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 © Olivier Kugler (Ausschnitt)

Thomas Hummitzsch über „Mit dem Elefantendoktor in Laos“
Tierisch stark

Olivier Kugler bereist als Reportagezeichner die Welt. In Laos hat er einen Tierarzt in den Dschungel begleitet, der die Arbeitselefanten von Holzfällern betreut.

Der französische Tierarzt Bertrand Bouchard war 29 Jahre alt, als Olivier Kugler zu ihm Kontakt aufnimmt. 2010 war das und Kugler wollte eine Geschichte über Elefanten in Asien machen. Bouchard arbeitete damals für die Organisation ElefantAsia und versorgte die Elefanten von Forstarbeitern in Laos medizinisch. Er lud den in London lebenden Zeichner ein, ihn für ein paar Tage in die Tiefen des laotischen Dschungels zu begleiten und festzuhalten, was sie erleben.

Gesagt, getan. Im Januar 2011 reiste Kugler nach Laos, um mit dem französischen Veterinär, seinem laotischen Assistenten und einem Beamten des Landwirtschaftsministeriums tief in den Urwald zu reisen. Dahin, wo keine Maschinen mehr hinkommen und Elefanten als Nutztiere für die schwere Waldarbeit eingesetzt werden. Sein Comic „Mit dem Elefantendoktor in Laos“ dokumentiert diese Reise.

Viele Reisen

Seither hat Kugler als zeichnender Reporter viele Reisen gemacht. Für Oxfam hat er aus Burkina Faso über die Hungersnot in der Sahelzone berichtet, für Ärzte ohne Grenzen war er im Irak, auf den griechischen Inseln, Frankreich und Großbritannien unterwegs, um syrische Flüchtlinge zu interviewen. Für zahlreiche Medien hat er zu ganz verschiedenen Themen berichtet. Entstanden sind unter anderem die Porträts eines ehemaligen Mafioso und eines iranischen Truckers, der Bericht von einer Weihnachtsfeier für Obdachlose, vom Tahir-Platz in Kairo während des arabischen Frühlings oder die Reisetagebücher aus Kuba oder Shanghai. Seine Diplomarbeit war eine grafische Reportage von der Reeperbahn in St. Pauli.

All diese Projekte verbindet nicht nur seine Neugier auf die Welt und die Menschen, denen er begegnet, sondern auch die Herangehensweise. Denn Kugler ist ein Faktensammler, der während seiner Reisen unzählige Details einsammelt und sie dann in seine Erzählung einstreut. So wechselt er ständig zwischen den konkreten Informationen der Reise und den allgemeinen Fakten zu Land, Leuten und Kultur.

Dies ist auch bei seinen Aufzeichnungen aus Laos der Fall. Dabei berührt er Alltagsfragen – etwa wie man sich begrüßt, was man zum Frühstück isst und welche Lebensbedingungen in der Provinz herrschen – ebenso wie den Verlauf der großen weltpolitischen Linien – zum Beispiel wenn er aufzeigt, wie die Globalisierung die  laotische Provinz geografisch, sozial und kulturell verändert. Sein persönliches Engagement kann man nur der Auswahl der Fakten entnehmen, die er einbindet. Politische Kommentare – wie etwa Joe Sacco – oder rätselhaftes Staunen – wie bei  Guy Delisle – erlaubt er sich nicht. Er sieht sich aber auch nicht als Journalist wie Sacco, dessen Arbeit er bewundert. In einem Porträt im Eye-Magazin räumt er ein, dass Sacco rausgehe und Fakten für eine Geschichte sammle, er aber rausgehe, um mit ein paar eindrucksvollen Zeichnungen zurückzukommen.

Komplexe umstände

Im Comic über seine Laos-Erfahrung stellt er nüchtern dar, dass die Regierung das Land zum wichtigsten Stromlieferanten Asiens machen will und bereit ist, chinesischen oder thailändischen Konzernen alle Möglichkeiten dafür einzuräumen, ohne die Bevölkerung zu fragen. Oder dass mit dieser Entwicklung Prostitution und Korruption eingekehrt sind und die traditionelle Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern. Wo andere Reporter zu westlicher Hybris neigen und derlei Entwicklungen kühn bewerten, belässt es Kugler bei der Darstellung. Er weiß, dass die Umstände komplex sind. Soll sich doch jeder selbst ein Bild machen. Seine meist seitenfüllenden Wimmelbilder sind voller Details, die sich darauf neben-, hinter und übereinander anordnen. So findet man in der Tiefe der Zeichnungen unzählige Hinweise auf das, was Laos und seine Gesellschaft ausmacht.

Kugler hat sein Handwerk an der New Yorker School of Visual Arts gelernt, bekannt dafür, dass sie die Kunst des Zeichnens vor Ort vermittelt. Kugler hat daraus einen ganz eigenen Stil entwickelt, eine Melange aus skizzenhaften Zeichnungen mit farbigen Akzenten und frei schwebenden Texten. Vor Ort entsteht davon wohl wenig, denn „in the field“ konzentriert er sich ganz auf die Menschen, denen er begegnet und saugt mit seinen Blicken alle Details auf, die er bekommen kann. Kamera und Aufnahmegerät sind immer dabei, um alles festzuhalten, was es festzuhalten gilt. Erst im Studio beginnt er, ausgehend von den Fotos, mit dem Bleistift zu zeichnen. Anschließend scannt er seine Skizzen und fügt am Rechner die Farben hinzu.

Transparente Effekte

Dabei ist ihm wichtig, dass sich die Farben nicht komplett über die Zeichnungen legen, sondern einen transparenten Effekt zulassen. Dies erinnert oft an Wasserfarben oder Gouache, durch die seine Skizzen durchscheinen. Auf klare Linien und durchgezogene Striche verzichtet er meist, weshalb sich Klarheiten auflösen und fließende Übergänge entstehen. Die darüber liegenden Farbflächen verstärken diesen Effekt. Details hebt er zudem mit genauer Farbgebung hervor und lenkt so klug die Blicke seiner Leser. Am Ende schreibt er mit der Hand seine Texte in das Bild, manches Detail schimmert hinter dem Text auf. Aus dieser kunstvollen Ästhetik entsteht das subjektive Gefühl, von diesen undurchdringlichen Wimmelbildern überwältigt zu sein.

Im Mittelpunkt seiner Laos-Geschichte stehen die tierischen Patienten sowie deren Besitzer. Dabei schwingt Kuglers Erzählung wie eine Schaukel zwischen dem Individuellen und dem Universellen hin und her. Der erste Elefant, den er vorstellt, ist 43 Jahre alt, wiegt fast 4 Tonnen und trägt den Namen Ay Bounpheng, der wegen einer entzündeten Wunde im Fuß behandelt werden muss. Ganz nebenbei berichtet Kugler, dass sich alle Arbeitselefanten in Laos einen Namen aussuchen, indem sie sich im dritten Jahr ihrer Ausbildung für eines von mehreren benannten Zuckerstücken entscheiden. Insgesamt hat er auf der knapp einwöchigen Reise die Behandlung von 45 Elefanten begleitet. Etwa genauso viele sind über die etwas mehr als 30 Seiten seiner Reportage verteilt. Alles einzigartigem Charaktere, die mal majestätisch in voller Pracht aus dem Dschungel treten, mal nur mit gestrichelten Linien angedeutet sind. Egal, wie sie erscheinen, man kann sich daran nicht satt sehen.

Millionen Elefanten

Früher wurde Laos als »Pathet Lane Zang« bezeichnet, das Land der Millionen Elefanten, weshalb selbst die buddhistischen Tempel mit Elefanten geschmückt sind. Als Kugler das Land bereiste, lebten nur noch knapp eintausend Tiere innerhalb seiner Grenzen. Es ist ein reger illegaler Handel nach China, Thailand oder Korea mit den Tieren entstanden. Um diesen zu unterbinden, spritzen die Ärzte von ElefantAsia allen Tieren auch einen Microchip unter die Haut.

Kugler dokumentiert auf seiner Reise zahlreiche Gespräche mit den Mahuts, den traditionellen Elefantenführern, deren Beruf trotz sicherer Einkommen mehr und mehr ausstirbt. Oft müssen sie wochenlang ihre Familien verlassen, um mit ihren Tieren tief in den Dschungel vorzudringen, wo Laster oder Trucks nicht hinkommen. Außerdem ist die Arbeit gefährlich, manche Mahuts werden von aggressiven Elefanten getötet. Der 52-jährige Monh berichtet, dass er wohl der letzte Mahut seiner Familie sein wird. Seine beiden Söhne interessieren sich nicht für die Elefantenhaltung. Der eine wird Mönch, der andere Touristenführer. Was dann aus dem familieneigenen Tier einmal wird, wenn Monh nicht mehr der harten Arbeit nachgehen kann, weiß niemand.

Über solche eingesammelten Geschichten dringt Olivier Kugler zu den Menschen und der Gesellschaft vor, in der sie leben. Er holt sie aus der Anonymität heraus, gibt ihnen ein Gesicht und eine Stimme, an die ein Schicksal gebunden ist – ein Verfahren, dass eine noch viel größere Wirkung in seinen Flüchtlingsporträts – gesammelt in dem Comic „Dem Krieg entronnen“ – entfaltet. Sie zeigen wie etliche seiner anderen Arbeiten, wie viel Empathie er für die Menschen empfindet, die sich ihm auf seinen Reisen öffnen.

Olivier Kugler: Mit dem Elefantendoktor in Laos. Edition Moderne. 48 Seiten. 19,80 Euro.

 

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