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Kannagi Art District
Graffity Art in Chennai

Joystone enthüllt Kannagi Art District
Joystone enthüllt Kannagi Art District | © Pranav Gohil

Das am Stadtrand von Chennai gelegene Kannagi ist als eines der größten Umsiedlungsgebiete in Indien bekannt. Mit einem negativen Image behaftet lebte es lange am Rande der Gesellschaft. 

Das Schicksal der Stadt Chennai hängt vom Meer ab, denn dieses bestimmt, ob man ein Auskommen hat oder untergeht. Die Bewohner*innen dieses Ortes wissen das nur zu gut, denn sie mussten nach dem Tsunami von 2004 hierher umgesiedelt werden. Kannagi liegt am Stadtrand von Chennai und gilt als größtes Umsiedlungsgebiet Indiens. Die Gegend hat einen schlechten Ruf, und die Menschen führen hier ein Leben am Rand der Gesellschaft.  
 
Kannagi hat 94.000 Einwohner*innen und viele offene Plätze, die in einem Dialog mit den umgebenden Gebäuden stehen, deren Fassaden sich ideal als Leinwand eignen. Noch wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass die Straßen von der Community hier auf sehr kreative Weise genutzt werden, zum Beispiel als Ort, an dem man die verschiedensten Spiele spielen kann. Als sehr dicht bevölkerte und lebhafte Stadt mit einerseits in Verruf geratenen, andererseits pulsierende Gegenden war Kannagi ein idealer Ort für St+art, weitere urbane Umgestaltungen anzugehen.
 
Im Februar 2020 lud St+art Künstler*innen ein, auf die eher trostlose Stimmung innerhalb der Community zu reagieren und hier Wandgemälde zum Thema „Mensch und Umwelt“ entstehen zu lassen. Diese wurden in vielen verschiedenen Stilen und Techniken umgesetzt und beschäftigten sich mit Themen wie Heimat, Hoffnung und den Umständen, unter denen man hier seinen Lebensunterhalt verdient. So wurde das fünfte Künstlerviertel Indiens eine Hommage an die Bewohner*innen von Kannagi, die zeigt, wie urbane Kunst nicht nur ein Stadtviertel wiederbeleben kann, sondern auch das Leben der Menschen, die hier wohnen.

In der ersten Phase malten vier internationale und 11 Künstler*innen aus Indien Bilder an alle das Stadtgebiet umschließenden Fassaden, die jeweils in einem ganz eigenen Stil ein bestimmtes viel diskutiertes lokales Narrativ aufgriffen, etwa den Klimawandel und seine Auswirkungen auf Leben und Arbeiten in der Stadt, die Bedeutung von Traditionen, Frauenrechte und vieles mehr. Die Beschäftigung mit den tatsächlichen Lebenserfahrungen in dieser Stadt ließ wiederum Raum für weiteren Austausch zu sensiblen Themen wie Umsiedlung, Vertreibung und andere emotionale Herausforderungen, mit denen die Menschen vor Ort konfrontiert sind.

  • Aravani Art Project enthüllt Kannagi Art District 2020 © Pranav Gohil
    Aravani Art Project enthüllt Kannagi Art District 2020
  • Kannagi Art District Spirit © Pranav Gohil
    Kannagi Art District Spirit
  • Epoc enthüllt Kannagi Art District 2020 © Pranav Gohil
    Epoc enthüllt Kannagi Art District 2020
  • Karthik enthüllt Kannagi Art District 2020 © Pranav Gohil
    Karthik enthüllt Kannagi Art District 2020
  • Kashmira enthüllt Kannagi Art District 2020 © Pranav Gohil
    Kashmira enthüllt Kannagi Art District 2020
 In dem Bild von Kashmira Sarode sieht man ein Mutter-Tochter-Duo, das mitten im Meer steht und trotz seiner Notlage den Kräften des Wassers trotzt. Um die beiden herum blüht eine riesige Iris, die ein Symbol der Hoffnung auf eine bessere Welt darstellt. Auch in vielen anderen Wandbildern wird das Meer als gewaltige Lebenskraft inszeniert, die es im Sinne einer nachhaltigen Zukunft zu schützen gilt. In einer Stadt, die schon viele traumatisierende Tsunamis miterlebt hat und mit einem stetig steigenden Meeresspiegel zu kämpfen hat, ist dieser Gedanke sehr wichtig. Als visuelle Zeugen der Last, die Kannagi zu tragen hat, ermöglichen diese Wandgemälde es den Betrachtenden, solche lokalen Vorkommnisse mit weltweit stattfindenden urbanen Szenarien in Verbindung zu bringen.

Um diesen Themen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, hat St+art darüber hinaus Bürgerprojekte in Form von gemeinsamen Aktionen in Leben gerufen, bei denen die Bewohner*innen die Entstehung des Kunstbezirks aktiv mitgestalten konnten. In Workshops für Kinder und Erwachsene haben die teilnehmenden Künsterl*innen ihre Tätigkeiten an die besonderen Voraussetzungen ihrer Umgebung angepasst. Auf diese Weise sind in gemeinsamer Arbeit einige kleinere Wandgemälde um das Viertel herum entstanden, die zu einem bleibenden Verweis auf diesen kreativen Austausch geworden sind.

Darüber hinaus hat St+art auch mit bereits in der Stadt existierenden Projekten zusammengearbeitet, etwa der Chennai Photo Biennale oder dem Urban Design Collective. Diese Organisationen haben viel Erfahrung mit Kunstprojekten, die der Community eine aktive Teilhabe bieten. So hat CPB etwa Fotografiekurse für Kinder durchgeführt, und UDS hat in einer einzigartigen Studie die Straßenspiele von Kannagi Nagar erforscht und zu diesem Thema sogar eine eigene Postkartenserie herausgegeben. Mit Hilfe dieser neuen Medien konnten die Menschen in Kannagi die verschiedensten Formen von Kreativität erleben und ihre Geschichten neu erzählen. Diese Projekte hatten darüber hinaus das Ziel, das Stadtleben nachhaltig zu beeinflussen und die bestehenden sozialen Ungleichheiten in Chennai und Kannagi abzuschwächen.
 
Wie sehr die Menschen hier gegen alle Widerstände ankämpfen, sieht man nicht nur daran, dass sie bemüht sind, ihren Alltag in diesem Randgebiet visuell neu zu gestalten, sondern auch in ihrer Fähigkeit, dabei stets ungemein kreativ zu bleiben. Die vielen Organisationen im Stadtviertel haben sich zwar auch sehr für diese Form der Umfeldbelebung eingesetzt, das wichtigste Engagement kam jedoch kam direkt von den Mitgliedern der Community; den Menschen, die in dieser Realität leben und ihre Erfahrungen miteinander teilen. Wer durch die endlosen Gassen läuft, bemerkt schnell, wie sehr die Optik von der Kreativität der Straße lebt: Man sieht künstlerisch bemalte Erdgeschosswohnungen, die als Lebensmittelladen genutzt werden, oder verwahrloste Baustellen, die als Austragungsort für Straßensport oder Tanzwettbewerbe dienen, die die Jugendlichen vor Ort selbst choreografieren und organisieren.
 
Inspiriert von diesen Projekten wurde der Kannagi Art District ins Leben gerufen, um den Alltag der hier lebenden Community zu stärken und den Menschen noch mehr Kreativität und Kultur zu bieten. Bei der ersten Ausgabe des Festivals wurde ein Teil des Stadtviertels komplett umgestaltet. Durch die Fassadenbemalung erhielt diese heruntergekommene Gegend eine frisches „Facelifting“, und das Kunstviertel entwickelte sich zu einem Ort, an dem man zusammenkommen und feiern konnte. Heute gibt es hier unzählige Wandgemälde, die dem Viertel nicht nur eine neue Identität gegeben haben, sondern den Bewohner*innen auch Bildung und Kreativität beschert haben. Der Bezirk wurde am 9. März 2020 von wichtigen Ministerinnen und Ministern der Regierung des Staates Tamil Nadu offiziell eingeweiht.

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