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Rosinenpicker | Literatur
Kant ist nicht spröde!

Vor 300 Jahren, am 22. April 1724, wurde Immanuel Kant geboren. Als bedeutender Philosoph und Vordenker der Aufklärung wird er in diesem Jubiläumsjahr gewürdigt und kritisch betrachtet. Hierzu eine kleine Auswahl an aktuellen Büchern.

Von Shoshana Liessmann

Wer sich im Kant-Jahr 2024 ohne großes Vorwissen für den Philosophen und seine Ideen interessiert, bekommt mit dem Büchlein Immanuel Kant. 100 Seiten einen kurzen und verständlichen Einblick, der zur weiteren Lektüre anregt. Die Autorin Claudia Blöser, heute Professorin für Philosophie mit Schwerpunkt Ethik, erinnert sich an ihre erste Begegnung mit Kant. Damals war sie Abiturientin und las ein ähnlich schmales Buch.

Wer gerne einen spielerischen Zugang zu Kants Kritik der reinen Vernunft ausprobieren möchte, der kann zurückgreifen auf Hanno Depners wunderbaren und mehrfach ausgezeichneten Bausatz Kant für die Hand. Die 'Kritik der reinen Vernunft' zum Basteln & Begreifen (2011).

Brücken in die Gegenwart

Neue Einblicke bietet das Buch Kant. Die Revolution des Denkens von Marcus Willaschek, Professor für Philosophie der Neuzeit. Es ist weder eine klassische Biografie noch ein Lehrbuch der Philosophie. Vielmehr verknüpft es Ideen, Leben und Zeitgeschichte und schlägt Brücken in die Gegenwart. Dabei diskutiert Willaschek auch problematische Seiten, die Kant und sein Werk aufzuweisen haben. Nach Themen gegliedert, bietet es Leser*innen einen Einstieg in Kants revolutionären und vielfältigen Ideenkosmos und widerlegt dabei sogar das verbreitete Image des spröden Denkers.

Gut geeignet für Menschen mit etwas Vorwissen ist der Gesprächsband Der bestirnte Himmel über mir von Daniel Kehlmann und Omri Boehm. In acht Kapiteln tauschen sich der Erfolgsschriftsteller und der israelisch-deutsche Philosoph über zentrale Ideen Kants aus. Der Ablauf folgt organisch dem angeregten Gespräch, das auch das Problem des Rassismus bei Kant aufgreift. Im Philosophiestudium hatte sich Kehlmann ausführlich mit Kant beschäftigt, bevor er seine Dissertation zugunsten seiner literarischen Karriere aufgab. Omri Boehm lehrt an der New Yorker New School for Social Research und ist  ausgewiesener Kant-Experte. 2024 erhielt er für sein bemerkenswertes Buch Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität (2022) den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.

Kant in Bildern und im Roman

Mit dem originellen Band Immanuel Kant und die offenen Fragen nehmen uns Antje Herzog und Thomas Ebers mit auf eine Bilderreise, die zugänglich gestaltet ist und neugierig macht. Durch kurze Texte und feine Illustrationen gibt es viel zu entdecken über Leben und Alltag des Philosophen; detailreich wird uns seine Heimatstadt Königsberg vorgestellt. Gelungen ist auch die Vermittlung grundlegender philosophischer Ideen Kants. Diese Bilderreise war bereits in der gleichnamigen Ausstellung der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen, die sich an zentralen Fragen der Aufklärung orientierte (November 2023 bis März 2024). Jetzt überzeugt sie in Buchform. Dazu passt sehr gut Antje Herzogs bereits 2017 erschienene Graphic Novel Lampe und sein Meister Immanuel Kant, in der die Illustratorin den Diener Martin Lampe neben seinem Dienstherrn in den Mittelpunkt der Erzählung rückt.

Gegen Ende seines Lebens entließ Kant nicht nur seinen langjährigen Diener Martin Lampe, sondern vermerkte auf einem Zettel, dass der Name Lampe nun völlig vergessen werden müsse. Die kuriose und bis heute rätselhafte Notiz kommt in Felix Heidenreichs Roman Der Diener des Philosophen zum literarischen Einsatz. Heidenreich, vor allem bekannt als Politikwissenschaftler und Philosoph, entwirft die Figur eines überraschend gewieften Dieners. Lampe befindet sich nicht nur in einem andauernden häuslichen Kleinkrieg mit einem teils hinterhältigen Kant, sondern bekommt mit dem eifersüchtigen Privatsekretär Wasianski noch einen weiteren Gegenspieler. Mit viel Witz und philosophischen Anspielungen inszeniert Heidenreich die Beziehung zwischen Herr und Knecht(en) genauso wie Geschichten aus Kants Umfeld, die er aus verbürgten Fakten und fiktiven Erzählelementen grandios zusammenführt. Auch für Philosophieanfänger*innen geeignet!
 
Blöser, Claudia: Immanuel Kant. 100 Seiten
Ditzingen: Reclam, 2023. 100 S.
ISBN: 978-3-15-020704-8
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

Felix Heidenreich: Der Diener des Philosophen. Roman
Göttingen: Wallstein, 2023. 149 S,
ISBN: 978-3-8353-5530-9
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

Antje Herzog und Thomas Ebers: Immanuel Kant und die offenen Fragen. Eine Bilderreise
Köln: Wienand, 2023. 168 S.
ISBN: 978-3-86832-785-4

Daniel Kehlmann/ Omri Boehm: Der bestirnte Himmel über mir. Ein Gespräch über Kant
Berlin: Propyläen, 2024. 352 S.
ISBN: 978-3-549-10068-4

Marcus Willaschek: Kant. Die Revolution des Denkens
München: C.H. Beck, 2023. 430 S.
ISBN: 978-3-406-80743-5
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

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