Jens Wiesner über „Reiseskizzen aus Kairo“
Was von der Hoffnung blieb

Barbara Yelin: Kairo © Barbara Yelin (Ausschnitt)

Barbara Yelin war 2011 live dabei, als die Menschen in Ägypten Präsident Mubarak davonjagten und die Hoffnung auf demokratische Reformen vom Tahrir-Platz in die gesamte arabischen Welt ausstrahlte. Acht Jahre später sieht die Bilanz der Proteste düster aus. Das verändert auch die Rezeption ihres Comics.

Will man ein Kunstwerk besonders loben, sagt man gerne, es sei zeitlos. Nehmen wir als Beispiel die Mona Lisa: Seit einem halben Jahrtausend verzückt das wohl bekannteste Ölgemälde dieser Zeit seine Betrachter. Trotzdem schauen wir im Jahre 2019 mit einem völlig anderen Blick auf die lächelnde Dame als die Menschen zu da Vincis Zeiten.
Ganz ähnlich verhält es sich mit den „stillen Bildern aus stürmischen Zeiten“ (Jens Mühling), in denen die Münchner Comiczeichnerin Barbara Yelin Ende 2011 ihre Erlebnisse aus einem Kairo im Umbruch verarbeitet hat. Yelin war damals für mehrere Monate als Leiterin eines Workshops für Comiczeichner*innen im Land und hielt für das Goethe-Institut kleine Vignetten aus ihrem Alltagsleben in einem Reisetagebuch fest. Neben allerlei amüsanten Alltagsgeschichten über defekte Waschmaschinen und mal mehr, mal weniger rasante Autofahrten sprang dem Leser dabei vor allem eins ins Auge: die Hoffnung auf Wandel, auf Freiheit und eine bessere Welt.

Oder war es vielleicht nur das, was wir sehen wollten? Schließlich steckten sie noch ganz frisch in unseren Köpfen, die Bilder von den Tahrir-Protesten, die von Al-Jazeera aus live um die Welt gingen. Und wir Europäer fieberten vor unseren Fernseh- und Computerschirmen mit, irgendwie mittendrin, und doch nicht dabei, und hofften auf einen guten Ausgang der Ereignisse für diese bunten Menschenmasse, die dort unter Einsatz ihres Lebens auf die Straße gegangen war, weil sie genug hatte von Diktatur und Vetternwirtschaft, von Unterdrückung und Maulkörben.

Acht Jahre später liegt die Hoffnung auf einen echten Wandel in Trümmern. Wie viel mehr Leid letztlich aus der Hoffnung nach mehr Freiheit erwachsen ist, aus der Hoffnung nach mehr Demokratie und Selbstbestimmung, ist niederschmetternd.

Die Namen der Despoten haben sich geändert, aber von einer Demokratisierung des Landes kann keine Rede sein. Nachdem die islamistische Muslimbruderschaft unter Mohammed Mursi die ersten freien Präsidentschaftswahlen im Juni 2012 gewonnen hatte, stürzte die Armee nach Massenprotesten ein Jahr später den ungeliebten Staatspräsidenten. Wer sich kritisch über Ägypten oder den jetzigen Machthaber, den damaligen Armeechef Al-Sisi, äußert, muss mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Zu Demonstrationen kommt es laut Auswärtigem Amt seit der Wahl Al-Sisis im Mai 2014 kaum noch. Zudem häufen sich die Terroranschläge, besonders auf koptische Christen und Kirchen.

Das Wissen des Lesers über diese düstere Zukunft begleitet Yelins Zeichnungen, verleiht ihnen eine nachträgliche Schwere und Tragik, die damals zwar schon zu erahnen war, aber jetzt in noch härterem Kontrast steht zu Yelins Stil: Rasant wie die ägyptischen Taxifahrer auf dem Weg zum Tahrir fegt ihr Bleistift über das Papier, drückt mal fest, mal sanft zu, so dass der oft wild und laut erscheinende Kairoer Alltag dem Leser förmlich von den Seiten entgegenspringt. Gleichzeitig kündet der ausgiebige Einsatz von Sprechblasen, die sich in den Panels immer wieder übereinander stapeln und aneinander quetschen, vom unbedingten Bedürfnis der Menschen, endlich frei reden zu können und zu dürfen.

Eine Szene, die die Zeichnerin beschreibt, erscheint im Nachgang aber bereits als Menetekel. Yelin befindet sich als Zuschauerin bei einer Kunstperformance, moderner Tanz, Videos, Musik, Text:
„Die Tänzer nehmen Anlauf, rennen los – und werfen sich mit voller Kraft gegen die Wand. Anfangs wenige, und dann immer mehr, geballt mit Anlauf gegen die Wand! Als wollten sie diese Wand zum Einsturz bringen. Und wieder laufen sie los, und nochmal. Als das Licht angeht, merke ich, dass ich zu atmen vergessen habe. Vielleicht habe ich es noch nie so verstanden wie gerade.“

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Liebe Barbara Yelin, welche Gefühle löst das Kairoer Tagebuch, wenn Sie es jetzt acht Jahre später lesen bzw. an die Zeit zurückdenken, bei Ihnen aus?

Die sechs Wochen in Kairo waren für mich ziemlich eindrucksvoll, und auch sehr komplex. Die ganze Stimmung war einerseits euphorisch, selten aggressiv, aber immer sehr emotional, und dabei wieder ungeheuer ermutigend. Aber es wurde auch für mich als Außenstehende klar, wie schwierig die Situation nach den Revolutionstagen war. Riesige Euphorie, nach diesen Gefühlen der gemeinsamen Stärke, auf der anderen Seite war auch damals schon ziemlich deutlich, dass die Fäden von anderen (Militär, Fundamentalisten) im Hintergrund gezogen wurden.

Für mich persönlich: Ich war überrascht, wie einfach es (für mich) war, dort allein zu wohnen und allein in der Stadt herumzuspazieren (nicht nachts und nur in belebten Gegenden). Auch während meines Aufenthalts kam es zu Unruhen, die hier im "Spiegel“ standen, und viele besorgte Anrufe erreichten mich aus Deutschland. In Kairo vor Ort war es aber einfach auch Alltag, an anderen Stellen der Stadt nichts davon zu merken.

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