Kultur im Quartal
Dresden zeigt seine Schätze in neuem Licht
Die Gemäldegalerie Alte Meister im Dresdner Zwinger feiert glanzvoll ihre Wiedereröffnung – und überzeugt mit einer gelungenen Überraschung: Das geänderte Arrangement der Ausstellung ermöglicht eine neue Perspektive auf die altbekannten Meisterwerke.
Von Andreas Platthaus
Dresden feiert in diesem Jahr das Ende einer siebenjährigen Bauphase, in der wichtige Kunstwerke aus der Gemäldegalerie Alte Meister für die Öffentlichkeit unzugänglich waren. Nun aber ist die Alte-Meister-Sammlung im Semperbau am Zwinger wieder vollständig zu sehen, und mit ihr vier der berühmtesten Damen der Stadt: Raffaels Sixtinische Madonna und die drei antiken Marmorskulpturen der sogenannten Herkulanerinnen. Alle vier kamen im achtzehnten Jahrhundert nach Sachsen, als Ankäufe des damaligen Königs August III. Auch wenn sie den Monarchen jeweils ein Vermögen kosteten, so haben sich diese Investitionen seitdem mehr als bezahlt gemacht, verdankt Dresden seinen Ruf als Kulturstadt doch bis heute vor allem seinen wertvollen Kunstsammlungen.
Für die Aufbewahrung dieser Schätze wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ein eigenes Gebäude errichtet: die Sempergalerie, benannt nach ihrem Architekten Gottfried Semper. Dieser musste noch während der Bauzeit 1849 als gescheiterter politischer Revolutionär aus Dresden fliehen, doch mit seinem ersten Museumsgebäude hinterließ er ein Aufsehen erregendes Bauwerk: Orientiert an der italienischen Architektur Roms und Florenz’ errichtete Semper einen Palast für die Kunst, der das benachbarte Königsschloss von nun an überstrahlen sollte. Die Herkulanerinnen konnte man im ersten Geschoss bestaunen, die Sixtinische Madonna als Himmelskönigin ein Stockwerk höher. Aber schon 1881 war es mit dem gemeinsamen Domizil der vier Damen wieder vorbei, als die Antikensammlung das Haus verließ und in einen neuen Museumsbau zog, das Albertinum. Ersetzt wurden die Herkulanerinnen und ihr Gefolge ausgerechnet durch martialische Objekte der Rüstkammer. Die Schönheit hatte dem Kriegshandwerk zu weichen.
Die Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden beherbergt rund 750 Werke aus dem 15. bis 18. Jahrhundert.
| Foto (Detail): © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, David Brandt
Antike Skulpturen dürfen wieder im Lichtspiel wirken
Nun sind die Herkulanerinnen zurückgekehrt, zusammen mit weiteren 120 antiken Skulpturen aus der berühmten Sammlung der sächsischen Fürsten. Anlass dafür war die notwendige technische Modernisierung der Sempergalerie. Der Direktor des Museums, der Wiener Kunsthistoriker Stephan Koja, nahm diese zum Anlass, die Bestände neu zu arrangieren. Die Rüstungs- und Waffensammlung war mittlerweile ins Nachbarschloss gewandert, und die Skulpturen stehen nun wieder in dem Saal, den Semper speziell für sie konzipiert hatte. Dieser sollte die Skulpturen in ein lebendiges Licht setzen: Beide Längsseiten der Galerie im ersten Geschoss haben hohe Fensterreihen, so dass sich je nach Sonnenlauf die Beleuchtung der Statuen verändert. Es ist ein Spektakel, das seit 140 Jahren niemand mehr gesehen hat, denn für die Rüstkammerbestände hatte man den Saal weitgehend abgedunkelt.
Da man sich in Deutschland aber nicht immer auf natürliches Sonnenlicht verlassen kann, greift das Museum zusätzlich auf moderne Beleuchtungstechnik zurück. Wenn man durch den riesigen Saal wandert, bewegt man sich wie über eine Bühne, auf der die Kunstwerke durch ihre jeweils eigenen Lichtkegel hervorgehoben werden.
Erhellende Dramaturgie
Als Besucher betritt man den Skulpturensaal heute nicht durch das eigentlich von Semper vorgesehene Portal, sondern aus dem Untergrund: Eine Treppe aus einem unterirdischen Durchgang führt hinauf zu den Kunstwerken. Dieser Aufstieg aus dem Dunkel in die Helligkeit ist ein eigenes dramaturgisches Meisterstück, weil die antiken Skulpturen mit dem Hinaufgehen wie ferne Traumvisionen am Horizont in den Blick kommen. Die Herkulanerinnen stehen dann wie Königinnen am Ende des Saals in ihrer eigenen Nische, und die Sixtinische Madonna hängt im Obergeschoss genau darüber.
Da Koja nun auch Bildhauerkunst hinauf in die Gemälderäume geholt hat, hat sich die Dramaturgie des Rundgangs durch die Kabinette des Obergeschosses entscheidend verändert. Diese sonst abgesonderten Werke in neuem Kontext zu entdecken ist erhellend, weil sie auf die Bilder inhaltlich Bezug nehmen: Götterfiguren stehen nun neben gemalten Göttern, Schmerzensmänner neben Passionsdarstellungen, Herrscherbüsten neben Herrscherporträts. Die große Dresdner Altmeister-Sammlung ist nun noch mehr eine Schule des Sehens und Begreifens geworden, und dazu gehört auch die für den Betrachter eigentlich unsichtbare Parallelisierung von Sixtinischer Madonna und Herkulanerinnen in ihrem Übereinander.
Neben der kompletten Neugestaltung der Sammlung wurden auch ausgeliehene Bestände zurück nach Dresden geholt, zum Beispiel mehrere mittelalterliche Holzskulpturen, die bislang im Schlossbergmuseum von Chemnitz standen und nun in der Sempergalerie einen eindrucksvollen Wandteppichzyklus aus dem sechzehnten Jahrhundert ergänzen. Im Gegenzug wurden Leihgaben ins nahe Chemnitz gegeben. Das dortige Kunstmuseum mit seiner faszinierenden Modernesammlung wird nun ebenfalls umbauen. Unter anderem soll ein neuer Saal für Werke aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert geschaffen werden, in dem etwa Bilder von Max Liebermann und Max Beckmann ausgestellt werden sollen.