Recycling
Schlappen mit BEWUSSTSEIN
Es ist ein tägliches Bild in vielen ländlichen Gegenden Indiens: junge vergnügte Schüler und Schülerinnen auf dem Weg zur Schule. Etwas aber fehlt: das Schuhwerk, um ihre Füße zu schützen. “Es tut richtig weh, wenn ich laufe,” sagt die neunjährige Natisha, Schülerin im ländlichen Maharashtra. “Dornen stechen in meine Fußsohlen.“ Natisha ist eine von vielen jungen Schülern und Schülerinnen, die unter dem Mangel in den dörflichen und halb-städtischen Regionen Indiens leiden. Das heißt: Sie war eine von ihnen.
Heute nämlich läuft Natisha ganz ohne Angst vor Schmerzen oder Verletzungen in ihrer Schule herum, sicher geschützt mit einem Paar knallbunter, recycleter Schlappen. Und das gilt genauso für über 50.000 Kinder in den ländlichen Gegenden des Landes – Dank eines innovativen Start-Ups von zwei jungen Unternehmern: Shriyans Bhandari und Ramesh Dhami.
SCHRITTWEISE ANFÄNGE
“Wir sind aktive Sportler, mein Mitstreiter und ich,” erzählt der 23-jährige Shriyans. “Uns wurde bewusst, dass wir jeder pro Jahr drei bis vier Paar teure Laufschuhe wegschmeißen, wenn sie durchgelaufen und verschlissen sind.” Diese Schuhe, einmal entsorgt, würden in den unermesslichen und immer weiter ansteigenden Müllbergen Indiens landen. Und das sei ein ernsteres Problem als viele meinen.Jährlich landen mehr als 350 Millionen Schuhe weltweit auf dem Müll. Die Mehrheit dieser modischen Artikel aus der letzten Saison hat Mittelsohlen aus Ethylenvinylacetat, das sich in den Deponien erst nach etwas 1000 Jahren endgültig zersetzt. Das heißt, ein Paar alter Sportschuhe überlebt seinen Besitzer um zehn Jahrhunderte – und gar nicht davon zu sprechen, dass der Energieaufwand bei der Produktion jedes einzelnen Schuhs so hoch ist, als ließe man eine 100 Watt-Birne eine Woche lang leuchten. Das Ausmaß des Problems traf Shriyans und Ramesh wie ein Schock. Gemeinsames Nachdenken ließ sie zu einer Lösung kommen. Alles, was es dazu brauchte, war ein Schuhkarton und eine belebte Laufbahn in Mumbai.
VOM SCHUHKARTON ZUM START-UP
Das junge, kreative Duo stellte an einer großen Laufbahn an Mumbai's Mahalaxmi Racecourse einen Sammelbehälter auf und forderte die Läufer auf, ihre alten, langsam durchgelatschten Schuhe zu spenden. Bald schon sammelten sich die ersten Schuhe bereitwilliger Jogger und die beiden hatten das erste Material für ihr Start-Up zusammen.“Die Schuhe sind zum Laufen nicht mehr zu gebrauchen, aber meist ist die Sohle noch völlig in Ordnung,” erklärt Shriyans. Die nächste Aufgabe bestand darin, herausfinden, was man mit den Sohlen anstellen kann. "Ich war 19, als wir mit dem Projekt begannen, und beide wussten wir nichts über Schuhherstellung oder den entsprechenden Industriezweig. Also wandten wir uns an Fachleute, die sich mit der Schuhherstellung auskennen, und ließen uns ein paar Prototypen anfertigen."
Durch ihr Netzwerk in der Hauptstadt von Maharashtra stießen sie auf ihren heutigen Produktionspartner Ram Fashion Exports – eine Firma mit einer Fabrikanlage in Navi Mumbai. Alle gespendeten Schuhe aus dem Sammelbehälter gehen dorthin, werden gesäubert, gewaschen, auseinandergenommen und wiederverwendet. Die Sohlen werden entsprechend zugeschnitten zur Grundlage der Schlappen, das Obermaterial wird zu Riemen umgearbeitet. Bald schon hatte das Duo Sammelbehälter in öffentlichen Parks, Schulen und sogar in Büros und Unternehmen aufgestellt, verringerte damit auch den Müll, der sich auf den Müllbergen in Mumbai wiederfindet. Und so setzten die Schumacher und ihre unternehmerischen Elfen die Start-Up-Idee in Bewegung.
NACHHALTIGKEIT & MASSSTAB
Aus einem aktuellen Bericht der WHO geht hervor, dass anderthalb Milliarden Menschen auf der Welt an Krankheiten leiden, die sich durch das Tragen von geeignetem Schuhwerk vermeiden ließen. Diesen Missstand anzugehen, war die nächste große Aufgabe.Als das Sammeln und die Umarbeitung des Schuhwerks organisiert war, ging es darum, den Vertrieb zu organisieren. Die beiden wählten dazu Dörfer in ganz Maharashtra und Gujarat, und suchten sich NGOs in diesen Gegenden. Durch eigene Erhebungen und Nachforschungen in den Gemeinden fanden sie heraus, wie viele Kinder in welcher Gegend Schuhe brauchten, um so die Hilfslieferungen entsprechend zu organisieren. Man muss es sich vorstellen: Hunderte von Schulkinder, der Größe nach geordnet, die warten. Die sich fragen, zu welcher Schulaufgabe sie gerade abgeordnet werden. Die dann etwas irritiert und aufgeregt sind, wenn sie hören, dass ihre Füße ausgemessen werden sollen. Während die Umrisse ihrer Füße auf Papier gebracht werden, wird eine Liste erstellt. Und dann erhält jedes Kind ein eigenes passendes Paar farbenfroher recycelter GreenSole-Schlappen.
Um so viele Kinder wie möglich zu erreichen, nahm das Duo Kontakt zu Firmen wie Axis Bank, MakeMyTrip, Rolls-Royce, L&T, Justdial und weiteren auf, um sie als Sponsoren zu gewinnen und Unterstützung durch deren CSR-Programme (Corporate Social Responsibility) zu bekommen. Hilfsbedürftige Kinder in den Gemeinden bekommen die Schlappen geschenkt, online kann man sie käuflich erwerben, um so zu helfen, die Kosten zu decken. Die Einnahmen durch Verkäufe werden in Herstellung und Vertrieb reinvestiert, um die Unternehmung auszuweiten.
START-UPS WERDEN GRÜN
Recycling ist seit langem ein Motto, das wir auf unsere T-Shirts drucken lassen, ein Slogan, den wir unseren Kindern in der Schule weitergeben, die Start-Ups mit neuem Geist in ganz Indien machen aus dem ökologischen auch ein ökonomisches Programm. Anders als die gegen den Klimawandel gerichteten Initiativen, die so dringend gebraucht werden, haben dieses grünen Start-Ups auch solide Businesspläne. Eine Firma wie Karma Recycling beispielsweise: ein vier Jahre altes Start-Up, das alte Elektronikgeräte wiederverwendbar macht, um so den Elektroschrott auf den Deponien zu verringern. Protoprint hat sich mit der Vereinigung der Müllsammler in Pune zusammengetan, um Plastikmüll zu sammeln und in Material für 3D-Drucker zu verwandeln.Solche innovativen Lösungen helfen nicht nur der Umwelt, sie können auch dafür sorgen, dass das Finanzkapital in grüne Bereiche investiert wird und in entsprechende Geschäftsmodelle fließt. Und nicht zuletzt können die so entstehenden Produkte, so sie denn bewusst hergestellt werden, den herrschenden Mangel an Ressourcen in einer Gesellschaft der Ungleichheit etwas beheben helfen.