Spiele als Triebkraft für soziale und politische Veränderungen
Spieler*innen am Steuer und Spiele als Vehikel
Ein gängiges Missverständnis besteht darin, dass Spiele Veränderungen erzwingen können. Wir sollten also unsere Strategie überdenken!
Von Pruthvi Das
Habt ihr schon einmal Orwell gespielt? In diesem Spiel setzen sich die Hamburger Osmotic Studios mit der Frage des Datenschutzes auseinander. Angeblich sind Internetkonzerne die „Big Brothers“ der heutigen Zeit. Es geht um globale Überwachung, den Verkauf von Nutzerdaten und vieles mehr. Mit dem Spiel lässt sich nachvollziehen, wie es wäre, wenn eine autoritäre Regierung und nicht ein Unternehmen die Kontrolle übernähme.
Eigentlich könnte man meinen, dass dies kein geeigneter Umgang mit Fragen des Datenschutzes ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. Spieler*innen berichten davon, Gefühle wie Ekel, Schock, Entsetzen und sogar Paranoia verspürt zu haben, weil ihnen die Botschaft des Spiels so nahe gegangen ist. Ihnen war immer von selbst klar, wenn sie im Verlauf des Spiels etwas Unrechtes getan hatten.
Wenn Spiele dazu dienen sollen, die sozialen oder politischen Ansichten von Spieler*innen zu beeinflussen, dann ist es wichtig, dass sie in diesen Spielen nicht direkt für ihre Handlungen oder Ansichten verurteilt werden. Dies liegt hauptsächlich darin begründet, dass sich die Spieler*innen bereits durch die Folgen ihrer Handlungen einem Urteil ausgesetzt sehen. Offenbar reagieren Spieler*innen auf bestimmte Spielentscheidungen emphatisch. Durch eine nachträgliche Einführung extradiegetischer (Erzähltheorie: sich außerhalb der Erzählwelt befindend, Anm.d.R.) Konsequenzen würden sie lediglich in eine defensive Haltung versetzt und den Eindruck gewinnen, dass die Entwickler*innen eine Kränkungsabsicht verfolgen. Aber das ist, was wir von ihnen zu denken erwarten. Das Ergebnis wäre gleich Null: Niemand würde die Botschaft beachten.
In einer Sequenz in My Child Lebensborn ist man in einer schwierigen Situation gezwungen, seinem Kind zu erklären, warum es schikaniert wird. | Sarepta studio AS My Child Lebensborn ist ein Spiel, in dem Spieler*innen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg unter schwierigen Verhältnissen ein im Lebensborn geborenes Kind großziehen müssen. Zur Erläuterung: Lebensborn war ein Programm der Nazis, das darauf abzielte, die Anzahl „reinrassiger“ Kinder gemäß den Vorstellungen der Rassenhygiene zu steigern.
Überlege einmal selbst: Wie würdest du ein aus diesem Programm stammendes Kind in einer Gesellschaft großziehen, deren Wunden noch nicht verheilt sind?
- „Ich würde mich einer solchen Aufgabe nicht stellen. Sie können ruhig bestraft werden. Sie haben es verdient.“
- „Ich würde sie beschützen, als ob sie meine eigenen Kinder wären.“
Das Ergebnis? Spieler*innen entwickelten positive Gefühle gegenüber dem Kind. Ihr Bewusstsein wurde geschärft für rassistische Vorurteile, die in einigen Gesellschaften heute häufig gegenüber Deutschen bestehen.
Es ist sicher nicht allen bewusst, wie wirksam Spiele sein können, die keine Werturteile beinhalten. Während meiner Arbeit als Spieledesigner in einem Studio war auch ich so naiv zu glauben, dass es funktionieren könnte, den Spieler*innen den Wert der verschiedenen Optionen zu vermitteln. Im Sinne von: „Hey, so hättest du das Spiel gut beenden können“. Doch bei unserem Zielpublikum stieß unser Spiel auf gemischte Reaktionen. Seine Botschaft fühlte sich wie die mahnenden Worte eines Priesters im Sonntagsgewand an.
Rückblickend fehlte es dem Spiel an Subtilität. Doch das ist nur ein Teil des Puzzles. Das andere ist Fairness.
Es ist wichtig, gemäßigte Positionen zu vertreten, um in beide Richtungen die besten (und schlechtesten) Varianten abzubilden."
- Spieler*innen verlieren die Kontrolle über ihr Handeln und müssen sich durch moralisierende Entscheidungsfragen arbeiten. Solche Abläufe sind häufig zu beobachten.
- Spieler*innen haben nicht das Gefühl, dass ihre Meinungen angemessen berücksichtigt werden, und verlieren das Interesse.
Tatsächlich sollen Spiele die Möglichkeit bieten, der Realität zu entfliehen. Hier stellt sich die Frage, ob man dabei immer Spaß haben muss (doch das ist ein völlig anderes Thema). Spiele wie That Dragon, Cancer und My Child Lebensborn zeigen dagegen, dass Spiele nicht unbedingt Spaß machen müssen, sondern dass von ihnen ein besonderer Reiz ausgehen muss. Allerdings spielt Identifikation bei Spielen, die ein Umdenken bewirken wollen, die wichtigste Rolle. Auf diese Weise konnte die Branche auch so viel treue Follower*innen gewinnen. Es sollte also Wert auf eine korrekte Darstellung der Sachverhalte, nicht jedoch auf eine realistische Wiedergabe der Situationen als solcher gelegt werden.
That Dragon, Cancer widmet sich einem schwierigen Thema und verzichtet dabei auf Unterhaltungselemente. Es wurde mit einem BAFTA Games Award für Game Innovation ausgezeichnet. | Numinous Games Dennoch gibt es keine Berichte von Echtzeit-Geschichten, die eine Änderung vorgefasster Meinungen bewirken konnten. Tatsächlich kann man in der Regel davon ausgehen, dass Serious Games keinerlei Konsequenzen haben. Obwohl beispielsweise Darfur is Dying von Millionen von Spieler*innen gespielt wurde, hatte es keinerlei Auswirkungen auf den Ausgang des Land Cruiser War im Sudan im Jahre 2006. Etwas, das die Entwickler sich gewünscht haben.
FAZIT
Soziale und politische Reformen brauchen einen langen Atem, und es ist wichtig zu bedenken, dass Veränderungen viel Zeit benötigen. Am besten fangen wir klein und langsam an, und zwar mit Spielen, die ihren Spieler*innen Entscheidungsfreiheit einräumen. Das gegenteilige Konzept bietet keine optimalen Voraussetzungen, denn wenn eine Person für ihre Handlungen gerügt wird, sieht sie sich zu neuen Veränderungen gezwungen, mit denen sie möglicherweise nicht zufrieden ist.So wird beispielsweise die Semantik rund um das Geschlecht oft falsch kommuniziert, ob absichtlich oder nicht. Wer die Schuld trägt - also dejenige, der sich schlecht entscheidet - wird verpönt, wodurch er in die Defensive gedrängt wird. Man darf nicht erwarten, dass sie verstehen, ob sie Feindseligkeit erleben, statt Vernunft. Manchmal ist es wichtig, eine klare Haltung einzunehmen. Wenn es jedoch darum geht, andere Menschen wirklich zu überzeugen, führt ein wenig Gelassenheit eher zum Ziel. Aus diesem Grund wird die Cancel Culture auch so kontrovers diskutiert.
Neue Ideale übernehmen wir aus eigenem Antrieb, sofern wir einen Anlass dafür sehen. Es braucht nur eine Portion Empathie und Geduld für das Publikum. Veränderungen sind nicht immer sichtbar, und man kann Menschen nicht immer zu Veränderungen bewegen. Doch darum geht es ohnehin nicht bei der Einflussnahme.
Es geht darum, Denkanstöße zu setzen. In welche Richtung sich diese Gedanken dann entwickeln, liegt ganz allein bei den Spieler*innen. Wir müssen auf den Beifahrersitz wechseln und ihnen das Steuer überlassen.
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