Fatma Aydemir
Djinns
Fatma Aydemirs strukturell komplexes Dschinns ist eine kraftvolle Geschichte über Migration und Familie, die mehrere Stimmen zu einem reichhaltigen erzählerischen Teppich verwebt – ein Roman, der Fans von Bernardine Evaristos Mädchen, Frau, etc. ansprechen wird.
Hüseyin Yilmaz ist tot. Ein Mann, der 1971 die Türkei auf der Suche nach einem neuen Leben in Deutschland verließ, der vier Kinder großzog und jede mögliche Schicht arbeitete, um für eine Wohnung in Istanbul zu sparen, ist im Flur von seinem neuen Zuhause zusammengebrochen, an der Schwelle zu einem Leben gestorben. Das Eröffnungskapitel von Fatma Aydemirs Dschinns ist lyrisch und schonungslos zugleich, die Vorstellung einer Figur, die uns sofort entrissen wird, die Schaffung eines Verlustes, eine Entleerung der Bühne, die das Herz dieses außergewöhnlichen Romans bildet. Dschinns ist von Anfang an fesselnd, tiefgründig und menschlich, und wird Fans von Büchern wie Bernardine Evaristos Mädchen, Frau, etc. (übersetzt von Tanja Handels) ansprechen.
Dschinns, der zweite Roman der Journalistin und Autorin Fatma Aydemir, der 2022 im deutschsprachigen Raum zur Sensation wurde, liegt nun in einer brillanten Übersetzung von Jon Cho-Polizzi auf Englisch vor. Djinns ist von fast schwindelerregendem Ausmaß und wird dennoch auf einer intimen Ebene erzählt, was Aydemirs unglaubliches Geschick als Romanautorin zeigt. Ausgehend von der Trauer einer einzigen Familie zeichnet sie ein lebendiges und oft schmerzhaftes Bild des Lebens von Migranten und ihren Kindern im heutigen Deutschland – vor allem in der türkischen und kurdischen Diaspora, wobei diese Themen über Grenzen und Kulturen hinausgehen.
Nach dem Tod von Hüseyin kommt seine Familie in der Wohnung in Istanbul zusammen, einem Ort, an dem keiner von ihnen je gewesen ist und der dennoch zum Sinnbild für den Vater und seine letzten Hoffnungen geworden ist. Da ist Sevda, die entfremdete älteste Tochter, benannt nach einem anderen Kind, das vor ihrer Geburt starb. Peri, die Rebellin der Familie, kühn und kompromisslos, aber von einem heimlichen Verlust gequält. Hakan, der älteste Sohn, der quer durch Europa nach Istanbul fährt, so wie durch das Leben – zu schnell, in Gedanken gefangen, gegen die zahllosen Ungerechtigkeiten des Alltags wetternd. Ümit, fünfzehn Jahre alt, der in seinen besten Freund verliebt ist und für seine Sexualität von ausgerechnet den Menschen bestraft wird, die für sein Wohlergehen zuständig sein sollten. Und schließlich Emine, Hüseyins Witwe, Bewahrerin von Geheimnissen und des Schweigens, Wächterin über den anderen großen Verlust, der den Kern dieses Romans bildet.
Aydemir hat sich dafür entschieden, Hüseyins und Emines Geschichten in der zweiten Person zu erzählen: jeweils ein Kapitel, am Anfang und am Ende des Romans, während jedes Kind dazwischen einen eigenen Abschnitt in der dritten Person bekommt. Diese vier Kapitel machen den Großteil der Geschichte aus und beschreiben nicht nur die Ereignisse nach Hüseyins Tod, sondern auch das Leben der Familie bis dahin, ihre komplexen Beziehungen und die verschiedenen Wege, die sie eingeschlagen haben. Die Stimme jeder Figur ist einzigartig; der Effekt dieser Vielfältigkeit ist nicht nur ein komplizierter narrativer Bildteppich, sondern auch eine Annäherung an Hüseyin und Emine aus der Distanz. Es ermöglicht der Leserin, beide Figuren sowie die Vergangenheit durch die Linse einer sich ständig verändernden Gegenwart zu betrachten, indem verschiedene Handlungsstränge manchmal verschwinden, um später wieder aufzutauchen. Einen Roman von solchem thematischen und technischen Reichtum zu weben, erfordert großes Geschick, aber Aydemir tut dies mit einer Leichtigkeit, die dafür sorgt, dass Dschinns konstant und zweifellos lesbar ist.
Es ist leicht, einen Roman als „wichtig“ zu bezeichnen – vor allem einen, der so grundlegend zu dem wachsenden Kanon dessen beiträgt, was oft als „postmigrantische Literatur“ bezeichnet wird. Dschinns auf dieses Wort zu reduzieren, wäre zu einfach. Dieser Roman ist wichtig, aber für eine Leserin von Belletristik ist er auch ein echtes Vergnügen: eine äußerst feine Erzählung, die sich auf eine rasante Handlung, lebendig gezeichnete Figuren und einen klaren und doch poetischen Gebrauch der Sprache stützt. In einem Roman über das Schweigen – in der Familie und in der Gesellschaft – zeigt Aydemir unbestreitbar, dass Worte wirklich wichtig sind.
Weitere Informationen zu dem Buch / den Bücher und wo sie ausleihbar sind, finden Sie anstehend in den Links zum Thema.
ÜBER DIE AUTORIN
© Beatrice Updegraff
Der Artikel wurde zuerst vom Goethe-Institut Glasgow im Dossier Buchblog: Literaturverkostung veröffentlicht.