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Genderklischees in Bollywood
Zeit für den Wandel

Lipstick under my burkha
Lipstick under my burkha | © The NEWS Minute

Tollkühne Kerle, sanftmütige Schönheiten, schmachtende Blicke – in indischen Filmen sind die Geschlechterrollen meist klar verteilt. Doch immer weniger Inderinnen sind bereit derartige Klischees zu akzeptieren.

Von Martin Jahrfeld

Wer an Indien denkt, denkt an Bollywood. Kein Wirtschaftszweig des Landes wird  so stark mit dem Subkontinent assoziiert wie die in Mumbai ansässige Filmindustrie, die im Jahr mehrere hundert Hindi-Streifen für in- und ausländische Fans produziert. Der kommerzielle Erfolg der Branche ist beeindruckend: Bollywood verkauft am Kinoschalter pro Jahr rund 3,6 Milliarden Tickets, rund eine Milliarde mehr als die US-Konkurrenz in Hollywood.

Doch ungeachtet der Wertschöpfung – der enorme Einfluss der indischen Filmindustrie auf Kultur und Gesellschaft des Landes ist in vielerlei Hinsicht umstritten. Beispiel Hautfarbe: Helden und Heldinnen der meisten Produktionen sind hellhäutig, Inder mit dunkler Hautfarbe werden in vielen Filmen hingegen eher stigmatisiert oder kommen gar nicht erst vor. Auch die zahlreichen sozialen Probleme des Landes werden in den meisten Filmen sorgsam ausgeblendet. Erzählt werden in der Regel Geschichten von Menschen der Mittel- und Oberschicht und des städtischen Milieus. Die Schicksale der Armen und der Landbevölkerung, die die übergroße Mehrheit des Landes bilden, finden hingegen kaum Interesse.

Stereotypen und Klischees

Über eine andere Form der Wirklichkeitsverzerrung konnten Bollywood-Interessierte im Rahmen der Gerechtigkeitswoche der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin etwas erfahren. Die beiden indischen Sozialwissenschaftlerinnen Nishta Madaan und Zarah Udwadia dokumentierten, dass Bollywood auch auf der Ebene der Geschlechterrollen von Stereotypen und Klischees dominiert wird. Dies beginnt bereits bei den ausgeübten Berufen der Filmcharaktere, wie Nishta Madaan vom IBM-Research-Institut in New Delhi auf Basis einer Untersuchung mehrerer hundert Bollywood-Filme darlegte. Während Frauen zumeist Rollen als Hausfrau, Sekretärin und vor allem Lehrerin übernehmen, agieren die Männer eher als Rechtsanwalt, Profi-Sportler oder Top-Manager.

„Den Männern sind die höherwertigen Positionen vorbehalten, Frauen agieren in subalternen Berufsgruppen“, resümiert Madaan. Die charakterlichen Zuschreibungen sind oft nicht weniger klischeehaft. Männliche Rollencharaktere werden mit Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, Aggressivität oder Reichtum ausgestattet, während Frauen in der Regel als schön, duldsam und tolerant erscheinen. Auf das Geschlechterverhalten junger Inder und Inderinnen haben solche Klischees oft einen prägenden Einfluss, etwa bei der Anbahnung von Liebesbeziehungen. Während Männer in ihrem Werben beharrlich bis zur Aufdringlichkeit sein dürfen, haben junge Frauen passiv zu widerstehen – eine Konvention, die die ohnehin vorhandene Ungleichheit der Geschlechter weiter festigt und im indischen Alltag auch zur Legitimation von Gewalt gegen Frauen missbraucht wird.

Differenziertere Rollenbilder?

Bollywood-Produktionen, die derartige Genderklischees bewusst durchbrechen und durch differenziertere Rollenbilder zu ersetzen versuchen, sind bisher die Ausnahme. Laut Zarah Udwaia sind es gerade einmal zwölf Prozent aller Filme, in denen die Hauptrolle von einer aktiven, um Selbstbestimmung kämpfenden Frau besetzt wird. Produktionen, die gängige Stereotypen in Frage stellen, sorgen in Indien gleichwohl für Aufsehen und oft auch wohlwollende Kritiken: So etwa im Fall von „Masaan“, ein Streifen, in dem die sexuelle Beziehung eines jungen Paares durch Denunziation und polizeiliche Verfolgung bedroht wird. Auch „Lipstick under my Burkha“, ein Film, der die sexuellen Erwartungen und Enttäuschungen von vier Frauen unterschiedlicher Altersgruppen und Milieus schildert, stieß auf zahlreichen Festivals auf begeisterte Zustimmung.

Im Kontext konventioneller Bollywood-Produktionen, in denen das Verhältnis der Geschlechter meist romantisch stark verklärt wird, bleibt Sexualität – vor allem in seiner weiblichen Form – hingegen ein heikler, mit vielfachen Tabus belasteter Bereich. Dafür sorgt nicht zuletzt Indiens mächtige Filmaufsichtsbehörde, die sämtliche Produktionen im Hinblick auf religiöse und moralische Unbedenklichkeit untersucht und im Zweifelsfall rigoros zensiert. Auch „Lipstick under my Burkha“ sah sich dem behördlichen Vorwurf ausgesetzt, eine „zu frauenzentrierte Sichtweise“ einzunehmen. Bevor der Film freigegeben wurde, mussten einige Szenen heraus geschnitten werden.

Dass die Filmindustrie des Landes jederzeit Leidenschaften und Emotionen zu wecken vermag, zeigte sich im vergangenen Jahr auch bei Kontroversen um den Film „Padmavati“: Das Historienepos um eine indische Herrscherin und einen muslimischen Eroberer provozierte den Zorn konservativer Kräfte, die in der Handlung eine Verfälschung der historischen Fakten witterten. Kinos, die den Film in ihr Programm heben wollten, wurden mit Brandstiftung bedroht, einer der Kritiker erklärte gar, der Hauptdarstellerin die Nase abschneiden zu wollen.

Der Wandel hat begonnen

Im Kampf gegen die Dominanz des indischen Patriarchats und die daraus resultierenden Bollywood-Klischees setzen Sozialwissenschaftlerinnen wie Nishta Madaan und Zarah Udwadia auf Beharrlichkeit und Dialog: „Männliche Sicht- und Denkweisen in der indischen Filmindustrie zu ändern, ist nicht einfach. Doch der Wandel hat begonnen. In einigen Bereichen ist der Umdenkungsprozess bereits spürbar“, betont Udwadia. Die beiden Inderinnen wollen mit ihrer Arbeit dazu beitragen, diese Veränderung so gut es geht zu beschleunigen. So wollen sie verstärkt mit Drehbuchautoren in Dialog treten und sie davon zu überzeugen, Genderklischees aufzugeben und selbstbewussten Frauen größere Rollen in ihren Drehbüchern zukommen zu lassen. Doch auch in der mächtigen Bürokratie des Landes scheint die Zeit allmählich reif für den Wandel: Der konservative Chef der Filmaufsichtsbehörde wurde inzwischen abgelöst, sein Nachfolger gilt als liberal.

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