Barbara Buchholz über "Istanbul mit scharfe Soße?"
Verrücktes Blut und lautes Leben

Alexandra Klobouk: Istanbul mit scharfer Soße | Kleiderfragen © Alexandra Klobouk

Der Titel spielt auf eines der Klischees an, die das Bild von türkischer Kultur in Deutschland prägen: #Istanbul, mit scharfe Soße? Passend dazu reitet auf dem Cover eine in reduziertem Strich gezeichnete junge Frau einen Dönerspieß über schnörkelige Wellen, geradewegs auf die durcheinandergewürfelte Silhouette einer Stadt zu, aus der Kuppeln, Türmchen, Dächer, Minarette windschief emporragen.

Die 1983 geborene Alexandra Klobouk, deren gelegentlich rollendes R ihre bayerische Herkunft verrät, beschloss eines Tages, diesem an ihrem Wohnort Berlin sehr präsenten, aber eben jenseits von Klischees wenig bekannten Kulturkreis auf den Grund zu gehen. Einige der – damals auch in Klobouks Kopf sitzenden – gängigen Vorurteile sind auf den ersten Seiten von #Istanbul, mit scharfe Soße? aufgezeichnet: etwa ein grimmig dreinblickender Mann mit Schnauzbart, der laut rufend Gemüse feilbietet, eine verschleierte Frau, die einem Mann in einigem Abstand folgt und Einkaufstüten schleppt, oder auch die Silhouette von Betonburgen und Palmen hinter Mauern eines Pauschalurlaubsparadieses.

Klobouk, die Visuelle Kommunikation in Berlin-Weißensee studierte, lernte also ein wenig Türkisch und schrieb sich für ein Gastsemester Grafikdesign in Istanbul ein, um sich selbst ein Bild von der Türkei und ihren Menschen zu machen.

Dass daraus viele Bilder wurden, ein ganzes Büchlein gar, habe sich im Nachhinein ergeben: „Ich habe gemerkt, dass es einen Bedarf gibt, diese Geschichte zu erzählen“, sagt Klobouk. Die Zeichnung sei das beste Mittel dafür gewesen: „Weil sie eben ganz offensichtlich subjektiv ist und meine ganz persönlichen Eindrücke wiedergibt und keine Behauptungen aufstellt über eine Kultur, die ich nur ganz kurz kennengelernt habe.“

In dem in Rot und Schwarz auf mattweißem Papier gedruckten Buch schildert Klobouk in Kapiteln zu Stichworten wie „Sprache“, „ein wenig anders“ oder „schön und schwer“ Besonderheiten der türkischen Kultur, wie sie sich ihr darstellten. „Der Gast ist König – und darf nichts machen“ heißt es etwa zu einem Bild, auf dem eine Person einsam in einem riesigen Sofa zu versinken scheint, zu ihren Füßen ein Teppich mit orientalisch verschnörkeltem Muster, während nebenan Leute in einer Küche sehr gesellig schnibbeln, kochen und schwatzen. Eine andere Illustration zeigt das komplexe Unterfangen, mit einem Dolmus genannten Sammeltaxi von A nach B zu gelangen, dessen Fahrer für all das, was er gleichzeitig tun muss, sieben Hände und zwei Köpfe zu benötigen scheint.

Das akustische und sonstige Durcheinander auf Istanbuls Straßen würdigt Klobouk ebenfalls grafisch: Autos, Handwagen, Menschen zu Fuß tummeln sich auf einer Seite, dazwischen stehen senkrecht, waagrecht oder schräg Soundwörter in geschwungenen Schreibschriftbuchstaben: „HÜP HÜP“ tönt es aus einer Motorhaube, „Riiiaaooo“, schreit ein Vogel, „Öyle“ ruft eine Frau aus einem Fenster. „Seid laut, wenn ihr am Leben seid!“, lautet der Untertitel dieses Wimmelbildes.

Wunderschön ist auch die grafische Darstellung blumiger Sprachbilder: Da windet sich eine Buchstabenreihe wie ein wehendes Band aus dem Mund einer Person und bildet die Genesungsformel „Mögest du ein langes Leben haben“ (statt eines schnöden „Gesundheit!“) oder verknoten sich zwei junge Menschen auf einer Bank ineinander und machen der wörtlichen Übersetzung „Die mit dem verrückten Blut“ des türkischen Worts für „Jugendliche“ alle Ehre.

Klobouk hat die Texte in ihrem Buch auf Türkisch übersetzen lassen, sie stehen kursiv direkt neben den deutschen. Sprache ist essentiell für das Verständnis einer Kultur, aber als die deutsche Studentin im Februar 2008 zum ersten Mal nach Istanbul kam, verstand sie kaum Türkisch. Die Einsichten, die sie in den Monaten vor Ort dennoch gewann, verdanke sie ihrer Istanbuler Mitbewohnerin und Freundin Duygu. „Sie konnte anfangs kein Englisch und ich kein Türkisch, wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt. Aber sie hat mich von Anfang an als Teil ihres Lebens integriert, mich mitgenommen mit ihren Freunden und mir alles erklärt“, sagt Klobouk. Duygu sei ihr zu einer Art kulturellen Übersetzerin geworden.

All diese Beobachtungen sind in #Istanbul, mit scharfe Soße? mit viel Humor und liebevoll auf den Punkt gebracht. Die Figuren, Stadtansichten und Interieurs sind stilisiert und gelegentlich cartoonhaft überzeichnet. Wer sich beim Betrachten von Alexandra Klobouks Zeichnungen an Saul Steinbergs modernistische Illustrationen aus dem New Yorker oder Sempés feinen Strich erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Diese beiden Klassiker schätze sie als Vorbilder sehr, sagt Klobuok: „Ich mag wahnsinnig gern deren feinen Humor und die Menschenliebe, das Interesse an anderen Menschen und daran, wie seltsam Menschen sind.“
 

Alexandra Klobouk | Istanbul, mit scharfe Soße? DEUTSCH-TÜRKISCHE AUSGABE. 112 Seiten. 13,5 x 18,5 cm. Klappenbroschur. Fadenheftung. Verlag: ONKEL & ONKEL, 12,95 EUR. Artikelnummer: 978-3-943945-09-6

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