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Dass man sie aus dem All sieht, ist ein Mythos. Trotzdem: Die Chinesische Mauer ist mit 8851,8 Kilometern das größte, jemals von Menschenhand geschaffene Bauwerk. Mehr als anderthalb Jahrtausende wurde an der Chinesischen Mauer gebaut, vom 3. Jahrhundert vor Christus bis zur Ming-Dynastie (1368-1644). Sie ist eines der sieben Weltwunder der Neuzeit. Heute besuchen jährlich etwa zehn Millionen Touristen die große Mauer. © Reinhard Kleist

Jonas Engelmann über „Reiseskizzen aus China“
Im Schatten der großen Mauer

Reinhard Kleist reist von Berlin nach China und bringt vor allem Stimmungen mit zurück nach Deutschland

In seinen umfangreicheren Comicalben arbeitet Reinhard Kleist mit starken Kontrasten, in den schwarzweißen Zeichnungen ohne viele Zwischentöne steht die Story im Mittepunkt. Seine Biografien von Fidel Castro, Musikern wie Johnny Cash oder Nick Cave, den Boxern Hertzko Haft und Emile Griffith oder der somalischen Sprinterin Samia Yusuf Omar sind sensibel erzählte Geschichten, die von den genauen Blicken auf die Menschen leben, auf Details und schnell übersehene Facetten ihrer Persönlichkeiten.

Vom Schwarzweiß zur Farbe

Von diesen Menschen und ihren Geschichten, so Kleist in einem für diesen Artikel geführten Gespräch, würden Farben zu sehr ablenken. Stadtviertel und Gebäude, Plätze und Landschaften lassen sich dagegen nur schwerlich als Schwarzweiß-Zeichnungen darstellen: Reinhard Kleists Reisebuch „Havanna. Eine kubanische Reise“ lebt von den Farben, wie er im Gespräch ausführt: Die Zeichnungen im Reisebuch aus Kuba sind am Abend aus den Erinnerungen an die Eindrücke des Tages heraus entstanden und später im Atelier koloriert worden. Im Gegensatz zu diesem Comicalbum, das von der Idee der verblassenden Erinnerungen an eine Reise und dem Versuch, diese Erinnerungen zu bewahren, lebt, sind die farbigen Reiseskizzen von Kleist aus den unterschiedlichsten Ländern stets vor Ort vollendet worden. Wie gelungene Fotos sind es spontane Umsetzungen von Stimmungen in ein Bild.

Der Blick des Fremden

Vietnam, Algerien, Bali, Ägypten, Indien, Kambodscha, Laos, Sri Lanka… die Liste der Länder, aus denen der Berliner Zeichner Reinhard Kleist Reiseskizzen mitgebracht hat, ist lang. Auch in China war er im Auftrag des Goethe-Instituts für einen Workshop mit dortigen Comiczeichnern. Über seinen Blick auf das Land führt er in einem Interview mit dem dortigen Goethe-Institut aus: „Wenn ich etwas über die Stadt machen würde, wäre es ja immer durch die Augen eines Fremden. Diese Perspektive werde ich ja nie verlassen können. Auch wenn man Jahre hier verbringt, wird man immer der Fremde sein, der auf eine Kultur und eine Stadt guckt.“ Diese Perspektive des Fremden ist, so zeigen die Reiseskizzen von Kleist, nicht negativ konnotiert, im Gegenteil kann gerade dieser Blickwinkel neue Perspektiven auch auf das Eigene ermöglichen. So sind die Reiseziele des „Touristen“ Reinhard Kleist in China durchaus jene touristischen Hotspots, die jeder Reiseführer hervorhebt: Die „große Mauer“, die „Verbotene Stadt“ in Peking, der Buddha-Tempel in Nanjing. Auch wenn diese Auswahl eher der beschränkten zur Verfügung stehenden Zeit geschuldet war und weniger einer künstlerischen Entscheidung, wie Kleist im Gespräch ausführt, führten diese äußeren Umstände zu einer Fokussierung, die sich auch ästhetisch niedergeschlagen hat: Die Sehenswürdigkeiten werden von Kleist als fast menschenleere Orte skizziert, im Mittelpunkt steht die Architektur und ihre Interaktion mit der Natur. So fügt sich die „große Mauer“ trotz ihrer Monumentalität in die Landschaft ein und im „Ming-Xiaoling-Mausoleum“ in Nanjing ergeben Natur und Kultur, Pflanzen und Gebäude, ein stimmiges Gesamtbild.

Der Horizont löst sich auf

Es sind vor allem Atmosphären, die mit eingefangen werden und die er von der Reise mit nach Hause gebracht hat, führt Kleist im Gespräch aus, persönliche Eindrücke, die über das das reine Abbilden von Sehenswürdigkeiten hinausgehen: Farben, Gerüche, Geräusche werden spürbar. Und auch der staunende Blick des Besuchers aus dem Westen wird im Bild eingefangen, wenn sich etwa die „große Mauer“ am Horizont auflöst, ihr Ausmaß kaum in eine Zeichnung zu packen ist. In dieser Skizze zeigt sich auch ein weiteres ästhetisches Detail der Reisebilder aus China: Im Hintergrund vieler der Zeichnungen finden sich aufgeklebte Papierbögen mit chinesischen Schriftzeichen, die durch die unterschiedliche Papierbeschaffenheit Kontraste entstehen lassen: Klare Konturen auf den ursprünglichen Seiten, leicht verschwommen, ähnlich einem Aquarell, auf den aufgeklebten Papieren. Eigenes und Fremdes, der Blick des Touristen und die Worte in der Sprache des Landes fügen sich zu einem Bild zusammen. Und so wirkt das Fremde zurück auf das Eigene, es verändert den Fokus und lässt den Besucher allein mit seinen Eindrücken zurück. Reinhard Kleist behält diese Eindrücke jedoch nicht für sich, sondern teilt sie mit der Welt.
 

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