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Bücherkolumne
Auserlesen! Nr. 5

„Was kann ich denn mal lesen?“ Ob sprachgewandte Deutschlehrende oder lesehungrige Deutschlernende: die Frage stellt sich allen, die geeignete deutschsprachige Lektüre suchen. Spannend soll das richtige Buch sein, gut geschrieben und interessant. Aber wie findet man sich zurecht im Bücherwald? Auserlesen! hilft mit einer bunten, eben auserlesenen Mischung!

Von Karen-Susan Fessel

Kindisches und Verspieltes

Robert Gernhard - Gedichte © S. Fischer Verlag. Robert Gernhardt: Gesammelte Gedichte 1954 – 2006 

Man kann klein anfangen und sich eins der günstigen Reclamhefte mit ausgewählten Gedichten des überaus produktiven Autors kaufen, aber ich empfehle gleich die große Portion – denn Gernhardts höchst vergnügliche und zugleich überaus weise Gedichte bieten einen wunderbaren Querschnitt durch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Ob er nun den ahnungslosen Touristen im Ausland aufs Korn nimmt oder sich über verworrene Liebesdinge auslässt, Gernhardt gelingt es immer, das Komische hinter dem Ernsthaften einzufangen und das Leben damit von einer heiteren Seite zu betrachten. Für Anfänger und Fortgeschrittene Gedichteleser*innen gleichermaßen geeignet! 
 

Junge Welten

Nessensohn © Ueberreuter Verlag Hansjörg Nessensohn: Und dieses verdammte Leben geht einfach weiter
Jonas ist das Schlimmste passiert, was er sich hatte vorstellen können, und das am selben Tag, an dem er das Schönste erlebt hat, was er sich hatte vorstellen können … Zwei Jahre später fährt er zurück an den Ort, an dem seine vierjährige Schwester Lina verschwand, weil er Besseres zu tun hatte, als auf sie aufzupassen. Aber zum Glück haben ihn Sunny und Timon im Blick, die ihn unterwegs aufgabeln und beide ihrerseits etwas voreinander verbergen. Nessensohns rasantes und vielschichtiges Roadmovie schraubt sich unaufhaltsam auf ein höchst brisantes Ende hin zu. Ein wirklich packendes Jugendbuch-Debüt, aber nicht für schwache Nerven geeignet. / 
 

Deutsche Geschichte(n)

Stanisic Herkunft © Luchterhand Literaturverlag Saša Stanišić: Herkunft 

Mit 13 aus Bosnien nach Deutschland geflüchtet, wusste der neue Hoffnungsträger der deutschen Literatur schon früh, dass er Schriftsteller werden wollte – und auf diesem Zukunftswunsch gründete seinerzeit auch seine langfristige Aufenthaltsgenehmigung. Seitdem ist Stasinic durch mehrere mehrfach ausgezeichnete Werke aufgefallen; auch Herkunft, eine Art fragmentarischer Autobiografie, steht seit seinem Erscheinen auf den Bestsellerlisten. Zwar fehlt mir ein wenig der rote Faden in der Geschichte, aber eigentlich macht das nichts, denn im Grunde ist „Herkunft“ nicht nur eine Erinnerung an die Jugendzeit des Autors in Bosnien und Deutschland, sondern vor allem eine liebevolle Hommage an seine Großmutter– die wiederum die Fäden fest in der Hand hielt, was ihre Familie anging. 
 

Jetzt und hier – Deutschland heute

Bronsky - Der Zopf meiner Großmutter © Kiepenheuer & Witsch Alina Bronsky: Der Zopf meiner Großmutter 

Max zieht als Spätaussiedler mit seinen Großeltern nach Deutschland, wo sich der Großvater sogleich in eine junge Pianistin versucht, die sich ebenfalls aus dem Flüchtlingsheim in eine bessere Zukunft herauskämpfen möchte. Wie das mit großen Mühen gelingt und wie aus der schrägen Truppe ein weiter anwachsende Patchworkfamilie wird und welche Rolle die merkwürdige Großmutter dabei spielt, das erzählt Alina Bronsky in ihrem fabelhaft fabulierten neuesten Schelmenroman. Wer auf realistische Einsichten aus einer sonst verschlossenen Parallelgesellschaft hofft, bleibt irritiert zurück, aber wer sich auf Bronskys fulminanten Erzählreigen einlässt, der wird voll auf seine Kosten kommen. 
 

Lebenswege

Jayrôme C. Robinet - Mein Weg © Hanser Verlag Jayrôme C. Robinet: Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund

Robinet, 1977 in Frankreich geboren, zieht nach dem Studium nach Berlin. Da heißt er noch Celine und lebt als Frau, aber bald ändert sich all das: seine „Transition“ – die Reise in ein Leben als Mann - beginnt. Je mehr die männlichen Hormone seinen Körper verändern, desto stärker ändert sich auch die Art, wie die frühere Frau mit den dunklen Augen und Locken nun von den Mitmenschen wahrgenommen wird. Und wie der neue Mann selbst sich verhält: Wie lange darfst du in der Umkleide anderen Männern in die Augen sehen, ohne als schwul zu gelten – oder eins auf die Nase zu kriegen? Wie kommt es, dass Frauen nachts auf der Straße plötzlich die Straßenseite wechseln, wenn du ihnen entgegenkommst? Scharfsinnig und schonungslos seziert Robinet seine Eigenwirkung und die sozialen Verhältnisse, detailliert und mitreißend erzählt er von den körperlichen und seelischen Veränderungen einer weißen Frau, die mehr und mehr als junger Mann mit Migrationshintergrund gesehen und gelesen wird – mit allen Vor- und Nachteilen. Das ist spannend, nicht immer sympathisch und manchmal auch anstrengend, aber immer faszinierend und erhellend.

Achtung, Hochspannung!

Leweir - Mersand © konkursbuch Verlag Litt Leweir: Mersand

Ein vielversprechender Auftrag kommt Loser Jojo gerade recht: Ein Koffer soll im Nachtzug transportiert werden. Doch etwas geht schief – am anderen Morgen ist Jojos Geliebte tot und er selbst muss fliehen … mit dem Geldkoffer natürlich. Die turbulente Reise geht quer durch Europa bis zur Sahara; doch wo immer auch Jojo vorbeikommt, sterben die Menschen in seinem Umfeld wie Fliegen. Und was hat es mit den geheimnisvollen Personen auf sich, die Jojo, der sich nun Mersand nennt, ständig über den Weg laufen? Litt Leweir erzählt in ihrem vierten Krimi in verknappter Sprache eine komplexe Geschichte von Gewalt, Tod und Sehnsucht, die zugleich Spaß macht, nicht zuletzt dank der fantasievollen Verwicklungen und der verwirrten Hauptfigur, der man nichts Böses wünschen möchte … Ein ungewöhnliches Setting, ein interessanter Plot und schräge Figuren, was will man mehr?




 

Auserlesen Nr. 5

  • Gernhardt, Robert: Gesammelte Gedichte 1954 – 2006 (2008). Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag
  • Nessensohn, Hansjörg: Und dieses verdammte Leben geht einfach weiter (2019). Berlin: Ueberreuter. 
  • Stanišić, Saša: Herkunft (2019). München: Luchterhand Literaturverlag. Diesen Titel finden SIe als Hörbuch in der Onleihe
  • Bronsky, Alina: Der Zopf meiner Großmutter (2019). Köln: Kiepenheuer & Witsch
  • Robinet, Jayrôme C. (2019): Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund. Berlin: Hanser.  
  • Leweir, Litt (2017): Mersand. Tübingen: konkursbuch Verlag Claudia Gehrke 
Alle Bücher sind auch als E-Books erhältlich, teilweise auch über die Onleihe des Goethe Institutes.
 

 

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