In ihren oft ortsbezogenen Installationen, Videos und Videoinstallationen untersucht Anja Kempe das Unbekannte des Raums und das Potenzial von Bewegung. Sie entwickelt architektonische Erweiterungen, die dem wirklichen Raum eine Fiktion desselben hinzufügen. Die dynamischen Bilder sind raumgreifende Choreografien für den Betrachter. Ihre jüngste Arbeit dreht sich um den Körper selbst: Die kollektive Erinnerung an Bewegungen trifft auf individuelles Körperwissen. Zuletzt hat sie an diversen Kooperationen im Bereich Tanz, Performance und Dramaturgie teilgenommen.
Anja Kempe (geb. 1973) hat an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und an der Kunsthochschule für Medien in Köln studiert. In Köln hat sie zusammen mit Robert Kraiss und Tina Tonagel den Kunstraum Maxim betrieben. Seit drei Jahren entwickelt sie mit einer Gruppe von Künstlern, Architekten, Handwerkern und Geisteswissenschaftlern im ZENTRALWERK Kultur- und Wohngenossenschaft Dresden eG einen neuen unabhängigen Ort für Kultur in Dresden, wo sie lebt und arbeitet. In Leipzig lehrt sie im Fachbereich Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Ihre Arbeiten werden international ausgestellt.
Während des Aufenthalts im Pepper House in Kochi möchte sie verschiedene Stränge ihrer Arbeit miteinander verknüpfen. Da ihre Installationen sich aus den gegebenen räumlichen Bedingungen entwickeln, bietet der architektonische Wandel in Kochi und die damit verbundenen Spannungen ein willkommenes Feld.
Abschlussbericht
Behütetes Ankommen in Bangalore. Die Unterkunft in 1ShantiRoad ist sehr angenehm. Suresh ist ein toller Gastgeber. Ein offenes Haus, in dem Künstler ein- und ausgehen. Bei einem Getränk auf der Dachterrasse werden Ideen gesponnen. Suresh zeigt uns tagsüber Orte in der Stadt, die wir alleine nicht ohne weiteres gefunden hätten.
Das Programm, das Christoph und Maureen mit uns machen, ist sehr reichhaltig. Wir lernen die Stadt und ihre Kulturszene kennen.
Dann fliege ich nach Kochi. Erstmal vergleichsweise auf mich gestellt, versuche ich an die neue Umgebung anzudocken. Die Unterkunft in Malabar-Escape ist unschlagbar. Die Klimaanlage in meinem Zimmer rettet mich. Hier kann ich trotz der Hitze klare Gedanken fassen. Das schöne Pepper House bietet sehr viel Platz und durch die Lage am Meer auch immer mal eine frische Brise. Zur Zeit findet dort ein Summercamp für Kinder statt, das von Kunjikuttan und Chitra geleitet wird. Die Kinder können malen, zeichnen, modellieren oder musizieren. Das ganze Gelände brummt von einer ausgelassenen Geschäftigkeit. Vipin, der in der Bibliothek arbeitet, ist sehr hilfsbereit und auch in die Arbeit mit den Kindern involviert.
Wie ist meine Rolle in dieser Umgebung? Als Europäerin, als Frau, als Künstlerin? Diese Frage beschäftigt mich während der ganzen Zeit.
Um mich dem neuen Ort zu nähern, nehme ich die Hängematte zu Hilfe, die mir eine Freundin mit den Worten mitgegeben hat: „Wenn ich irgendwo neu ankomme, hänge ich immer erstmal die Hängematte auf.“
Mit der Hängematte gehe ich durch Fort Kochi und suche Orte, an denen ich sie aufhängen kann. Ich stelle die Videokamera auf und filme, wie ich auf dem Sportplatz im Tor, am Wassertank zwischen den Säulen, am Fischmarkt oder auf dem Spielplatz in einem kaputten Spielgerüst die Hängematte aufhänge und mich für eine Weile hineinlege. Nach und nach verliere ich die Scheu. Fühle mich immer wohler. Handele selbstverständlicher. Das Verhältnis zum Ort ändert sich in gleicher Weise. Wenn ich am Anfang die Hängematte als Schutz oder Versteck gesehen habe, ist sie am Ende eine Möglichkeit, mich an den Ort anzuschmiegen.
Dann der tolle Bambus. Die Gerüste aus Bambus haben mich schon immer fasziniert. Nun in Kochi sehe ich die Möglichkeit, selbst zu lernen wie man mit Bambus arbeiten kann. Ich besorge mir lange Bambusstangen und der Mann, der sie bringt, kann mir sogar zeigen, wie man daraus ein Gerüst baut. Ein toller Tag. Es entsteht ein „weiches“ Gerüst, das weniger tragende Funktion hat, als dass es sich an den Raum anlehnt. Für den zweiten Teil der Installation übertrage ich die Struktur des Gerüstes als Schatten mit Steinpuder auf den Boden.
Mein Wunsch, mit einem Holzbildhauer zu arbeiten, wird wahr: In Trissur lerne ich Raju Mash kennen. Ein Meister seiner Fachs. Er hat schon zahlreiche beeindruckende Tempelfiguren gestaltet. Eine Woche arbeiten wir zusammen an einer Holzskulptur. Eine tragende, haltende Hand wird ebenfalls Teil meiner Installation.
Ich gebe einen Workshop im Summercamp. Mit den Kindern geht es um die Wahrnehmung von Bewegung, sie werden Teil eines Videos und wir haben zusammen viel Spaß.
Im Pepper House lerne ich einige Künstler kennen. Gehe mit ihnen Essen oder auch mal ein Bier trinken. Nach und nach habe ich das Gefühl etwas Einblick in ihre Lebensrealität zu bekommen. Ein Abend im Atelier: Wir sprechen über künstlerische Arbeiten, hören Musik und essen zusammen. Da fällt der Strom aus, der Ventilator stoppt und es ist stockdunkel. Innerhalb von Sekunden ist es drückend heiß. Da fangen die anderen an zu singen: Indischer Gesang mehrstimmig - ein bezaubernder Moment.
Am nächsten Tag fängt es endlich an zu regnen. Alle haben sehnsüchtig darauf gewartet. Es schüttet in Kübeln, alle Leute auf der Straße strahlen sich gegenseitig an. Wir lassen den Regen auf uns niederprasseln und sind glücklich.
Nach fünf Wochen ringe ich um jeden Tag, den ich länger in Kochi bleiben kann.
Aber auch die letzten Tage in Bangalore sind gut. Ich sehe, was die anderen in den vergangenen Wochen entwickelt haben und kann die Dokumentation meiner Arbeit im Goethe-Institut zeigen.
Danke Robin Detje für den Begriff „Inner Grid“ im Bezug auf meine Arbeit. Vor meinem Aufenthalt habe ich mich gefragt, ob unser inneres Muster wohl von einem Kunstwerk berührt oder sogar bewegt werden kann. Meine Arbeit im Pepper House in Kochi hatte diesen Namen.
Ob ein Kunstwerk das „Inner Grid“ beeindrucken kann, kann ich immer noch nicht sagen. Diese Residency kann es.