Kafkaeske Welten
Kafka in der indischen Kunst und Literatur

Kafka in the Aquarium (2003) (Acryl auf Leinwand 36 x 48 Zoll)
Kafka in the Aquarium (2003) (Acryl auf Leinwand 36 x 48 Zoll) | © Dilip Ranade

Die Einflüsse von Franz Kafka reichen über die Literatur hinaus und finden weltweit in der bildenden Kunst, im Film und in der Architektur große Resonanz. Indische Künstler*innen wie Dilip Ranade, Anurag Kashyap, Rohit Raj Mehndiratta und Zafar Anjum lassen sich von Kafka inspirieren.

Von Rosy Singh

Der aus Mumbai stammende Künstler Dilip Ranade sagt von sich, er sei ein großer Verehrer von Kafka. Von 1971 bis 2015 arbeitete Ranade als Künstler und Kurator am staatlichen Shivaji Chhatrapati Museum in Mumbai. Die Arbeit mit Tieren (Taxidermie und Diorama) in der naturgeschichtlichen Abteilung des Museums führte bei dem jungen Ranade zu einer lebenslangen Faszination für Tiere. Sowohl Kafkas als auch Ranades Welten wimmeln von Tieren, die als Protagonisten fungieren. Was Ranade darüber hinaus mit Kafka verbindet, ist die Überzeugung, dass die menschliche Existenz grundsätzlich absurd sei. Die ausweglose und hoffnungslose existenzielle Situation, in der sich die Figuren bei Kafka häufig befinden, werden auch von Ranade thematisiert.

Kunst, Kafka und die Absurdität des Lebens

Auf dem Bild Kafka in the Aquarium wird Kafka gezeigt, wie er in einem Aquarium vor einem riesigen Fisch steht, der nach Luft zu schnappen scheint. In der Komposition schaut Kafka sehr ernst nach rechts, während der Fisch in die andere Richtung schwimmt. Ein zweiter Fisch, zumindest der untere Teil davon, ist in der oberen Hälfte des Bildes zu sehen. Einen dritten, schwarzen Fisch, bemerkt man erst, wenn man das Bild genau anschaut, denn er verschmilzt mit dem dunklen Anzug der Figur. Die ungewöhnliche Kombination von Fischen und Kafka erzeugt ein unheimliches Gesamtbild, das durch die blaue Farbe der Fische und die blaue Spiegelung auf Kafkas Gesicht noch verstärkt wird. Ist das ein Traumbild? Auch Kakas Werke, zum Beispiel Die Verwandlung und Der Process, erzielen bekanntlich eine nahtlose Fusion des Traumes und der Realität, die auch in dem Porträt wunderschön integriert wird.
Das Bild: "Franz Kafkas fiktionale Logik" (links) und Berliner Porträt, Kafka 40 Jahre alt (rechts). © Links - © Dilip Ranade  Franz Kafka’s Fictional Logic (2003) (Acryl auf Leinwand 48 x 38 Zoll) Rechts - Berliner Portrait, Kafka 40 Jahre alt | © Verlag Klaus Wagenbach Das Bild: "Franz Kafkas fiktionale Logik" (links) und Berliner Porträt, Kafka 40 Jahre alt (rechts). Links - © Dilip Ranade Franz Kafka’s Fictional Logic (2003) (Acryl auf Leinwand 48 x 38 Zoll) Rechts - Berliner Portrait, Kafka 40 Jahre alt | © Verlag Klaus Wagenbach
Ein anderes Bild von Ranade trägt den Titel Franz Kafka’s Fictional Logic. Es zeigt Kafka in einem puderrosa Mantel vor einem noch etwas helleren rosa Hintergrund. In seinem Mantel und im Hintergrund sind große dunkle Löcher, durch die ein fast durchsichtiges Band verläuft, das zwischen weiß und der rosaroten Farbe des Blutes wechselt. Durch das Band und die auffälligen Löcher wird eine künstliche Verbindung der inneren Welt eines Menschen mit der äußeren Welt angedeutet. Die Frage ist, ob die Innenwelt mit der Außenwelt im Einklang sei. Laut Ranade folgt die absurde Welt Kafkas ihrer eigenen Logik.

Die beiden obigen Porträts, die 2003 entstanden sind, bilden eine Einheit. Ranade verwendet für diese Werke die letzte bekannte fotografische Aufnahme von Kafka von 1923/24. Auch die gestreifte Krawatte ist identisch. Das historische Foto wird im Bild von anderen Objekten umgeben und überlagert, wodurch neue visuelle Kompositionen entstehen, die als Fotomontagen bezeichnet werden können.
Methamorph (2018) Feder und Tinte auf Archivpapier 11 "x17" © Collage © Rohit Raj Mehndiratta Methamorph (2018) Feder und Tinte auf Archivpapier 11 "x17" Collage © Rohit Raj Mehndiratta
Bei Rohit Raj Mehndiratta, einem erklärten Fan von Kafka und Sigmund Freud, steht die Faszination für das „Unbewusste“ im Mittelpunkt. Mit seiner Tuschezeichnung Metamorph, die von Kafkas Erzählung Die Verwandlung inspiriert ist, hat der Künstler dem Schriftsteller ein Denkmal gesetzt. Im Feuilleton der Zeitung The Indian Express heißt es: „‘The Metamorph’ is the artist’s take on Kafka’s novella ‘Metamorphosis’, a psycho-analytical tale of a salesman who transforms into a giant insect overnight.“ (Metamorph ist eine künstlerische Interpretation von Kafkas Erzählung Die Verwandlung, einer psychoanalytischen Geschichte über einen Verkäufer, der über Nacht in ein riesiges Insekt verwandelt wird.)
 
Das schwarz-weiβe Bild hat drei Teile, die die Erzählung in drei Abschnitten darstellen. Jeder dieser Abschnitte beschreibt eine turbulente Szene. Im ersten ist Gregor Samsas Verwandlung noch im Werden. Gregor befindet sich in einem Übergangszustand zwischen Mensch und Tier. Die dichten Zickzacklinien verweisen auf die „unruhigen Träume“ und den psychischen Wandel Samsas. Im zweiten Teil ist aus dem Chaos ein Ungeziefer mit den vielen „kläglich dünnen Beinen“ entstanden. Die körperliche Verwandlung hat sich vollzogen. Auf dem Rücken verfault ein Apfel. Dieses „Andenken“ an die grausame Misshandlung durch den Vater schleppt er überall mit sich herum. Im letzten Teil ist er/es „krepiert“. Der Tote mit dem gesunkenen Kopf sieht „flach und trocken“ aus. Die zickzackförmigen Linien sind nicht mehr sichtbar.

Wenn Filme den kafkaesken Wahnsinn einfangen

Anurag Kashyaps Bollywood-Film No Smoking (2007), eine lose Adaptation von Stephen Kings Kurzgeschichte Quitters (1978), zeigt sich deutlich von Kafkas Erzählstrategien inspiriert. Der 30-jährige Protagonist des Films heißt K., wie Kafkas Figur in Der Process oder wie der Filmemacher Kashyap selbst. In einem Interview wurde Kashyap gefragt: „…the ‚K‘ in No Smoking, is it a reference to Kafka or Kashyap?“ (…das ‚K' in No Smoking, ist es eine Anspielung auf Kafka oder Kashyap?) Seine Antwort war: Me. I don’t want to die before my work gets published.“ (Ich, ich will nicht sterben, bevor meine Arbeit veröffentlicht wird.)

In dem Film ist K. ein Kettenraucher, der das Rauchen aufgeben will. Dafür besucht er ein Rehabilitationszentrum, das Kafkas Welt ähnelt. Der Film vermischt reale und traumhafte Welten. Die Topografie der Mietshäuser, die labyrinthischen Situationen und die Angst der Protagonisten wirken durchaus kafkaesk. No Smoking gilt heute als ein Kultfilm. Kashyap selbst sagte, dass Kafka zu seinen Lieblingsschriftstellern zählt. 2016 wurde sein Film Udta Punjab, der die Drogensucht in der indischen Region Punjab thematisiert, vom Central Board of Film Certification in Indien verboten. Die Art und Weise, wie seinem Film der Prozess gemacht worden sei, erinnere ihn an Kafkas gleichnamigen Roman, so Kashyap. Glücklicherweise wurde das Verbot seines Filmes durch ein späteres Gerichtsurteil wieder aufgehoben.

Spuren in der indischen Literatur

Das Cover des Buches „Kafka in Ayodhya and Other Short Stories“  © © Zafar Anjum | Illustration von Yousuf Saeed Das Cover des Buches „Kafka in Ayodhya and Other Short Stories“ © Zafar Anjum | Illustration von Yousuf Saeed
Der in Singapur lebende indische Journalist und Autor Zafar Anjum hat einen schmalen Erzählband mit dem Titel Kafka in Ayodhya and Other Short Stories (2015) veröffentlicht. Dort findet sich folgende Widmung: For the wounded ‚idea of India‘.“ (Für die verletzte ‚Idee von Indien‘). Wie würde Kafka auf die Zerstörung einer über 500 Jahre alten Moschee reagieren? In der ersten Erzählung Kafka in Ayodhya besucht Kafka 2003 mit seinem Ungeziefer Gregor im Koffer das Städtchen Ayodhya im Bundesland Uttar Pradesh. Die Lage ist sehr angespannt. Der Prozess um den Ram Tempel / die Babri Moschee läuft seit 60 Jahren. Was erlebt „Herr Kafka“, wenn er die Heilige Stadt zu diesem Zeitpunkt besucht? Und wie reagiert Gregor? Die autobiografischen Details von Kafka, darunter seine Lärmempfindlichkeit, die Unzufriedenheit mit seiner Familie, dem Junggesellendasein sowie seine Lungentuberkulose und die Fragmentierung seiner Werke werden dezent in die Geschichte eingeführt. Gregor wird stets mit einem Käse gefüttert. Prags Altneu-Synagoge aus dem 13. Jahrhundert, die die Nationalsozialisten glücklicherweise nicht zerstört haben, wird auch mit der Kontroverse verbunden.

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