Alter: 29 Jahre Herkunft: Bangalore, Indien Wohnort: Karlsruhe, Deutschland Beruf: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Karlsruhe Institut für Technologie
Shanmukhas Leben in Deutschland
Ich kam im Oktober 2019 nach Deutschland, um an der Hochschule Jena den Studiengang „Scientific Instrumentation“ zu absolvieren. Die Tage vor der Abreise verschwimmen in meiner Erinnerung, aber ich weiß noch, wie nervös ich war. Es war meine erste Auslandsreise und ich war der erste in meiner Familie, der einen Pass ausgestellt bekam Es war also sehr aufregend.
Als der Termin näher rückte, wollte ich noch so viel wie möglich in Indien reisen. Denn ich wusste nicht, wann ich zurückkehren würde. Ich lebte damals in Bangalore und arbeitete für Infosys. Ich musste mich von meinen Freunden verabschieden und mein Leben in Indien aufzulösen, fiel mir schwerer als gedacht. Ich wurde krank.
Der Stress der ersten Auslandsreise
Ich musste noch Medikamente nehmen, als ich den Flug antrat. Doch all meine Ängste verflüchtigten sich, sobald ich in Frankfurt gelandet war. Denn ich traf eine Gruppe indischer Student*innen, die denselben Zug nach Jena nahmen und an derselben Hochschule studieren würden. Ich hatte trotzdem ein, zwei Monate lang Heimweh, während ich in Jena meine Zeit zwischen Wohnheim und Seminarraum verbrachte.
Ein Study buddy half mir in den ersten Tagen
Was mir in den Anfangstagen in Deutschland sehr half war, dass die Hochschule mir einen Study Buddy, also einen Studienkollegen zuwies. Er unterstützte mich bei meiner Eingewöhnung und erklärte mir alles, vom Einkauf im Supermarkt über die Benutzung der Trambahn bis hin zu Behördengängen. Es war eine wundervolle Sache und ich bin sehr froh, dass meine Hochschule über dieses Programm für internationale Studenten verfügte.
Deutschland war eines der drei Länder in denen ich studieren wollte. Deutschland war besonders attraktiv, weil das Studium an öffentlichen Hochschulen praktisch kostenlos ist und es Studienangebote auf Englisch gibt. Ich musste Deutschkenntnisse nachweisen, die ich durch freiwillige Kurse an der Hochschule parallel zu meinem Studium vertiefen konnte.
Mein Studentenleben an der Hochschule kam durch die Pandemie zu einem vorzeitigen Ende
Ich besuchte das Wintersemester 2019. Obwohl ich den deutschen Winter zunächst ungewohnt kalt fand, begann ich die Stadt zu erkunden und mich mit der deutschen Lebensweise vertraut zu machen. Doch mein Heimweh machte mir zu schaffen. Deshalb brach ich während der Semesterferien im März 2020 zu einem kurzen Heimaturlaub auf. Doch kurz vor meiner Rückreise nach Deutschland brachte Covid-19 die ganze Welt zum Stillstand und ich saß in Indien fest. Meine Kurse wurden online abgehalten und ich schloss das folgende Semester aus der heimischen Isolation ab.
Der Übergang vom Studium zum Arbeitsumfeld
Als ich 2021 zurückkehrte, war es Zeit für mein Praktikum in Erlangen. In Deutschland war man noch immer vorsichtig wegen Covid und der Lockdown dauerte an. Die Firma, in der ich mein Praktikum absolvierte, ließ ihre Mitarbeiter*innen von zu Hause aus arbeiten. Doch als Praktikant musste ich zur Arbeit kommen, denn sie konnten mir keinen Laptop stellen. Die deutsche Arbeitskultur lernte ich schließlich kennen, als ich nach Dresden zog, um für meine Masterarbeit bei einer anderen Firma zu arbeiten.
Ich hatte gerade zwei Semester an der Hochschule absolviert, als ich mein Praktikum und dann eine für meine Abschlussarbeit relevante Stelle antrat. Das fand ich faszinierend an meinem Masterstudiengang in Deutschland. Es ist leicht, Arbeit in der Technologiebranche zu finden, denn die Arbeitgeber suchen nach frischen Talenten und Studenten sind beliebt. Sie verdienen ein geringes, aber zum Leben ausreichendes Gehalt und können aufgrund von Regularien nur eine bestimmte Stundenzahl arbeiten.
Win-win für beide Seiten
Ich hielt diese temporäre Stelle für einen beiderseitigen Gewinn, denn ich konnte so noch während des Studiums meinen Lebensunterhalt verdienen. Die Anwesenheit bei den Lehrveranstaltungen an der Hochschule ist nicht verpflichtend. Wer auf eigene Faust lernt, kann auch in Vollzeit arbeiten. Die Professor*innen, mit denen ich zu tun hatte, waren alle sehr freundlich und halfen gern Student*innen, die sich in einem völlig neuen Umfeld befinden.
Zuerst stumm, dann frei: wie das Deutschlernen mich beflügelt hat
Außerhalb der Hochschule fiel mir die Gewöhnung an das Leben in Jena in den ersten Monaten schwer, denn meine Deutschkenntnisse waren beschränkt. Um nicht unangenehm aufzufallen isolierte ich mich und verbrachte meine Tage zwischen Lehrveranstaltungen und Wohnheim. Irgendwann lernte ich die Sprache und fand das Selbstvertrauen, Speisekarten zu lesen und in Restaurants Essen zu bestellen oder mit Verkäufern in Supermärkten und Bäckereien zu sprechen. Mein Deutsch ist längst nicht perfekt und ich lerne weiter, aber es ist viel besser als bei meiner Ankunft in Deutschland.
Das Wandern war in Deutschland meine Rettung
Um mein Heimweh zu überwinden, begann ich die Wanderwege rund um die Städte, in denen ich lebte, zu erkunden. Ich spürte in der Natur eine tiefe Verbindung zu diesem Land. Mir gefällt, dass es von deutschen Städten aus nie weit zu einem Wanderweg ist. Ich bin rund um Jena und Dresden gewandert und führe diese Gewohnheit nun an meinem neuen Wohnort in Karlsruhe fort. Ich fand Gleichgesinnte auf Facebook und anderen Social-Media-Plattformen. Das Wandern hat mich der Natur in Deutschland nahegebracht.
Nachdem ich am Ende meines Studiums meine Masterarbeit eingereicht hatte, fand ich eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Karlsruher Institut für Technologie in Süddeutschland. Obwohl ich in Vollzeit arbeite, hoffe ich zugleich am selben Institut meine Promotion zu verfolgen.
Schnellfragerunde mit Shanmukha
Wie bleibst du mit der indischen Gemeinde in Deutschland in Verbindung?
Durch meine indischen Kollegen, die mich zu Feiertagen und anderen Gelegenheiten nach Hause einladen.
Was würdest du jemandem raten, der zum Studium oder für die Arbeit nach Deutschland zieht?
Anfangs ist es nicht einfach, also sei darauf vorbereitet. Du wirst deine Freunde vermissen und die vertraute Umgebung. Sitze nicht zu Hause herum, gehe hinaus und erkunde die Stadt. So eröffnet sich dir eine neue Welt.
Wie würdest du Deutschland mit drei Worten beschreiben?
Friedlich, Autobahn und Natur.
Was gefällt dir am besten am Leben in Deutschland und was vermisst du am meisten in Indien?
Mir gefällt, wie den meisten Deutschen, dass es auf der Autobahn keine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt. Ich verwende oft Carsharing, so komme ich einfach herum. Ich liebe die Natur hier und die Möglichkeit zu Wandern und im Freien zu sein. An Indien vermisse ich das Gewohnte, das Verwurzeltsein, das Essen, meine Familie, meine Freunde und mein Fahrrad.
ÜBER DEN AUTOR
Prathap Nair ist freiberuflicher Autor in Düsseldorf, Deutschland.