Die frühen Jahre eignen sich besonders gut zum Sprachenlernen. Doch in vielen Einrichtungen lassen die Rahmenbedingungen noch zu wünschen übrig.
In allen Teilen der Welt gibt es Kindergärten und Kindertageseinrichtungen, kurz Kitas, in denen Kinder vor dem Schuleintritt Deutsch als zweite oder dritte Sprache lernen können. Einige kommen ohnehin aus deutschen Familien, andere besuchen einen deutschsprachigen Kindergarten, weil sie zum Beispiel später einmal in einem deutschsprachigen Land studieren sollen.
Von den rund drei Millionen Kindern, die in Deutschland Tageseinrichtungen besuchen und noch nicht zur Schule gehen, sprechen laut Angaben des Statistischen Bundesamts rund 550.000, circa 18 Prozent, in ihren Familien vorrangig eine andere Sprache als Deutsch (Stand: März 2016). In Großstädten wie Berlin oder Hamburg liegt der Anteil bei knapp 30 Prozent. Gerade hier ist der Bedarf für eine frühe Sprachförderung meist hoch.
Sprachbad oder Förderstunden
Wissenschaftlich belegt ist inzwischen, dass das kindliche Gehirn auf eine mehrsprachige Sprachentwicklung eingestellt ist und deshalb eine zweite oder auch dritte Sprache schnell aufnehmen kann. Was Kinder dazu benötigen, sind „sprechende Vorbilder.“ Das sogenannte Immersionsmodell, das auch die Basis für die Arbeit vieler bilingualer Kitas darstellt, wird häufig als Königsweg zur Mehrsprachigkeit dargestellt. Bei der Immersion (auf Deutsch: Eintauchen) wird in der Kindertagesstätte die zu erlernende Sprache konsequent im gesamten Tagesablauf und für alle Anlässe neben der Muttersprache verwendet. „Die Kinder tauchen im Alltag in ein Sprachbad ein: Sie bekommen im Optimalfall in beiden Sprachen ein qualitativ und quantitativ reichhaltiges Sprachangebot, indem die Erwachsen ihre eigenen Handlungen sprachlich begleiten und viel mit den Kindern reden. So lernen sie, verschiedene Alltagssituationen sprachlich zu bewältigen“, erklärt die Germanistikprofessorin Petra Gretsch von der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Doch die Anzahl der bilingualen Kitas in Deutschland ist mit rund 1.000 (Stand 2014) verschwindend gering, auch wenn sie sich laut Angaben des Vereins Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen (FMKS e.V.) in den Jahren von 2004 bis 2014 verdreifacht hat.
Wenn Kinder in einer herkömmlichen Kita im Ausland Deutsch als Fremdsprache lernen, passiert das gewöhnlich in zeitlich begrenzten Sprachfördereinheiten. Dabei werden sie mit Liedern, Reimen, Erzählungen und kleinen Sprachroutinen an die neue Sprache herangeführt. Die Kinder sollen sie reproduzieren und imitieren, um sprachsensibler zu werden und Freude am Sprachenlernen zu entwickeln.
Personal und Materialien sind wichtig
Sowohl der Immersionsansatz als auch der klassische Fremdsprachenerwerb in Fördereinheiten gehen davon aus, dass neben der deutschsprachigen Erzieherin pädagogisches Personal zur Verfügung steht, das die zweite Sprache beherrscht. Die als „native speaker“ eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sprechen mit den Kindern in der zweiten Sprache, wobei sie auch die Kultur des Landes vermitteln. Während sie beim Immersionsmodell immer anwesend sind, kommen sie beim klassischen Fremdsprachenlernen in der Regel nur stundenweise mit den Kindern zusammen. Außerdem sollten Materialien wie etwa Kinderbücher in beiden Sprachen vorhanden sein.
Die meisten Einrichtungen in Deutschland sind nicht auf die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache ausgerichtet. Sie werden aber von vielen Kindern besucht, die Deutsch als Zweitsprache lernen. Anders als in den Konzepten der Immersion oder des frühen Fremdsprachenunterrichts vorgesehen, werden diese Kinder in ihren Familien- oder Herkunftssprachen institutionell in der Regel überhaupt nicht gefördert – was auch den Zweitspracherwerb erschweren kann.
Sprachförderung digital und spielerisch
Die persönliche Ansprache lässt sich wohl auch nicht durch den Computer oder das Smartphone ersetzen. Dennoch wird die Verwendung digitaler Medien zur Sprachförderung in der Kita diskutiert. Der gemeinnützige Verein Zentrum für kindliche Mehrsprachigkeit etwa bietet seine Lernmaterialien KIKUS (Kinder in Kulturen und Sprachen) auch in digitaler Form an. „Mithilfe der Sprach-Lern-Software lassen sich unsere Bildkarten an die Wand projizieren und sogar anhören, was für größere Lerngruppen – zum Beispiel in Flüchtlingsunterkünften – interessant ist“, erklärt Mitarbeiterin Eva Götz. Außerdem sei es motivierend, wenn sie am PC oder Laptop arbeiten können. Und die Eltern können mitlernen. Seit der Veröffentlichung der ersten Version von KIKUS digital 2012 haben sich bereits über 16.000 Nutzer in über sechzig Ländern registriert, berichtet Eva Götz. Mittlerweile ist eine achtsprachige Version verfügbar.
Germanistik-Professorin Heidi Rösch von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe setzt bei der Deutschförderung auf eine Mischung der Methoden: „Man kann Themen wie den Satzbau oder die Verwendung von Flexionen auch mit jüngeren Vorschulkindern systematisch einführen. Das sollte spielerisch passieren. Beim Üben der Präpositionen – etwa „auf“ – könnte man also auf einen Tisch klettern. Darüber hinaus sollte man mit den Kindern auch Bilderbücher ansehen und zum Beispiel über den Zoobesuch sprechen, also immersiv arbeiten.“ Die Expertin betont zudem die Bedeutung von sprachbewusstem pädagogischen Personal. „Sie sollten eine hohe Affinität zu Sprache haben, zum Beispiel selbst eine Fremdsprache gelernt und dies auch reflektiert haben.“ Und es gelte, in den Kitas sprachintensive Situationen zu schaffen: „Die Erzieherin sollte die Sprache als zentrales Kommunikationsmedium nutzen und die Kinder motivieren, sie aktiv und kreativ zu gebrauchen.“ Eine gezielte Förderung der Mehrsprachigkeit bereits im Vorschulalter ist in vielerlei Hinsicht wichtig: Sie kann das Selbstwert- und Zugehörigkeitsgefühl, die Schulleistungen, auf lange Sicht auch die Berufs- und Zukunftsaussicht verbessern.