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Rezeption von Franz Kafka in Indien
Inder begeistern sich für den genialen deutschsprachigen Schriftsteller

Theaterregisseur Zameer Badrunnisa aus Pune in Die Verwandlung, Aufführung im deutschen Original in Pune im Juli diesen Jahres.
Theaterregisseur Zameer Badrunnisa aus Pune in Die Verwandlung, Aufführung im deutschen Original in Pune im Juli diesen Jahres. | © Expression Lab, Pune

Übersetzungen, Adaptionen, Gemälde und sogar Skulpturen sind Beweis für den wachsenden Einfluss Kafkas auf das künstlerische und literarische Schaffen in Indien.

Von Faizal Khan

Im Juli diesen Jahres kamen beim beliebten Expression Lab im westindischen Pune, einem Tummelplatz für alle, die sich für experimentelles Theater interessieren, gleich drei Inszenierungen der gleichen Geschichte auf die Bühne. Die Stücke trugen alle den einen Titel: A Report to an Academy (Bericht für eine Akademie). Es handelte sich um drei Solo-Bühnenadaptionen der gleichnamigen Kurzgeschichte von Franz Kafka, die dieser vor mehr als einem Jahrhundert schrieb. Die Stücke waren in drei verschiedenen Sprachen: einmal im deutschen Original, einmal auf Englisch und einmal in Marathi, der vor Ort gesprochenen Regionalsprache.

"Es waren auch drei verschiedene Schauspieler,” erinnert sich Soumyabrata Choudhury, der das Stück auf Englisch aufführte und dabei Regie führte. "Die Publikumsresonanz war überwältigend,” fügt Choudhury, der als Associate Professor an der School of Arts and Aesthetics of Jawaharlal der Nehru University (JNU) in New Delhi unterrichtet, hinzu. Erstmals aufgetreten war Choudhury mit seinem A Report to an Academy am India Habitat Centre in New Delhi vor beinahe zwei Jahrzehnten. 

Vaibhav Abnave, der als Filmemacher und freier Forscher aus Pune die Aufführungen beim Expression Lab dokumentierte, arbeitet gegenwärtig an der Fertigstellung eines Films über die drei Versionen. Der Film wird den Titel Three Monkeys tragen und von den Beziehungen zwischen Mensch und Tier handeln und dabei die Darstellung der Theaterbühne im Film mit thematisieren. "Kafka hinterfragt unsere Vorstellungen dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, zu leben und sich fortzuentwickeln,“ äußert sich Abnave über A Report to an Academy, Kafkas Geschichte eines Mannes, der aufgefordert ist, in einem Bericht über sein vorheriges Leben als Affe Rechenschaft zu geben.

Wachsender Einfluss

Im Theater, im Kino und in der Literatur ist Kafkas wachsender Einfluss auf die Künste in Indien spürbar. Die Kurzgeschichten und Romane des Autors wurden in Hindi, Bengali, Tamil, Malayalam und Urdu übersetzt. Adaptionen von Kafkas Werken wie A Report to an Academy in Pune findet man mit großer Regelmäßigkeit auf den Theaterbühnen des Landes. Filmemacher sprechen ganz offen über den Einfluss, den Kafka auf ihre Arbeiten hat. In Titeln oder Überschriften von nicht-literarischen Texten wie von Zeitschriftenartikeln findet man oft das Wort „kafkaesque“ – ebenso auf Buchumschlägen und den Titelseiten von Zeitungen.

"Der Name Kafka ruft eine ganze Vielzahl verschiedener Interpretationen, Metaphern und Bilder hervor, die etwas Universelles an sich haben," erklärt Rosy Singh, Associate Professor am Centre of German Studies, School of Language, Literature & Culture Studies der JNU in New Delhi. "In Indien verbindet sich der Name Kafka oft mit einer lokalen Lesart und wird in einen jeweils aktuellen Kontext übertragen," fügt Prof. Singh hinzu, der sich lange mit der Rezeption Kafkas in Indien beschäftigt hat.

Seit nunmehr einem Jahrzehnt tauchen Adaptionen von Kafkas Kurzgeschichten in Programm von Theaterfestivals in indischen Städten wie Delhi, Kolkata, Mumbai und Pune auf. An der National School of Drama (NSD), Delhis ältestem Repertoire-Theater-Festival, war im Jahr 2006 das Stück Kafka – Ek Adhyay (Kafka – ein Kapitel), ein Stück über den Schriftsteller aus Prag, eines der Highlights. Das Stück des NSD-Absolventen Asif Ali Haider, welches in den Folgejahren zahlreiche Wiederaufführungen erfuhr, erzählt davon, wie der an Tuberkulose erkrankte Kafka im Sanatorium von seiner Verlobten Felice Bauer besucht wird.

Das Eröffnungsstück einer Theatergruppe in New Delhi vor zwei Jahren war eine Hindi-Adaption von Der Prozeß. Natya Vidyas Stück Giraftari (was sich mit Die Verhaftung übersetzen lässt), das das Rama Theatre unter der Regie von Rama Pandey auf die Bühne brachte, verwendet folkoristische indische Traditionen, um ein Bild des Indiens der Gegenwart zu zeichnen – und nutzte dazu Kafkas Kämpfe mit Autorität und Justiz. Das Prism Theatre, eine weitere Theatergruppe aus New Delhi, adaptierte im gleichen Jahr ebenfalls Der Prozeß auf Hindi, wobei sich die Figur Josef K. durch Kumar ersetzt fand, einen Software-Entwickler, der an seinem 30. Geburtstag verhaftet wird.

Der Prozeß wurde außerdem schon 1989 vom gefeierten indischen Dramatiker Mohan Maharishi auf Hindi adaptiert: als Joseph Ka Mukadma (Josephs Gerichtsverhandlung). Vor drei Jahren brachte das populäre Bharat Rang Mahotsav, ein von NSD in New Delhi organisiertes nationales Theaterfestival, Upashya auf die Bühne, ein Stück auf Marathi, das auf Kafkas Geschichte Der Hungerkünstler beruht.

Lokale Reflexionen

Vor vier Jahren ließ der in Pune lebende Theaterregisseur Zameer Badrunnisa Kafka und den indischen Dichter Kabir Das aus dem 15. Jahrhundert einander in einem Stück begegnen: Suno Bhai Kafka (Höre, Bruder Kafka). "Das Stück beschreibt ein fiktives Treffen von Kafka und Kabir," erläutert Badrunnisa, der an der Universität in Pune Deutsch studierte. "Es gab indische spirituelle Geschichten in dem Stück, die mit Kafkas Geschichten korrespondierten,” erklärt er und meint damit jene Gedichte von Kabir, in denen religiöser Obskurantismus und die Ungleichheit der Frauen angeprangert werden.
Mutter (Bishnupriya Mohanty, links) und Tante (Sarojini Mohanty, rechts) des indischen Künstlers Paribartana lesen aus "Rupantara" des berühmten indischen Schriftstellers Kamalakanta Mahapatra. Es ist die Oriya-Übersetzung von Kafkas "Die Verwandlung" und Teil von Paribartanas Kunstprojekts Five Million Incidents am Goethe Institut in New Delhi Mutter (Bishnupriya Mohanty, links) und Tante (Sarojini Mohanty, rechts) des indischen Künstlers Paribartana lesen aus "Rupantara" des berühmten indischen Schriftstellers Kamalakanta Mahapatra. Es ist die Oriya-Übersetzung von Kafkas "Die Verwandlung" und Teil von Paribartanas Kunstprojekts Five Million Incidents am Goethe Institut in New Delhi | © Paribartana Mohanty Im September las der indische Künstler Paribartana Mohanty mit seiner Mutter Bisnupriya Mohanty und seiner Tante Sarojini Mohanty aus Rupantara, der Oriya-Übersetzung von Die Verwandlung des berühmten indischen Schriftstellers Kamalakanta Mahapatra – als Teil seines künstlerischen Projekts Five Million Incidents, einer neuen Ausstellung am Goethe Institut in New Delhi. "Die Verwandlung handelt auch von der Familie," sagt Mohanty über die Lesung von Kafkas Geschichte in Oriya, seiner Muttersprache. In seinem Werk, das hauptsächlich aus Gesprächen mit seiner Familie besteht, geht es um Beziehungen und Nationalismus in der Gesellschaft der Gegenwart. "Wie kann man die Familie als Einheit verstehen, wenn die Menschen durch unterschiedliche Ideologien zusammenfinden?" fragt Mohanty, der auf die Frage eine Antwort durch das existentialistische Dilemma in Die Verwandlung zu geben erhofft.

Der Einfluss auf die Kreativität

Zu den weiteren Übersetzung von Kafkas Werken in die indischen Sprachen zählen außerdem Kafka ki Lokpriya Kahaniyan (2016), eine Sammlung von Geschichten, die von Prabhat Prakashan auf Hindi veröffentlicht wurden; Durgam, eine Malayalam-Übersetzung von Das Schloß; ein E-Book von Die Verwandlung auf Tamil; und eine 1962 als Kaya Kalp erschienene Urdu-Übersetzung der Geschichte von Intizar Husain. Ein weiterer auf Urdu schreibender Autor und Lehrer, der verstorbene Naiyer Masud, ehedem Leiter der Abteilung für Persisch an der Lucknow University in Uttar Pradesh, übersetzte 1978 zwanzig Kurzgeschichten von Kafka. Mukadmo, eine Übersetzung von Der Prozeß in Gujarati, ist für umgerechnet anderthalb Euro erhältlich.

"Es gibt auch noch das Buch Kafka in Ayodhya and Other Stories des in Singapur lebenden indischen Journalisten und Autors Zafar Anjum, der Kafkas fiktive Reise nach Ayodhya beschreibt (wo es 1992 zu einem gewalttätigen Sturm auf eine Moschee aus dem 16. Jahrhundert kam). Kafka hat dabei ein Exemplar von Die Verwandlung im Gepäck," weiß Rosy Singh, die seit fast zwei Jahrzehnten an der Delhi University Deutsch unterrichtete, bevor sie vor drei Jahren ihre gegenwärtige Stelle als Associate Professor an der JNU antrat. 

Im dem 2007 herausgekommenen Film No Smoking des in Mumbai ansässigen unabhängigen Filmemachers und Produzenten Anurag Kashyap taucht eine Figur mit dem Namen K auf. "K. ist ein Kettenraucher, der das Rauchen aufgeben möchte. Er besucht eine Gesundheitsanstalt, die sehr an Kafkas Welt erinnert. Die Überblendung von wirklichen und traumhaften Welten, die Topographie der Wohnblöcke und Slums, die labyrinthische Situation und die Angst der Protagonisten ist sehr kafkaesk,” meint Singh, die ihre Doktorarbeit über den berühmten Autor aus Prag schrieb. "Indien hat keinen Kafka, aber das Land kann seine Werke auf eigene Weise verstehen und sich seine Schriften aneignen,“ fügt sie noch hinzu.

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