Aleksandra Domanović
Ausstellung "Techno Worlds"

Aleksandra Domanović, 19:30, 2010/11, HD video, Zwei-Kanal-Videoinstallation, 11 Min, Video-Still © © Aleksandra Domanović - Courtesy Aleksandra Domanović und Tanya Leighton Gallery Aleksandra Domanović, 19:30, 2010/11, HD video, Zwei-Kanal-Videoinstallation, 11 Min, Video-Still © Aleksandra Domanović - Courtesy Aleksandra Domanović und Tanya Leighton Gallery

Durch einen Zufall der Geschichte folgte die breite Nutzung des Internet dem Kollaps des Sozialismus in Osteuropa auf dem Fuß. Parallel mit der Geschwindigkeit der Information multiplizierten sich die Verkehrswege des globalen Handels. Aus heutiger Sicht scheint eine Welt, in der Kapitalismus und Sozialismus koexistierten, mit dem Rhythmus der langsameren Medien verknüpft zu sein. 

In 19:30 (2010) befasst sich Aleksandra Domanović mit diesem Phänomen anhand ihrer eigenen Erfahrungen und der Geschichte ihres Geburtslandes Jugoslawien. Der Titel verweist auf das Zeitfenster der jugoslawischen Abendnachrichten, in dem sich das ganze Land der Übertragung widmete. Als die ethnischen Spannungen in den späten 1980er Jahren zunahmen, wurde die Verfolgung der Nachrichten in der täglichen Routine noch wichtiger – doch diese Routine, wie viele verbindende soziale Gewohnheiten, löste sich während des offenen Konflikts zusammen mit dem Land selbst auf.

Hier fehlt eine Bildbeschreibung © Domanovic
Um 1995 wurde die elektronische Tanzmusik im früheren Jugoslawien populär (etwas später als im Rest der Welt, was zumindest teilweise auf die internationale Isolation der Kriegsparteien zurückzuführen ist) und junge Leute überquerten die neuen Grenzen, um zu feiern und zu wortlosem, repetitiven Techno zu tanzen – einem Musikstil, der frei von nationalen Assoziationen war.  Als Informationen jederzeit verfügbar wurden, verloren die abendlichen Nachrichten ihre Kraft, eine gemeinsame, geteilte Erfahrung für eine Vielzahl von Menschen herzustellen. Doch ein Live-Event wie ein Rave, darauf weist Domanović hin, kann diese Kraft noch immer entfalten. 19:30 stellt ihren eigenen Versuch dar, Vergangenheit und Gegenwart zu versöhnen.

2009 reiste Domanović durch das ehemalige Jugoslawien, um sog. Idents, jene Einführungssequenzen zu sammeln, die den Nachrichten vorgeschaltet waren. Ihre Recherchen umfassten Besuche der Fernsehsender, Landesarchive und sogar Privatpersonen. Daraus entstand eine umfangreiche Sammlung dieser Idents, jeweils angereichert mit historischen Details. Nachdem sie diese Sammlung zusammengetragen hatte, nahm Domanović Kontakt zu Techno-DJs auf und bat sie, die Idents als Sample zu verwenden und in ihre Musik zu integrieren.

19:30 zeigt auf, wie sich kollektive Erfahrungen dieser Art gewandelt haben und vereint zwei unterschiedliche Modelle davon. Domanovićs Sammlung digitalisierter Idents ist kein Archiv im Sinne eines Friedhofs für die Überreste der Geschichte, sondern eine aktive Bibliothek, in der hörbare Bruchstücke eines kollektiven Gedächtnisses zu neuem Leben erwachen. Ganz wie Körper, die in Tanz übergehen, werden die alten Melodien im Remix und der Live-Performance freigesetzt.


Brian Droitcour 

Biografisches

Aleksandra Domanović wurde 1981 in Novi Sad, Jugoslawien, geboren und wuchs in Slowenien auf. Sie arbeitet mit Skulptur, Video und digital erzeugten Inhalten. Geleitet von intensiven Recherchen erkunden ihre Projekte die bahnbrechenden Entdeckungen von weiblichen Wissenschaftlerinnen sowie die Darstellungen von Gender in Science Fiction. Ihre Nachforschungen zu den sozialen und politischen Historien des früheren Jugoslawien, ihrem Geburtstort, liefern ihr ein machtvolles Instrument zur Deutung der gegenwärtigen Situation in Europa. Jüngste Einzelausstellungen fanden unter anderem statt in der Galleria d'Arte Moderna,Mailand (2019); MOCA Cleveland (2018); Bundeskunsthalle Bonn (2017); Henry Moore Institute, Leeds (2017); Plug In ICA, Winnipeg (2015); High Line Art, New York (2015); Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam (2015); Gallery of Modern Art, Glasgow (2014); SPACE, London (2012) und Kunsthalle Basel (2012).

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