Jens Wiesner im Gespräch über "Roadmap"
Einfach losgehen und Geschichten einsammeln

Jan Feindt: Roadmap © Jan Feindt (Ausschnitt)

Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Etablierung diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der damaligen Bundesrepublik Deutschland erschien 2005 ein Sammelband mit Comic-Reportagen, in dem jeweils drei Zeichner aus Israel und drei Zeichner aus Deutschland ihre persönlichen Eindrücke des jeweils anderen Landes in Comicform festhielten. Einer von ihnen war der Berliner Illustrator Jan Feindt.

„Roadmap“ war deine erste Arbeit im Bereich Comic-Journalismus. Wie hast du dich darauf vorbereitet?

Joe Sacco, David B.s „Epileptic“ und natürlich auch „Maus“ von Art Spiegelman waren zu der Zeit die Tonangeber im Bereich Comic-Journalismus. Daran habe ich mich natürlich orientiert. Ansonsten habe ich einfach losgelegt und es war dann eher so ein Learning by doing Prozess.
Dieses Jahr kommt mit „Alcamo“ nach „Weisse Wölfe“ von 2015 mittlerweile meine zweite, journalistische Graphic Novel heraus und ich sitze momentan sogar schon an der dritten.
Ich kann also bestätigen, dass es hierbei definitiv einen Lernprozess gibt.

Im Gegensatz zu den anderen deutschen Teilnehmern des Projektes hast du bereits in Israel gelebt und bist mit einer Israelin verheiratet. Wie hat dir dieser Hintergrund geholfen? Und (wie) hat die Recherche für diese Comic-Reportage deine Perspektive auf das Land verändert?

Es war eher umgekehrt herum, dass sich meine Lebensumstände auf die Arbeit ausgewirkt haben. Dass Tim, Jens und ich uns Israel als zweites Land neben Deutschland ausgesucht haben, hatte sicherlich auch damit zu tun, dass ich gerade nach drei Jahren Aufenthalt in Tel Aviv nach Berlin gezogen war und aus der Zeit sämtliche, israelische Zeichnerkontakte hatte.

Der Blick, den du für deine Comic-Reportage gewählt hast, ist der einer dokumentarischen Filmkamera, die dich begleitet. Warum hast du dich für diesen Stil entscheiden und welchen Vorteil hat es dir verschafft, eben nicht mit einer Kamera, sondern mit dem Zeichenstift auf Recherche zu gehen?

Wie oben schon erwähnt haben wir uns alle damals sehr von den Vorbildern Joe Sacco, David B. und Art Spiegelman beeinflussen lassen und das war eben der Stil, der damals en Vogue war.
Recherche ist zumindest bei mir ein großer Teil der Arbeit, so circa ein Drittel macht die aus und ist ausschliesslich Arbeit mit der Kamera. Das Zeichnen folgt dann am Ende nach der Auswertung des Fotomaterials.
 
Deine Zeichnungen wirken sehr realistisch, fast dokumentarisch. Hast du viel mit Fotomaterial gearbeitet, das du vor Ort angefertigt hast oder einfach nur eine besonders gute Erinnerung?
 
Mein realistischer Stil verlangt viel Recherche Vorarbeit. Im Falle von Cargo war ich einfach an den jeweiligen Locations zugegen. Bei anderen Arbeiten kommt oft auch noch die Internet Recherche oder die Arbeit mit Fotomodellen hinzu.
 
Das Hauptthema deiner Reportage, die problematische Ärzteversorgung für Frauen in den Beduinendörfern ist sicher keins, was direkt auf der Hand liegt, wenn man an Israel denkt. Wie bist du darauf gestoßen?

 
Wir hatten uns damals als Maxime gesetzt, einfach loszugehen und Geschichten einzusammeln die uns quasi in die Hände fielen. Tim blieb in Tel Aviv, Jens ging nach Jerusalem und ich hatte mich einfach quer durchs Land treiben lassen. Dabei habe ich dann zufällig diese Frau kennengelernt, die damals für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet hatte und durfte dann netter Weise gleich mitfahren um als stiller Beobachter an ihrem Projekt teilzunehmen.
 
Die journalistische Form der Reportage ist aktuell in Verruf geraten, weil viele Autoren vor allem besonders schöne, dramaturgisch perfekte und metaphernreiche Geschichten erzählen wollten und dafür schon einmal die Fakten zurechtgebogen haben. Bei dir ist es genau anders herum: Du hast fast sklavisch eine dokumentarische Herangehensweise verfolgt, beschreibst chronologisch und betont sachlich, was dir im Laufe deiner Recherche passiert ist, obwohl der Zeichenstift die Möglichkeit böte, der Fantasie freien Lauf zu lassen. Warum?
 
So habe ich es damals wohl gemacht, ja… Mittlerweile habe ich in dem Genre eher an Geschichten gearbeitet, die aufgrund ihres Tathergangs kein Bildmaterial hergegeben haben. Für den Spiegel illustriere ich zum Beispiel häufig Geschichten über Gewaltverbrechen, die tatsächlich so passiert sind, bei denen aber selbstverständlich kein Fotograf anwesend war. Das sind dann zum Beispiel Reportagen über ISIS oder Kindesmisshandlung, etc. Das gleiche Prinzip habe ich auch auf meine letzten beiden journalistischen Graphic Novels angewandt in denen es zum einen um deutsche Neonazis und zum anderen um italienische Auftragskiller der italienischen Mafia ging. In diesen Fällen hilft die gezeichnete Reportage um ein Thema anschaulicher, greifbarer und dadurch auch wieder realistischer werden zu lassen.
 
Es gibt zwei Episoden in deiner Reportage, die losgelöst sind von deinen persönlichen Reiseerlebnissen: der verirrte Wal im Hafen von Haifa und die lyrische Coda am Ende des Comics: zwei Beduinenkinder waschen ein Kamel, darunter legst du die Lyrics eines bekannten israelischen Popsongs. Was hat es mit diesen Szenen auf sich?
 
Der Wal hatte sich zu der Zeit, als ich in Israel recherchiert hatte im Hafen verirrt und da mir auch diese Geschichte quasi in die Hände gefallen ist, habe ich sie mit hinein genommen. Ausserdem fand ich diese Episode ganz schön. Mit dem Lied sowie den Beduinenkindern habe ich einfach meinen Aufenthalt dort ausklingen lassen.
 
Am Ende deiner Reportage zeigst du etwas, was man im Journalismus selten sieht: Deine Recherche im Beduinencamp von Ras Ha Satan läuft ins Leere, dein Versuch, eine Verbindung mit Salem herzustellen, scheitert. Warum war es dir wichtig, diese Szene trotzdem zu zeigen?
 

Du hast ja schon meine sklavische Herangehensweise erwähnt. Vermutlich lag es daran.
 
Es ist jetzt 13 Jahre her, seitdem du bei den Beduinenfrauen in der Negev warst. Warst du noch einmal dort? Weißt du, ob sich ihre Situation mittlerweile verändert hat?
 
Ich war natürlich immer mal wieder im Negev, letztes Jahr zum Beispiel mit meinen Kindern und einem Schlangenexperten aus dem Freundeskreis zum zelten. Der hat uns dann auf einer Nachtwanderung gezeigt, was es dort alles zu sehen gibt, wenn man genau hinguckt. Ich kann jetzt sagen: eine Menge!
 
Bei den Beduinen war ich allerdings kein weiteres Mal.
 

Cargo: Comicrereportagen aus Israel - Deutschland. 8,00 EUR.

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