Hip hop im Slum
Vom Street Style zur eigenen Marke
In der Heimat von Bollywood führen Hip Hop und Breakdance eigentlich nur ein Nischendasein. Doch Sunil Rayana ist es gelungen, die Kultur in seinem Viertel populär zu machen. Mit seiner Firma Slumgods hat er in Mumbai jedoch noch größere Pläne.
Von Martin Jahrfeld
Während man als Unternehmensgründer anderswo vor allem Banken und Behörden von seiner Geschäftsidee überzeugen muss, gilt es in Indien noch zwei weitere, ebenso mächtige Institutionen zu gewinnen: Mama und Papa. In einer Gesellschaft, in der immer noch der größte Teil aller Ehen von den Familien des Brautpaares arrangiert werden, geht auch bei Business-Aktivtäten gegen den Willen der Eltern nicht viel. „Die waren zunächst überhaupt nicht begeistert und hätten es lieber gesehen, wenn ich weiter in einer IT-Firma gearbeitet hätte“, berichtet Sunil Rayana, Gründer und Miteigentümer des Mumbaier Reiseveranstalters Slumgods.
Das jedoch kam für den 28jährigen nicht in Frage. Autoritäres Betriebsklima und umfassende Kameraüberwachung am Arbeitsplatz ließen den Ausstieg aus dem Angestelltendasein als unvermeidbar erscheinen. „Es war eine der besten Schritte meines Lebens. Und das obwohl es für uns am Anfang überhaupt nicht gut aussah“, so der gelernte Buchhalter.
Die Idee, zusammen mit zwei Freunden als Veranstalter von Sightseeing-Touren den Weg in die Selbständigkeit zu wagen, ist in einer Stadt wie Mumbai zunächst keine bahnbrechende Idee. Es gibt in der indischen Metropole zahlreiche Anbieter, die Besichtigungstouren für jeden Geschmack und jedes Budget anbieten. Rayanas Verwurzelung im Arbeiterviertel Dharavi, das mit rund eine Million Einwohnen als größter Slum Asiens gilt, sollte sich jedoch als Wettbewerbsvorteil erweisen.
Sogenannte Slum-Touren durch Dharavi werden zwar auch von anderen Veranstaltern angeboten, doch Rayana und seine Partner kennen das Viertel besser als andere, weil sie dort seit Jahren Hip-Hop- und Breakdance-Kurse für Kinder und Jugendliche anbieten. Amerikas Street Art ist die große Leidenschaft der drei jungen Inder. „Die Kinder konnten wir schnell dafür begeistern. Ihre Eltern waren am Anfang zwar misstrauisch, weil diese Kultur in Indien kaum bekannt war.
Aber die Skepsis hat sich längst gelegt. Unsere Hip-Hop- und Breakdance-Kurse sind heute fester Bestandteil des Angebots im Viertel“, berichtet Rayana.
Doch auch jenseits der tanzpädagogischen Arbeit sorgte das Engagement der Gruppe rasch für wachsende Dynamik und Professionalisierung der Szene. In den vergangenen Jahren hat sich ein Milieu etabliert, dem Breakdancer, Beatboxer, Choreographen, Graffiti-Künstler und DJ’ angehören. Viele unter ihnen haben mit internationalen Hip-Hop-Größen zusammen gearbeitet, darunter Künstler aus den USA und aus Japan. Um etwas Geld hinzu zu verdienen und internationale Kontakte zu knüpfen, arbeiten einige der indischen Künstler gleichzeitig auch als Tourguides für Slumdogs.
Zu ihnen zählt Pawan, ein 23jähriger Mann aus Dharawi, der unter dem Künstlernamen 022-Maze im Internet an einer eigenen Hip-Hop-Karriere bastelt. Seine Videos und sein Sprechgesang wirken professionell, doch mehr als den schnellen Erfolg wünscht sich Pawan zunächst vor allem mehr Stabilität und Sicherheit in seinem Leben: „Ich hatte sehr schlechte Zeiten und habe lange nur rumgehangen. Es war sehr schlimm. Durch die Arbeit mit Slumgods und die Energie, die ich durch Hip Hop erlebe, hat sich das alles verändert“, berichtet der junge Künstler.
Der Unternehmensname Slumgods ist eine Anlehnung an das erfolgreiche Filmdrama Slumdog Millionaire, das ebenfalls in Dharavi spielt. Der Film war unter den Bewohnern des Viertels nicht sonderlich populär, weil der Slum darin vor allem als Schauplatz von Armut und Gewalt erscheint, während viele Menschen das Quartier eher als prosperierenden Ort voller wirtschaftlicher Chancen erleben. Für Rayana Sunil und seine Mitstreiter war der Film dennoch ein Glücksfall: Durch die Namensähnlichkeit wurde A. R. Rahm, ein bekannter Musikproduzent und Komponist des Film-Soundtracks, auf das Trio aufmerksam und bot ihnen eine musikalische Zusammenarbeit an. „Dass wir plötzlich für solche berühmten Leute interessant waren, hat uns einen Schub gegeben. Gleichzeitig hat es gezeigt, dass wir mit dem Namen Slumgods absolut richtig liegen“, sagt Rayana.
Der Kontakt mit internationalen Besuchern, den das Sightseeing-Geschäft ermöglicht, gilt auch künftig als unverzichtbar. „Gäste aus aller Welt haben uns nicht nur motiviert, unseren Weg weiter zu gehen, sondern auch mit vielen konkreten Ratschlägen geholfen“, sagt der Gründer. Insbesondere die Unterstützung einer Touristin, die als Managerin einer PR-Agentur in Deutschland arbeitet, sei wichtig gewesen. „Von ihr habe ich viel gelernt, über Marketing und Unternehmensführung, aber auch über Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen“, berichtet Rayana, dessen Ambitionen heute deutlich größer sind als vor vier Jahren. Künftig will er nicht nur Touren für Touristen, sondern unter dem Markennamen „Dharavi Bazar“ auch die in Dharavi produzierten Waren vermarkten.
Es ist eine Mammut-Aufgabe, für die er sich einige Jahre Zeit geben will. Würde es ihm gelingen, wäre das wahrhaft ein Meisterstück. Dharavis Arbeiter und Handwerker produzieren zwar große Mengen an Textilien, Ton- oder Lederwaren für Gross- und Zwischenhändler, haben aber keine Zugriffsrechte auf Vermarktung oder Vertrieb. Eine vor Ort entwickelte Dachmarke würde die Rolle der meist armen Produzenten erheblich verbessern. Doch auch wenn der Weg zu solchen Ziellinien noch weit ist, ein anderes Etappenziel hat der Unternehmensgründer immerhin erreicht: Mama und Papa sind mit ihrem Sohn mehr als zufrieden.