindruckenden Traumsequenzen von Baumriesen, Felsbecken und schroffen Gipfeln mitten in einen tropischen Wald. Doch unter der bezaubernd schönen Oberfläche lauert etwas Bedrohliches im Dorf Vaghachipani. Immer wieder werden Tiger gesichtet, und es kommt nicht selten vor, dass eine der Raubkatzen einen Menschen aus dem Dorf tötet. Allerdings rührt das Gefühl der Bedrohung nicht allein daher, dass die Dorfbewohner*innen der ständigen Gefahr eines Konflikts zwischen Mensch und Tier ausgesetzt sind.
 
Die Geschichte beginnt mit Pathi, einem stummen Mädchen mit ausdrucksstarken Augen und  tiefschwarzem Haarschopf. Die Waise arbeitet als Kuhhirtin und ernährt sich von Essensresten aus der Küche ihres reichen Arbeitgebers. Doch als herauskommt, dass Pathi möglicherweise einem sexuellen Übergriff zum Opfer gefallen ist, erstattet ein besorgter Dorfbewohner Anzeige bei der Polizei. Die Ermittlungen entwickeln sich mit der Zeit zu einem Machtspiel mit dem feudalen Grundbesitzer des Dorfes, bei dem Pathi untergekommen ist. Und dann ist da noch der Bruder des Geschäftsmanns, der in die Schwester seines Fahrers verliebt ist. Sie scheint für ihn unerreichbar, weil sie einer niederen Kaste angehört.

Mit fesselnden Bildern und einem meisterhaften Soundtrack bietet Vaghachipani einen perfekten Mix aus Dramatik und Spannung. All dies angesiedelt im ländlichen Karnataka, wo blutrünstige Tiger die Menschen in Angst und Schrecken versetzen – und gleichzeitig als eindrucksvolle Metapher für die über das Land herrschenden reichen und machthungrigen Politiker dienen.

Baksho Bondi (Shadowbox)

Mayas Leben unterscheidet sich nicht sehr von dem der vielen Frauen mit einem vergleichbaren sozioökonomischen Status in Kolkata. Sie schuftet in ermüdenden Jobs, putzt Häuser und bügelt in einer Wäscherei, um die Familie – ihren arbeitslosen Ehemann mit chronischem posttraumatischem Belastungssyndrom und ihren Teenager-Sohn, einen ehrgeizigen Schüler – zu ernähren. Tag für Tag macht sie sich auf ihrem rostigen Fahrrad auf den Weg, um unzählige Bewerbungen für ihren Mann auszuliefern, der nie zu den Bewerbungsgesprächen erscheint. Sie putzt und wischt die Böden in den Häusern der Reichen und sorgt so gut sie kann für ihre Familie.
 
Mit Tillotama Shome schlüpft ein bekannter Star des Independent-Kinos in die Rolle der Hauptfigur Maya. Sie wird dadurch zum Blickfang des Films. Mayas Hingabe und ihre unerschütterliche Liebe für ihren Ehemann beruht auf ihrem festen Glauben an die Einheit der Familie. Kein noch so großer Schicksalsschlag erscheint ihr unlösbar. Und obwohl Maya unter der Last ihrer vielen Aufgaben fast zusammenbricht, bleibt sie doch bei sich und Herrin ihres eigenen Handeln, will uns Baksho Bondi mit dieser Geschichte sagen.

Der Film erzählt in eindrucksvollen Bildern vom Leben einer erschöpften Frau, die ohne Unterstützung des Staates und ihrer eigenen Familie in den Mühlen des Systems gefangen ist. Die Berlinale 2025 könnte erst der Auftakt für die Festivalreise dieses Films sein. Mit Maya auf ihrem rostigen Fahrrad könnte Baksho Bondi seine Reise um die Welt und durch ganz Indien antreten.

Village Rockstars 2 

Mit Village Rockstars 2 präsentiert Rima Das eine bittersüße Fortsetzung ihres Originalfilms gleichen Titels. Einmal mehr stellt die Regisseurin hier ihr Talent für den Umgang mit tiefgründigen und sensiblen Themen unter Beweis: In langen Einstellungen zeigt sie den Alltag im Dorf, Momente meditativer Stille und eindrucksvolle Szenen einer Mutter-Tochter-Beziehung. Ohne jede Effekthascherei vermittelt der Film realistische Eindrücke, lässt seinen Schauspieler*innen Raum und vermittelt dem Publikum das Gefühl, am echten Leben in einem assamesischen Dorf teilhaben zu können. Hier wird die Erzählerin zu einer wahren Autorin.
 
Der Film zeigt den Alltag von Dhunu, die einige Jahre zuvor eine Band gegründet hat. Inzwischen sieht ihr Leben anders aus – ihre Mutter ist krank, sie arbeitet neben ihren Verpflichtungen in der Band in schlecht bezahlten Jobs und trägt die emotionale Verantwortung für die Sorge um ihren aufmüpfigen Bruder. Völlig ermüdet und überwältigt von den Problemen und Sorgen des Alltags muss Dhunu dabei zusehen, wie sich ihre Träume von einem Leben als Rockstar in Luft auflösen. 

Ohne Angst vor Pathos oder sentimentalem Kitsch erzählt Das ihrem Publikum in ungeschönten Bildern vom Leben zahlreicher Menschen am Rande der Gesellschaft im ländlichen Indien. Eine herzzerreißende Fortsetzung und alles andere als ein Feelgood-Movie.

Die indischen Filme auf der 75. Berlinale sind ein Beleg dafür, dass gut erzählte Geschichten der Glitzerwelt des Starkinos in nichts nachstehen.

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