Interview
Beats & Barrio mit Coraima Díaz
Die Performerin Coraima Diaz, welche mit kompletten Namen Balkis Coraima Diaz Torres heißt, produziert seit 2015 elektronische Musik in ihrem Heimatland Costa Rica. Sie hatte schon immer eine Schwäche für Musik, Poesie und die damit verbundenen ästhetischen Affinitäten. Bevor sie zur elektronischen Musik gekommen ist hat sie in mehreren College-Bands mitgemacht und eigene kleine Projekte verfolgt. Derzeit ist ihr Hauptprojekt Rompiste Mis Flores (Du hast meine Blumen zerstört). In diesem Jahr begann sie mit der Entwicklung eines neuen Projekts "PS1 Fever Dream", in dem sie einen 2000er-Techno und cyber-trashigen Sound nutzen möchte.
Wo befindest du dich gerade? (Physisch, Emotional, Mental und Musikalisch)
Ich befinde mich derzeit im Valle Central (das zentrale Hochland) in Costa Rica. Ich spüre echte Begeisterung und bin zuversichtlich, dass die Zukunft mir Gutes bringen wird. Ich muss nur hart genug arbeiten, um es zu erlangen. Mental bin ich gerade etwas zerstreut. Ich versuche, immer auf dem Laufenden zu bleiben, aber bei so vielen verschiedenen Einflüssen und Eindrücken ist das schwierig. Musikalisch bin ich in den 2000ern. Im Moment inspiriert mich der Techno aus den 90ern und 2000ern. Mittlerweile mag ich so viele Dinge, von denen ich vorher nichts wusste, und das weckt natürlich auch den Wunsch in mir, mich musikalisch zu verbessern.
Wie würdest du dich und deinen Stil beim Auflegen beschreiben?
Welcher Beat oder Track darf aktuell in keinem deiner Sets fehlen?
Etwas mit einem kräftigen Kick und Punch. Ich liebe vollklingende Bässe, weil man zu ihnen fast unfreiwillig tanzt. Wenn man sich gegen die Bewegung sträubt, fühlt man sich bald ziemlich schlecht, irgendwie schwer und unbehaglich. Die Musik hilft gegen diese Zustände. Ich weiß das selbst nur zu genau, denn als kleines Mädchen gefielen mir eher gregorianische Gesänge und Autumn Tears. Härtere Beats konnte ich nicht ausstehen, sie machten mich regelrecht krank. Je älter ich werde, desto offener werde ich für alle möglichen Dinge, unter anderem das Tanzen. Etwas, was deshalb in keinem Set fehlen darf, sind die Beats, die mich zum Tanzen bewegen.
Wo hast du zum ersten Mal aufgelegt und wie war die Erfahrung?
Als ich noch in einer Band gespielt habe, sind wir auf einer Party aufgetreten. Ich erinnere mich nicht mehr so genau, aber da war ich 17 Jahre alt. Es war wohl kein wirklich denkwürdiger Abend. Als ich mit der elektronischen Musik angefangen habe, war mein erster Auftritt auf einer BDSM-Party. Auch daran erinnere ich mich kaum, aber ich weiß noch, dass ich sehr aufgeregt war. Vor jedem Live-Auftritt bin ich (freudig) angespannt, aber auch diese Erfahrung genieße ich. Jedes Mal fühlt sich an wie ein erstes Mal.
Wie beeinflusst deine Umgebung deinen Sound?
Die Umgebung ist auf allen Ebenen wichtig. Das gilt von der physischen Beschaffenheit der Location hinsichtlich der Akustik und der vorhandenen Infrastruktur für den Sound bis hin zum Ambiente, den Emotionen, den Leuten, was ich fühle und was ich möchte.
Beispielsweise fühle ich mich oft frustriert und enttäuscht, wenn es irgendwo seltsam, falsch oder schlichtweg schlecht klingt. Manchmal hat die Umgebung, die Akustik oder ein ungewohntes Delay aber auch einen bestimmten Einfluss auf den Sound, der mir einen echten Boost verpasst. Es gibt Dinge, die unerwarteterweise richtig gut klingen. Über die freue ich mich dann, denn genau sie geben mir neue Energie, um weiter abzumischen und zu produzieren.
Welche Situation / Herausforderungen / Problematiken beobachtest du derzeit in der nationalen Musikszene?
Das Übliche: das Fehlen von Geldmitteln und Veranstaltungsplattformen, die Parteinahme und Verschlossenheit der Medien, Elitismus, etc. Diese Dinge rauben mir aber kaum den Schlaf. Ich bin nicht auf dieser Welt, um diese erbärmlichen Verhaltensweisen und Zustände zu kritisieren.
Ich bin hier, um sie herauszufordern und etwas zu verändern. Solange wir Herren und Frauen unserer selbst sind, gehört auch unser Schicksal ganz allein uns.
Meiner Meinung nach müssen noch Hunderte von Jahren vergehen, bis das Internet wirklich überlastet ist, wenn es überhaupt jemals dazu kommen wird. Meine Strategien sind, ehrlich gesagt, immer noch dieselben. Seit ich klein war, interagiere ich mehr im digitalen Raum als in der realen Welt. Ich bin es gewohnt und finde es einfacher und aufregender. Während meine Mitschüler der Meinung waren, dass ich irgendwie seltsam war, fand mich irgendwer im Online-Chat interessant.
Denkprozesse, die Verarbeitung von Informationen oder, wie in diesem Fall, die Ästhetik der Kunst und der Musik werden zu Inhalten zusammengefasst, die einerseits überaus interessant und andererseits vollkommen belanglos sind. Ich mag diese Schnelllebigkeit. Das, was die materielle Welt dir abverlangt, nimmt sehr viel mehr Zeit in Anspruch. Und die investiere ich lieber in meine Kunst.
Allerdings gefallen mir die Algorithmen von Instagram, Youtube und Facebook überhaupt nicht. Ich bin auch nicht zufrieden damit, wie das Internet heutzutage organisiert ist. Es ist nicht ansatzweise so frei, wie es einmal war.
Dass Kontrolle ausgeübt wird über die angezeigten Inhalte, meine privaten Informationen und meine virtuelle Identität finde ich nicht in Ordnung.
Bester Ratschlag, den du bisher bekommen hast? Welchen Ratschlag würdest du anderen Künstlern*innen, DJ’s und Produzent*innen geben?
Wartet nicht darauf, das Geld und die Möglichkeiten zur Verfügung stehen zu haben, um das zu tun, was ihr als Künstler tun wollt. Arbeitet so gut ihr könnt und in irgendeinem Bereich, der in irgendeiner Form mit dem zu tun hat, was ihr in Zukunft machen wollt. Die Welt entsteht erst durch konkrete Handlungen, die mit der Zeit immer neue Möglichkeiten für Wachstum und Weiterentwicklung schaffen.
Diesen Ratschlag hat mir ein äußerst talentierter deutscher Produzent names Alexander Hacke erteilt. Jetzt kann ich ihn an euch weitergeben.
Was stört dich an der elektronischen Musik-Szene? Welchen Herausforderungen begegnest du und was würdest du ändern wollen?
Es sind dieselben, denen man überall begegnet und ich würde das ändern, was ich auch in der Gesellschaft und Wirtschaft oder den kulturellen Kanons ändern würde: den Elitismus, den Kapitalismus, seine Konsequenzen und Wurzeln. Allerdings bin ich selbst auch ein Produkt dieses Systems. Meine Denkweise, meine Art, die Welt wahrzunehmen, meine Gefühle und sogar meine künstlerische Tätigkeit entspringen daraus. Ich wäre wahrscheinlich nicht ich – rebellisch und auf Widerstand aus –, wenn dieser Kontext nicht existierte. Etwas ändern bedeutet, alles zu ändern: die Realität mit all ihren Möglichkeiten.
Wo willst du auf jeden Fall noch (einmal) auflegen und warum?
Schwer zu entscheiden. Ich würde gerne noch einmal in Deutschland und in Mexiko auflegen, denn einmal ist keinmal. Ich liebe die Vielfalt und wenn diese im Publikum anzutreffen ist, gibt mir das sehr viel, sowohl auf emotionaler als auch auf spiritueller Ebene. Gerne würde ich auch in Japan auftreten. Verschiedene und so andere Orte zu besuchen, ist etwas Besonderes. Einer Kultur zu begegnen, die sich grundsätzlich von dem unterscheidet, was ich aus meinem Alltag kenne, ist eine der besten Erfahrungen überhaupt. Auch wie der Sound abgemischt wird, wie und wo die Gigs stattfinden, ist überall anders. Jedes Mal, wenn ich im Ausland auftrete, lerne ich unglaublich viel dazu.