Arktisforschung
Die größte Polarexpedition aller Zeiten
Im September 2019 lässt sich das deutsche Forschungsschiff Polarstern ein Jahr lang im Packeis der Arktis einfrieren. 600 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus 17 Nationen untersuchen dort das nicht mehr ganz so ewige Eis.
Von Wolfgang Mulke
Den Eisbrecher Polarstern bringt so schnell nichts vom Kurs ab. Eisplatten mit einer Dicke von 1,50 Meter durchpflügt das Schiff locker. Ist das Packeis mehrere Meter dick, setzt der Kapitän das deutsche Forschungsschiff mit Anlauf darauf an, bis der Weg durch die arktischen Gewässer frei ist. Sowohl am Südpol als auch am nördlichen Pendant war die Polarstern schon im Einsatz. Nun bereitet sich die Crew auf eine noch nie dagewesene Reise vor.
Die größte Arktisexpedition aller Zeitenstartet im September 2019 im norwegischenTromsø: Die Polarstern lässt sich im Nordpolarmeer ein Jahr lang vom Eis einfrieren und bewegt sich während dieser Zeit nur mit der Drift des Packeises Die Forscher und Forscherinnen an Bord wollen Daten für die Klima- und Umweltforschung ermitteln. Sie überwintern dafür in der monatelangen Polarnacht, in der die Arktis eine noch menschenfeindlichere Umgebung ist als in den hellen Monaten. 600 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus 17 Nationen wechseln sich bei dieser Arbeit ab. Mehrere weitere Eisbrecher und Flugzeuge versorgen das Team; Helikopter, Raupenfahrzeuge und Schneemobile transportieren Menschen und Material.
Kostspielige Forschung in der Kälte
Das Projekt trägt den Namen Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate (MOSAiC), 120 Millionen Euro sind für das einjährige Abenteuer Forschung veranschlagt. Kürzlich erst testeten Fachleute des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven spezielle Arbeitsanzüge. Sie müssen besondere Anforderungen erfüllen, damit ein Sturz ins kalte Wasser die Träger weder erfrieren lässt noch in die Tiefe zieht. Auf einer Eisscholle wollen die Forscher und Forscherinnen Camps aufbauen und ein kilometerweites Netzwerk aus Messstellen installieren.
„Die Erkenntnisse, die aus der MOSAiC-Expedition resultieren, werden unser Wissen über die Arktis auf ein neues Niveau heben“, betont Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. Die Polarerkundung läuft unter deutscher Führung durch das an der Nordsee beheimatete AWI, einen Großteil der Kosten trägt das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Neue Einblicke erhoffen sich die Experten und Expertinnen dabei vor allem für die Entwicklung des Klimas. Diese hänge sehr stark vom „Geschehen in der Wetterküche der Arktis“ ab, so Expeditionsleiter Markus Rex. Wird die Eisschicht dünner, gelangt mehr Wärme aus dem Ozean an die Oberfläche und in die Atmosphäre – was wiederum zur Erwärmung der Arktis beiträgt und somit auch Auswirkungen auf das Klima in Nordamerika, Europa und Asien hat. Die Vorgänge im Ozean, im Meereis und in der Atmosphäre sowie deren Wechselwirkungen besser zu verstehen, ist eines der Ziele der Expedition. „Die Dramatik der Erwärmung in der Arktis wird in den heutigen Klimamodellen nicht in vollem Umfang wiedergegeben und die Unsicherheiten der Klimaprognosen für die Arktis sind enorm“, erklärt Rex.
Konfliktregion Arktis?
Deutschland ist an beiden Polen wissenschaftlich aktiv. Im nördlichsten Dorf der Welt, in Spitzbergen, wird gemeinsam mit Frankreich eine Forschungsstation betrieben. Am Südpol steht seit einem Jahrzehnt die Neumayer-Station III für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bereit. Die Klimaforschung ist zwar der wichtigste Grund für das Engagement, doch die Arktis ist für die Bundesregierung auch von politischem Interesse. Gleich fünf Ministerien sind damit befasst. Es geht um Rohstoffe, die durch eine Eisschmelze in der Zukunft zugänglich werden, um neue Schifffahrtswege, Umweltschutz, wirtschaftliche Chancen und Verteidigungsaspekte.
Auch der für die Auslandsaufklärung zuständige Bundesnachrichtendienst (BND) beobachtet das Geschehen rund um den Nordpol. „Die zu großen Teilen unbewohnbare Arktis hat das Potenzial zu einer Konfliktregion der Zukunft zu werden“, erklärt der Geheimdienst. Aus den Anrainerstaaten gebe es kollidierende Besitzansprüche auf das vermutlich rohstoffreiche Gebiet, die bis heute nicht abschließend geklärt sind. Etwa die Hälfte der 20 Millionen Quadratkilometer umfassenden Arktis liegt auf einem Festlandsockel,auf dessen Gebiet die Küstenstaaten zum Teil souveräne Rechte zur Ausbeutung der Ressourcen haben.
Politisch entscheiden kann Deutschland in der Arktis nichts, das ist vor allem Sache der im arktischen Rat vertretenen direkten und indirekten Anrainerstaaten Russland, Norwegen, USA, Kanada, Dänemark, Schweden, Island und Finnland. Deutschland hat lediglich einen Beobachterstatus und spricht sich hier vor allem für eine umweltverträgliche und nachhaltige Nutzung der Möglichkeiten in dem riesigen Gebiet aus. Wirtschaftlich ist der Polarraum aber ebenfalls von Interesse. Deutsche Unternehmen sind Abnehmer von Öl und Gas aus Norwegen und Russland. Außerdem sind sie über den Maschinenbau auch an der Förderung der Rohstoffe beteiligt.